Kinder aus dem Raum schicken und damit isolieren? Das ist seelische Gewalt. Und um die ging es in einem Vortrag der promovierten Pädagogin und Psychologin Anke Elisabeth Ballmann aus München in Stockach. Dabei erklärte sie, dass körperliche Gewalt die einzige sei, die bisher strafbar sei. Dabei habe psychische Gewalt mitunter Folgen für das ganze Leben und in Paragraf 1631 des Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) sei das Recht auf eine gewaltfreie Erziehung festgehalten. Doch wo hört Erziehung auf und wo fängt Gewalt an? Das wollten nicht nur zahlreiche Erzieher wissen, sondern auch Eltern und weitere Interessierte.
Obwohl Gewalt ein ernstes, schweres und belastendes Thema ist, schaffte die Psychologin es, ihr Publikum leicht abzuholen und durch die Themen mitzunehmen. Sie sprach sehr klare und manchmal auch harte Worte, doch verstand es, auch etwas Humor einzubauen. Ihr Fazit: „Es ist ein Verbrechen an der Menschlichkeit, wenn wir nicht auf dem aktuellen Wissensstand arbeiten.“

Ballmann erklärte in ihrem Vortrag „Seelenprügel – Ursachen, Folgen und Vermeidung von seelischer Gewalt“ verschiedene Formen von Gewalt. Die sexualisierte Gewalt passiere zwar am wenigsten, aber man rede in den Medien am meisten darüber.
Kinder haben besondere Bindungsbedürfnisse
Allgemein komme die psychische Gewalt immer zu kurz, erklärte sie. „Wir alle haben schon welche erlebt“, betonte sie. Vieles passiere in der Kindheit, zum Beispiel wenn Kinder angebrüllt oder ignoriert würden. Vor allem in der ganz frühen Kindheit hinterlasse dies Spuren, da die kindliche Entwicklung dort ganz besondere Bindungsbedürfnisse habe und in dieser Zeit Vieles für das spätere Leben geprägt werde. „Die größte Gefahr für Kinder sind unreife und psychisch instabile Erwachsene“, sagte Ballmann in aller Deutlichkeit.
Die Psychologin betonte immer wieder den Wissensfortschritt über die Jahrzehnte. Früher habe man in der Erziehung ganz andere Dinge gemacht als heute, dafür dürfe man frühere Generationen nicht verurteilen. „Heute wissen wir mehr“, so Ballmann. Als Beispiele nannte sie Käfige für Babys an Fenstern für frische Luft oder die Züchtigung von Kindern.
Beispiele für unbewusste psychische Gewalt
Unter den mehr als 100 Zuhörern saßen zahlreiche Erzieherinnen, aber auch Elternteile. Die Psychologin sprach immer wieder gezielt die Kräfte aus den Kindertageseinrichtungen an, um ihnen konkret zu helfen, ungewollte Fehler zu vermeiden. Psychische Gewalt könne beispielsweise schon sein, wenn ein Kind mit einem ungewollten Kosenamen angesprochen werde.
Zudem gab es das Beispiel des Montagmorgen-Stuhlkreises, in dem Kinder vom Wochenende erzählen wollen, aber vielleicht Angst haben, vor anderen zu reden oder kein schönes Wochenende hatten. Druck könne sich dann negativ auswirken. „Das flößt Angst ein, vor Menschen zu sprechen“, so Ballmann. Unter- oder Überforderung von Kindern sei ebenfalls ein Aspekt. Das Wichtige für Kinder unter drei Jahren sei einfach nur laufen lernen, essen lernen und Bindung.

Die Referentin fasste zusammen: „Gewalt beginnt für mich, wenn Macht missbraucht wird. Wir sind oft verbal gewaltvoll, weil wir nicht wissen, dass wir es machen.“ Es sei keine Gewalt, einem Kind Stopp zu sagen, wenn es spucke, aber man dürfe es nicht schütteln.
Auch Isolation sei Gewalt, da der Mensch ein soziales Wesen sei. Das passiere etwa, wenn ein Kind vor die Tür geschickt werde. „Jemanden ausschließen ist die schlimmste Form von Gewalt. Wir wollen alle gemocht werden“, erklärte sie über das Grundbedürfnis.
Qualität statt Quantität bei den Erziehern
Im Hinblick auf das Kitapersonal sagte Ballmann, es gebe einerseits den Personalmangel, aber auch mangelhaftes Personal: „Wir brauchen nicht irgendwen, sondern gute Leute.“ Sie gestand, früher als Erzieherin selbst Fehler gemacht zu haben. Außerdem warnte sie davor, weinende Kinder unter zwei Jahren zu ignorieren. „Nicht trösten ist eine Vollkatastrophe. Das Versagen des emotionalen Echos löst einen Schaden aus“, erklärte sie zum Entwicklungsstand des Gehirns so kleiner Kinder.

Gewalt mache Stress und das Gehirn entzünde sich. Im späteren Leben könnten Auffälligkeiten, Störungen oder Erkrankungen entstehen. Man könne sogar Erkrankungen aus dem Erwachsenenalter bis in die Kindheit zurückverfolgen. „Seelenprügel, die in der Kindheit passieren, wirken sich später aus.“ In den ersten Lebensjahren würden Kinder auch lernen, mit Stress umzugehen – das präge ebenfalls für später.
Erstmal die eigene Kindheit aufarbeiten
Beim Stichwort Selbstverantwortung erklärte Ballmann, man müsse auf sich selbst achten. Denn jeder sei auch dafür verantwortlich, wie er mit anderen umgehe. Sie erklärte auch, dass Menschen, die mit Menschen arbeiten, ihre eigene Kindheit aufarbeiten müssten.
Das griff Stefanie Lippelt, die Sachgebietsleiterin Kindertageseinrichtungen in Stockach, später im Gespräch mit dem SÜDKURIER auf, da bei der Erstellung des Gewaltschutzkonzepts für die Kitas genau das gemacht worden sei. Für die Teams sei das nicht einfach gewesen.
Blick auf die städtischen Kitas
Stefanie Lippelt erklärte, das sexualpädagogische Konzept sei bereits fertig und das Gewaltschutzkonzept noch in Arbeit. Sie stimmte der Referentin zu, dass aktiv damit gearbeitet werden müsse. Ein Erzieher pro Einrichtung sei dann als Ansprechpartner zuständig. In Stockach und den Teilorten gibt es elf städtische Kitas mit 90 bis 100 Mitarbeitern sowie drei kirchliche Einrichtungen. Momentan seien bei der Stadt keine Stellen vakant.
Eine Mutter aus Stockach bedankte sich: „Es tut gut zu hören, was Sie erzählen. Ihr Engagement und dass Sie eine Stiftung gegründet haben, ist toll.“