Schlusspunkt und großes Finale: Es gibt sie noch, die unerwarteten Momente, die großen Überraschungenin einem sehr intensiven und ungewöhnlichen Wahlkampf. Am Sonntag entscheidet sich im zweiten Wahlgang, wer neuer Bürgermeister in Tengen wird. Zum letzten Mal vor der finalen Entscheidung treffen die fünf neuen Kandidaten und der Stimmsieger des ersten Wahlganges im Rahmen der SÜDKURIER-Wahlarena aufeinander. Es ist der Schlussakkord eines denkwürdigen Kandidatenwettstreites, dem etwa 450 Zuhörer in der Randenhalle lauschen.

Die Tengener Kandidaten in der Schnellfragerunde Video: Matthias Güntert

Ein langes Abtasten gab es auf der Bühne nicht. Die beiden Moderatoren Jörg-Peter Rau, Mitglied der Chefredaktion des SÜDKURIER, und Stephan Freißmann, Leiter der Lokalredaktion in Singen, gehen gleich in die Vollen. Gekonnt wollen sie die Kandidaten aus der Reserve locken. Gesagt, versucht und teilweise getan, doch mitunter scheiterte das an der jeweiligen Vorbereitung der Gesprächspartner.

Aufgewärmtes? Nicht auf dem SÜDKURIER-Podium

Von Sven Müller wollen die beiden Moderatoren wissen, was er zu der Vielzahl an neuen Kontrahenten sagt. Der 27-Jährige aus Welschingen nennt den mit acht Namen gut gefüllten Stimmzettel spannend. „Das bereichert den Wahlkampf“, sagt Müller. Dann rutscht es ihm trotzdem raus – auf einmal spricht er von massiver Konkurrenz.

Der Wahlsieger auf der ersten Runde: Sven Müller.
Der Wahlsieger auf der ersten Runde: Sven Müller. | Bild: Hanser, Oliver

An Fabian Kern richtet sich die Frage, was ihm wichtiger sei: Der Bürgermeisterjob oder die Familie? Laut Kern müsse man wie immer abwägen. Ihm sei die Gemeinde und die Aufgabe wichtig. Aber: „Niemand hat etwas von einem Bürgermeister, der Burnout hat.“

Will mit Innovation punkten: Fabian Kern.
Will mit Innovation punkten: Fabian Kern. | Bild: Hanser, Oliver

Um Konkurrenz dreht sich auch die erste Frage an Gertrud Homburger und zwar um die Konkurrenz aus der eigenen Stadt. Neben der 58-Jährigen hat sich auch Tengens Gemeinderat Thomas Wezstein (FW) beworben. Für viele Tengener unverständlich, da die beiden Einheimischen fürchten müssen, dass sich nun die Stimmen auf sie beide verteilen – und ihre Chancen dadurch geringer sind. Auch die beiden Moderatoren stellen diese These auf. „Ich trete nicht aus dem Gemeinderat hinaus an, sondern als Gertrud Homburger“, betont die Kandidatin und ergänzt, dass sie die Bewerbung vor Thomas Wezstein abgegeben habe.

Will Tengens erste Bürgermeisterin werden: Gertrud Homburger.
Will Tengens erste Bürgermeisterin werden: Gertrud Homburger. | Bild: Hanser, Oliver

Der Jüngste will Amtsinhaber etwas voraus haben

Jung, SPD-Mitglied, mit kommunalpolitischer Erfahrung: Nein, die Rede ist nicht von Bürgermeister Marian Schreier, sondern von Selcuk Gök. Doch wie viel Schreier steckt in Kandidat Gök? Der 26-Jährige ist schlagfertig und weiß, in welcher Region er sich befindet: „Ich bin Badner und kein Schwabe, das habe ich Marian Schreier voraus.“ Gök macht deutlich, dass das Parteibuch bei einer Bürgermeisterwahl keine Bedeutung habe, zumal er als unabhängiger Kandidat antrete.

Hatte viel Spaß auf dem Podium: Selcuk Gök.
Hatte viel Spaß auf dem Podium: Selcuk Gök. | Bild: Hanser, Oliver

Natürlich geht es auch um die Konkurrenz aus Tengen, als Thomas Wezstein die Bühne betritt. Bereits am Abend des ersten Wahlganges sei seine Fraktion zusammengetreten und er habe seine Bereitschaft zur Kandidatur signalisiert. Das habe er auch gegenüber den anderen Gemeinderatsfraktionen so klar kommuniziert. Zudem sei dieses Signal klar und deutlich auch an Gertrud Homburger gegangen. Dies bestätigt die Angesprochene allerdings nicht. Ihre Kandidatur spontan zurückziehen, um die Siegchancen des anderen zu erhöhen, wollen hingegen weder Wezstein noch Homburger.

Vertritt eine klare Haltung: Thomas Wezstein.
Vertritt eine klare Haltung: Thomas Wezstein. | Bild: Hanser, Oliver

Roland Weibezahl und die plötzliche Liebe zu Tengen – woher kommt diese Zuneigung eigentlich? „Aus dem Handy“, sagt Weibezahl. Denn dort habe er aus der Zeitung erfahren, dass die Kandidatenlage zu Beginn der Wahl mau gewesen sei.

Hat eine Förderfibel immer dabei: Roland Weibezahl.
Hat eine Förderfibel immer dabei: Roland Weibezahl. | Bild: Hanser, Oliver

Singen oder Engen? Hauptsache Tengen!

Bei Fabian Kern gibt es keine große Überraschung, er wolle sich mit dem Radinfrastrukturkonzept beschäftigen – denn Radfahren fördere die Gesundheit und sorge für Umweltschutz. Thomas Wezstein weist auf das große Wegnetz hin – rund um Tengen könne man allein über 80 Kilometer asphaltierte Wege nutzen. „Da müssen wir in den kommenden Jahren viel Geld investieren, aber wir werden das angehen“, sagt er. Sven Müller wolle eine Infrastruktur für E-Autos und die Breitbandversorgung ausbauen – zwei Dinge, die er bereits bei den anderen Podien angesprochen hatte.

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Laut Selcuk Gök sei es neben Investitionen in Straßen, Radwege und Breitbandausbau wichtig, die ärztliche Versorgung zu gewährleisten. „Man muss den Menschen das Schubladendenken austreiben und ihnen sagen, dass man in Tengen gut leben und arbeiten kann“, so Gök. Gertrud Homburger setzt auf Photovoltaik-Anlagen auf den kommunalen Gebäuden. Ohnehin sei es wichtig, die städtischen Gebäude auf Vordermann zu halten. Roland Weibezahl packt im Zuge dessen einen Ausdruck einer Förderfibel aus der Sakko-Tasche. „Wenn man dort reinschaut, dann passen die Vorschläge wie die Faust aufs Auge nach Singen“, sagt er – um sich kurz danach zu verbessern und Tengen nachzuschieben.

Etwa 450 Zuhörer kamen zur zweiten SÜDKURIER-Wahlarena in die Randenhalle.
Etwa 450 Zuhörer kamen zur zweiten SÜDKURIER-Wahlarena in die Randenhalle. | Bild: Hanser, Oliver

Sechs Typen, die sich auf mal einig sein können

So unterschiedlich die Redebeiträge der Kandidaten auf dem Podium mit Blick auf Redezeit und Qualität sind, beim Thema Klima- und Umweltschutz sind sie sich nahezu einig. Tengen stehe mit den bald zwei Windparkanlagen, dem Fernwärmenetz und dem Ausbau von PV-Anlagen auf den städtischen Dächern im Vergleich mit anderen Gemeinden im Landkreis sehr gut da. Auffällig ist aber, dass Fabian Kern, der für einen Carsharing-Dienst in Freiburg arbeitet, sehr häufig auf die Thematik zu sprechen kommt. So auch in diesem Punkt, denn er wolle im Fall seiner Wahl auch in Tengen ein Car-Sharing-Modell einrichten

Tengen hält zusammen – wenn nicht gerade Wahl ist

Thomas Wezstein lobt das bürgerliche Engagement in Tengen. So seien die Bürger bereit anzupacken, was etwa der Bürgerverein in Büßlingen zeige. Für Selcuk Gök sei es wichtig, alle Ortsteile zusammenzubringen. Deshalb seien für ihn runde Tische mit themenspezifischen Punkten denkbar. Fabian Kern könne sich eine digitale Vereinsplattform vorstellen, um dort Sitzungen abzuhalten, sollte man einmal nicht an einer Veranstaltung teilnehmen.

Der Herr der Fragen: Jörg-Peter Rau, Mitglied der Chefredaktion des SÜDKURIER.
Der Herr der Fragen: Jörg-Peter Rau, Mitglied der Chefredaktion des SÜDKURIER. | Bild: Hanser, Oliver

Das ruft Selcuk Gök auf den Plan, der vehement widerspricht: „Vereinsleben lebt vom Miteinander, das ist digital nicht möglich.“ Für Gertrud Homburger sei es wichtig, dass die Stadt den Vereinen auch weiterhin die Möglichkeit gebe, die städtischen Gebäude kostenlos zu nutzen. Sven Müller wolle den Vereinen im Rathaus gezielte Ansprechpartner zur Verfügung stellen. Roland Weibezahl hat große Ziele, die findet er wieder in der Förderfibel: Von dem dortigen Budget von 2,44 Milliarden Euro wolle er eine halbe Millionen Euro an Fördergeldern nach Tengen holen. Wie er auf diese Summen kommt, bleibt unklar.

Die Sache mit der Integration

Die Flüchtlingsthematik haben alle Kandidaten auf der Agenda – der eine mehr, der andere weniger. Gertrud Homburger will bei der Integration auf Sprache und Arbeit setzen. Für Fabian Kern sei es keine gute Lösung, geflüchtete Menschen zentral unterzubringen. Selcuk Gök hebt hervor, dass das Miteinander und das Leben erst Menschen integrieren werde und dass es ein langer bürokratischer Weg hin zu einer Sprachförderung sei.

Guter Moderator mit einem Gespür für Tengen: Stephan Freißmann, Leiter der Lokalredaktion des SÜDKURIER in Singen.
Guter Moderator mit einem Gespür für Tengen: Stephan Freißmann, Leiter der Lokalredaktion des SÜDKURIER in Singen. | Bild: Hanser, Oliver

Thomas Wezstein will bei der Integration auf Synergieeffekte mit umliegenden Gemeinden setzen. Sven Müller bringt Technik ins Spiel und könne sich Übersetzungs-Apps vorstellen – auch im Kindergarten und in der Schule. Er sehe die Unterbringung nicht in kurzfristigen Bauten, sondern wolle, dass diese – sollte die Flüchtlingskrise überwunden sein – in den normalen Wohnungsmarkt übergehen werden.

Bei Fragerunde wird der Ton rauer

Bei der anschließenden Fragerunde der Zuhörer wird deutlich: Nicht jeder Tengener findet die Lösung mit zwei Kandidaten aus der eigenen Stadt optimal. Josef Ritzi wittert gar Unehrlichkeit. Die beiden Angesprochenen reagieren entspannt. „Es ist meine freie Entscheidung, ob ich kandidiere oder nicht“, sagt Homburger. Auch Wezstein entgegnet, dass der Bürger entschieden habe, dass es einen zweiten Wahlgang gebe. Und dafür sei es möglich, dass sich neue Kandidaten melden.

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Theresia Zendler will wissen, ob beide Kandidaten überhaupt neutral als Bürgermeister arbeiten können. Auch dort sind sich Homburger und Wezstein einig: Beide wollen sich losgelöst für die Tengener Bürger einsetzen.

Und wie bekommt man den Flächenverbrauch in den Griff?

Renate Hönscher spricht den Flächenverbrauch der Gemeinde an – vor allem mit Blick auf die Landwirtschaft. Fabian Kern und Sven Müller geben die Marschroute der Innen- vor der Außenverdichtung vor. Gertrud Homburger wolle Biotope aufwerten, um diese dann als Ausgleichsflächen anbieten zu können. Selcuk Gök macht deutlich, dass Ausgleichsflächen etwa für neue Baugebiete nicht immer zu Lasten der Landwirte vergeben werden dürfen. Auch Thomas Wezstein sieht dies so: „Wir dürfen gut zu bewirtschaftende Flächen nicht einfach so verbraten.“ Roland Weibezahl will ein geschickteres Flächenmanagement einführen.