Alkohol am Steuer, Unfallflucht, eine Suizidandrohung mit einer defekten Kettensäge, verletzte Polizisten und Erinnerungslücken: Was wie Stichworte aus einem Film klingen, ist in Stockach wirklich passiert und endete vor dem Stockacher Amtsgericht einer Verurteilung zu sieben Monaten Haft auf Bewährung sowie verschiedenen Auflagen.

Der 39-jährige Angeklagte aus dem Raum Stockach stand im Mittelpunkt der Ereignisse, bei denen er, seine Familie und die Polizei nicht nur großes Glück gehabt hätten, sondern sich auch „ein Musterbeispiel von solider Polizeiarbeit in Stockach“ gezeigt habe, wie Richterin Julia Elsner in der Verhandlung sagte.

So lautetet die Anklage

Der Angeklagte ist laut Anklageschrift am 29. November 2020, einem Sonntag, kurz nach 8 Uhr auf der Kreisstraße 6180 von Zoznegg in Fahrtrichtung Stockach unter Alkoholeinfluss von der Straße abgekommen und mit seinem Auto gegen ein Eigenwasseranlage-Häuschen geprallt. Er habe das Auto zurückgelassen und die Polizei habe ihn später zuhause angetroffen, so der Vertreter der Staatsanwaltschaft. Der 39-Jährige sei dort plötzlich in den Keller gerannt und habe versucht, sich mit einer Kettensäge umzubringen – allerdings sei das Gerät nicht angesprungen.

Es sei zu einer Auseinandersetzung mit den zwei anwesenden Beamten und der angeforderten Verstärkung gekommen, bei der mehrere Polizisten verletzt worden seien. Zudem seien Beleidigungen gefallen. Der 39-Jährige musste sich daher wegen Gefährdung des Straßenverkehrs, unerlaubten Entfernens vom Unfallort, Angriff auf Amtsträger sowie Körperverletzung und Beleidigung verantworten.

Ein 39-Jähriger kam 2020 unter Alkoholeinfluss mit seinem Auto auf der K 6180 in Fahrtrichtung Stockach über die Gegenspur nach ...
Ein 39-Jähriger kam 2020 unter Alkoholeinfluss mit seinem Auto auf der K 6180 in Fahrtrichtung Stockach über die Gegenspur nach links von der Straße ab und prallte gegen ein Häuschen. Später eskalierte eine Situation zuhause. Nun stand er vor Gericht. | Bild: Löffler, Ramona

Er hatte noch nie Probleme mit dem Gesetz

Der 39-Jährige war bisher noch nie straffällig geworden, ging immer einer geregelten Arbeit nach, ist verheiratet und hat zwei Kinder, hieß es in der Verhandlung. Er habe die Arbeitsstelle gewechselt, da er nach dem Unfall ohne Führerschein nicht mehr weiterarbeiten habe können. Im Verlauf der Verhandlung kristallisierte sich jedoch immer mehr heraus, welche Vorbelastungen durch Geschehnisse im persönlichen Umfeld es gab, die schließlich an jenem Novembersonntag nach dem Unfall in einen psychischen Ausnahmezustand gemündet sind.

Der Verteidiger erklärte, sein Mandant besitze nur noch rudimentäre Erinnerungen daran. Der 39-Jährige könne zwar keine Angaben zu den Ereignissen machen, aber es gebe keine Gründe, an der Darstellung der Zeugen in den Akten zu zweifeln. Es werde daher nichts bestritten. „Es klingt plausibel“, so der Verteidiger.

Sein Mandant konnte nur sagen: „Ich weiß nicht mehr, wohin ich gefahren bin. Es gab keinen Grund zum Wegfahren.“ Er glaube, er sei nach dem Aufwachen in Schlappen ins Auto gestiegen. Während seine Aussage darauf beschränkt blieb, waren die Beschreibungen einer Autofahrerin, die ihn mitgenommen hatte, und eines Polizisten später umso klarer.

Schleichend immer mehr Alkohol

Auf Rückfrage zu seinem Trinkverhalten, erzählte der Angeklagte der Richterin, es habe im Jahr davor langsam zugenommen. Zu Bier sei irgendwann Schnaps gekommen. „Man steigert sich ja und braucht immer mehr, wenn man anfängt.“ Vor dem Unfall habe er an Wochenenden zehn Flaschen Bier sowie unter der Woche ein oder zwei Mal abends getrunken. Seine Frau habe ihm zwar gesagt, es sei zuviel und er habe sich eine Zeit lang diszipliniert, aber sei dann wieder in das Muster gefallen.

Aktuell trinke er gar nicht mehr. Er sei nach dem Vorfall eine Woche im Zentrum für Psychiatrie Reichenau gewesen und habe ein Jahr lang ein Urin-Kontrollprogramm sowie eine Online-Gruppentherapie mitgemacht. Bald beginne eine Einzeltherapie.

Das Amtsgericht Stockach.
Das Amtsgericht Stockach. | Bild: Timm Lechler

Eine Frau nahm ihn nach dem Unfall mit

Eine 42-jährige Zeugin beschrieb vor Gericht, wie sie den Angeklagten am Unfallort gesehen und nach Zoznegg mitgenommen habe. Er sei ihr nicht betrunken vorgekommen. Bis auf leichten Alkoholgeruch und der Tatsache, dass er an einem frostigen Novembermorgen in kurzen Hosen und Schlappen rumgelaufen sei, sei ihr nichts aufgefallen. Sie habe ihm gesagt, er müsse die Polizei über den Unfall informieren und er habe dies versprochen. Später habe sie im Internet über den Unfall gelesen und sich auf einen Zeugenaufruf hin gemeldet.

Ein Polizeihauptmeister ausführlich die Ereignisse, die er bis heute nicht abschütteln könne. Dieser Einsatz werde ihm immer im Gedächtnis bleiben. Der Angeklagte habe an jenem Morgen den Unfall direkt zugegeben. Im Verlauf des Gesprächs sei die Ehefrau dazugekommen und habe die Beamten ins Haus gebeten. Dort hätten die Beamten erfahren, dass der 39-Jährige aufgrund einer Verletzung starke Schmerzmittel einnehme. Ein Atemalkoholtest habe zudem einen Wert von 2,21 Promille ergeben. „Ich war überrascht, dass der Wert so hoch war“, sagte der Polizist.

Pfefferspray machte ihm gar nichts aus

Der Mann sei dann schlagartig losgelaufen und im Keller verschwunden. „Man konnte ihn schreien hören, dass er sich umbringen will“, so der Polizist. Er sei ihm vorsichtig gefolgt und habe schließlich gehört und gesehen, wie der Angeklagte eine Kettensäge in Gang setzen habe wollen. Sein Kollege habe währenddessen Verstärkung angefordert. Die Versuche des Hauptmeisters auf den 39-Jährigen einzureden, seien abgeprallt. Der Einsatz von Pfefferspray sei wirkungslos geblieben.

Der zweite Polizist sei auch in den Keller gekommen und schließlich habe ein Kampf begonnen, nachdem der 39-Jährige die defekte Kettensäge weggelegt gehabt habe. „Er hat auf uns eingeschlagen.“ Bei der Gegenwehr und dem Versuch, ihn zu überwältigen, sei ein Schlagstock zum Einsatz gekommen. „Das hat keinerlei Wirkung gezeigt“, berichtete der Beamte. „Irgendwann kamen die Kinder. Der ältere Sohn hat gerufen und der Angeklagte hat von uns abgelassen.“

„Ich wollte es vermeiden, die Waffe zu ziehen“

Kurz darauf habe der Mann wieder auf die Polizisten eingeschlagen und der Sohn sei zur Mutter gelaufen. Er sei in einem Ausnahmezustand und davon überzeugt gewesen, dass er seinen Job aufgrund des Führerscheinverlusts verlieren werde und damit alles aus sei. „Kein Einsatzmittel hat geholfen, aber ich wollte es vermeiden, die Waffe zu ziehen.“ Dabei habe der 39-Jährige ihn sogar aufgefordert, ihn zu erschießen.

Trotz des Eintreffens der Verstärkung sei die Lage aufgrund der Kellerräume und der waffenfähigen Werkzeuge in den Regalen weiter schwierig gewesen. Mehrere Beamte hätten den Mann schließlich gemeinsam mühevoll überwältigen können und dabei Verletzungen davongetragen. Der Familienvater habe erst aufgegeben, als er auf dem Boden gelegen sei und Hand- und Fußfesseln getragen habe.

Der Hauptmeister schilderte weiter, wie er sich um die Frau und die Kinder gekümmert habe und welche Verletzungen und gesundheitlichen Beeinträchtigungen er bei dem Einsatz erlitten habe. „Ich habe schon viel erlebt, aber soetwas noch nie“, fasste er zum Einsatz zusammen.

Die Eingangstür zum Verhandlungssaal im Amtsgericht Stockach.
Die Eingangstür zum Verhandlungssaal im Amtsgericht Stockach. | Bild: Löffler, Ramona

Großes Lob an die Polizei

Der anwesende psychiatrische Gutachter lobte den Polizeihauptmeister, der als Zeuge in der Verhandlung aussagte. „Ich finde, sie haben das optimal gemacht. Ich habe hohen Respekt“, sagte er über das vorbildliche Verhalten des Beamten in dem schwierigen Einsatz am 29. November 2020.

Richter Julia Elsner und der Verteidiger schlossen sich dem an. Sie sagte an den Angeklagten gerichtet, es sei ein Glück, dass die Polizisten es so und nicht anders gemacht und mit Empathie reagiert hätten. „In den USA wären Sie einfach erschossen worden“, sagte sie zum 39-Jährigen.

Der Gutachter sprach ausführlich über die Vorgeschichte des Angeklagten und wie sich dies mit Spannungen im persönlichen Umfeld kombiniert habe. Die Strafmaßforderungen von Staatsanwaltschaft und Verteidigung gingen letztendlich relativ weit auseinander.

Was Anklage und Verteidigung forderten

Der Vertreter der Staatsanwaltschaft sah alle Vorwürfe „vollauf bestätigt“. Er sah eine verminderte Schuldfähigkeit. Für den Angeklagten spreche, dass er alles eingeräumt habe und noch nie straffällig gewesen sei. Gegen ihn spreche jedoch die gefährliche Situation, der große Polizeieinsatz und die Verletzten. Die Forderung für das Strafmaß lautete elf Monate Haft auf Bewährung sowie eine Geldauflage in Höhe von 2000 Euro und eine Führerscheinsperre für weitere drei Monate.

Der Anwalt sagte, sein Mandant sei am Tat-Tag nicht mehr Herr seiner Sinne gewesen. Es sei vorbildlich, wie der Mann inzwischen Rat und ärztliche Hilfe angenommen habe. Der Verteidiger plädierte auf sechs Monate Haft auf Bewährung und 1000 Euro Geldauflage in Raten.

Das Urteil und die Auflagen

Die Richterin verurteilte den 39-Jährigen zu sieben Monaten Haft auf Bewährung. Außerdem muss er 600 Euro an die Käthe-Klemm-Stiftung bezahlen. Der Führerschein bleibt noch weitere drei Monate gesperrt. Der 39-Jährige und sein Verteidiger erklärten direkt in der Verhandlung, dass sie auf Rechtsmittel verzichten und das Urteil annehmen.

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