Jetzt setzt auch Stockach ein klares Zeichen gegen Gewalt, die sich gegen Frauen richtet. Angesichts von zwei Gewaltverbrechen an jungen Frauen in diesem Jahr in Stockach und Eigeltingen hat dies eine besondere Bedeutung in der Stadt. Sabrina P. ist im Januar von ihrem Lebensgefährten getötet worden und Jasmin M. wurde bis heute nicht gefunden.
An einem Abend mit vier Kurzvorträgen zu verschiedenen Aspekten von häuslicher Gewalt, Hilfe für Opfer und Prävention fand die Rote Bank, auf der „Kein Platz für Gewalt gegen Frauen“ steht, einen vorübergehenden Platz vor dem Bürgerhaus Adler Post. Die Bank wandert durch den ganzen Landkreis und stand im Juni und Juli bereits eine Weile in Hohenfels.

Bürgermeister Rainer Stolz half persönlich, die Holzbank an ihren vorübergehenden Standort zu tragen. Sie wird bis zum 12. Oktober an verschiedenen Stellen in der Stadt stehen, zum Beispiel vom 4. bis 8. Oktober vor der Kirche St. Oswald.
„Es ist wichtig und richtig, solche Aktionen zu machen“, sagte Rainer Stolz über die rote Roten Bank, auf der Aufkleber aller Gemeinden befinden, in denen sie schon gestanden hat. Er fand es auch wichtig, die Aktion in eine solche Veranstaltung einzurahmen, und hob die stätischen Mitarbeiterinnen Marina Steiner und Iris Laible hervor, die diese in der Adler Post organisiert hatten. Das Thema müsse bewusst gemacht werden. Marina Steiner, die früher Vorstandsfrau bei „Frauen helfen Frauen in Not“ war, und nun bei der Stadt Stockach Leiterin des Sachgebiets Straßen und Tiefbau, führte durch den Abend.

Femizide sind die Spitze des Eisbergs
Waltraud Weber und ihre Kollegin Claudia Nicolay vom Verein „Frauen helfen Frauen in Not“ stellten die Geschichte der Roten Bank vor. Über Gewalt zu sprechen und das Thema aus der Tabu-Zone zu holen sei sehr wichtig. Femizide, also die Tötung von Frauen, seien die Spitze des Eisbergs. Allerdings gehe es viel früher los und es gebe viele Formen von körperlicher und geistiger Gewalt. Seit 2022 sei die häusliche Gewalt in Deutschland um 9,3 Prozent gestiegen, in Baden-Württemberg sogar um 13,1 Prozent. „Die Dunkelziffer ist noch höher“, erklärte Weber.

Claudia Nicolay ergänzte, wie wichtig es sei, nicht wegzuschauen und dass es keine Einmischung in das Privatleben sei, wenn ein Verdacht auf Gewalt bestehe. „Lieber einmal zu viel als zu wenig die Polizei rufen“, sagte sie. Dies betonten mehrere Personen an diesem Abend – auch zwei anwesende Polizisten. Nicolay gab als Beispiel, dass man unter einem Vorwand klingeln könne, um einen Streit zu unterbrechen, wenn man bei Nachbarn etwas mitbekomme. Man könne auch ein Opfer dezent ansprechen und Unterstützung anbieten.
Polizistin Jessica Braun ergänzte später in ihrem Vortrag, man solle sich nie selbst in Gefahr begeben, sondern nur im Rahmen der Möglichkeiten agieren. Das könne auch ein gemeinsames Warten auf die Polizei oder Unterstützung bei einem Anruf beim Hilfstelefon sein.
Hilfstelefon oder Polizei?
Aus Erfahrung schilderte Claudia Nicolay, Frauen würden oft lieber zu einer Beratungsstelle als zur Polizei gehen. Falls es an Deutschkenntnissen mangele könne man das Hilfstelefon anrufen und die Sprache nennen. Dort gebe es Dolmetscher, die helfen könnten. „Frauen helfen Frauen in Not“ berate nicht nur bei häuslicher Gewalt, sondern auch anderen Formen wie sexueller Belästigung. Dabei gehe es nicht nur um den Weg aus der Gewalt, sondern auch wie es anschließend weitergehe.

Die Polizisten Tobias Horn von der Koordinierungsstelle häusliche Gewalt in Konstanz und Jessica Braun vom Polizeirevier Stockach sprachen aus Polizeisicht über Gewalttaten. Jessica Braun ist seit zehn Jahren im Revier Stockach Sachbearbeiterin für häusliche Gewalt und hat in diesem Bereich zwei Kollegen.
Die Beamten zeigten Zahlen zu häuslicher Gewalt Stockach, dem Landkreis und Baden-Württemberg, und wiesen bei Rückgängen auf Corona hin. 2022 gab es in Stockach 40 aufgeklärte Straftaten, 2021 waren es 25. 80 Prozent der Opfer seien weiblich, 20 Prozent männlich.
Polizeieinsätze und Wohnungsverweise
Jessica Braun schilderte den Ablauf von Einsätzen wegen häuslicher Gewalt, zum Beispiel fahre sofort eine Streife vor Ort, um die Situation zu klären. „Wir gehen jedem Anruf nach“, betonte die erfahrene Polizistin und ermutigte, lieber zu viel als zu wenig anzurufen.
Außerdem erklärte sie, jeder Fall sei anders und müsse individuell betrachtet werden. Unter anderem erläuterte sie die Möglichkeit von Wohnungsverweisen oder härteren Maßnahmen. Infos über Vorfälle würden so hinterlegt, dass alle Kollegen Bescheid wüssten, falls bei denselben Personen nochmal etwas gemeldet werde.
Wie ist die Lage an den Schulen?
Um den Umgang mit Gewalt an Schulen ging es an diesem Abend ebenfalls. Beate Clot, die Leiterin des Schulverbunds Nellenburg sowie geschäftsführende Schulleiterin der Raumschaft, sprach über die Situation in der Jugend. Sie stellte dar, dass viele Jugendliche nicht einschätzen könnten, wenn sie zu weit gehen. Sie berichtete vom Koku-Programm, das helfe die sozialen Kompetenzen zu trainieren. Koku steht für Konfliktkultur. Eine Koku-Stunde sei fest im Stundenplan enthalten.
Zudem werde der Umgang mit Gefühlen trainiert. „Kinder können teils Gesichtsausdrücke nicht bewerten“, erklärte sie. Daher gehe es darum, dies zu erlernen und zu lernen empathisch zu reagieren.
Auch die Stärkung des Selbstbewusstseins und lernen „Nein“ zu sagen, sei wichtig. Bei Jungen komme es häufig vor, dass diese beim ersten Kontakt mit Mädchen nicht erkennen würden, wenn sie etwas nicht wollen. Clot wies allerdings auch darauf hin, dass Kinder in manchen Situationen nicht aus Böswilligkeit agieren würden, sondern nicht bemerken würden, wann Spaß zu Ernst geworden sei.

Wie man sich wehren kann
Georg Vesper vom Zentrum für Gesundheit und Bewegung in Zizenhausen griff schließlich noch Selbstverteidigung und weitere Themen auf. Er berichtete von Wing Tsun, einer Verteidigungstechnik. Im Training seien Kinder und Leute im Alter von sechs bis 70 Jahren – davon seien 52 Prozent Frauen. Er konnte aus Erfahrung erzählen, dass sich in den Kursen die Kinder oft öffnen würden und von Problemen erzählen würden, von denen die Eltern gar nichts wüssten.
Vesper sprach über Täter-Verhalten und dass man sich wehren dürfe, wenn man angegriffen werde. Auch gewaltfreies Wehren war eines seiner Themen. Das Opferschutzprogramm Peace Warrior ermögliche es Opfern kostenfrei im Zentrum einen Kurs zu machen. Die Kosten würden über Spenden finanziert.