Wie kann eine ländliche Region ihr Potenzial nicht nur abrufen, sondern elementar steigern? Mit dieser Frage beschäftigt sich derzeit die Stadt Tengen in Kooperation mit einem Projekt, das andernorts deutschlandweit aufhorchen lässt, auch durch große Fernsehsender. Eine völlig neue Wohnform im Tengener Areal Kalkgrube mit kleineren Einfamilienhäusern und gemeinschaftlich nutzbaren Räumen in Kombination mit dem Schloss Blumenfeld soll dem Leben und Arbeiten auf dem Land zu einer stark gesteigerten Attraktivität verhelfen. Gut 20 Pioniere verschiedenster Berufsgattungen haben das zuvor brach liegende Schloss Blumenfeld zum Leben erweckt. Ko-Dorf heißt das Projekt, das Menschen aus Großstädten anziehen, aber auch Interessenten aus der umliegenden Region und Einheimische einbinden soll.
„Wir wollen ein neues Leben und Arbeiten in der ländlichen Region ermöglichen. Dazu gilt es aber, die nötigen Bedingungen zu schaffen“, erklärt Tengens Bürgermeister Marian Schreier. Noch im vergangenen Jahr verfehlte er bei der Stuttgarter Oberbürgermeisterwahl nur knapp den Sieg. Nun will er nach Großstadt-Plänen mit Elan einschneidende Verbesserungen der regionalen dörflichen Strukturen initiieren.

Die Idee setzt der frühere Journalist Frederik Fischer als selbst ernannter Amateur-Städteplaner in Kooperation mit einem Münchner Architektur-Büro im brandenburgischen Wiesendorf um. „Mehrere relevante Umfragen haben ergeben, dass ein Großteil der Bevölkerung lieber auf dem Land als in großen Städten lebt und auch gerne umziehen würde.
Bedingungen haben sich verändert
Die Bedingungen, wie Arbeits- und Studienplätze, ließen dies bisher nicht zu. Durch die wachsende Mobilität der Arbeitsplätze, wie durch Heim-Büros, hat sich die Ausgangsposition grundlegend verändert“, betont Fischer. Der Begriff Ko-Dorf beziehe sich auf das gemeinschaftlich Leben und Arbeiten, er ziele aber auch etwas provokant auf die Bezeichnung Kuhdorf, der nachdrücklich widerlegt werden soll.
Der früher in Bayern lebende Fischer hat im brandenburgischen Wittenberge auch den Sommer der Pioniere ins Leben gerufen. Es sei dort gelungen, Kreativ- und Digital-Beschäftigte aus den Großstädten aufs Land zu holen und gemeinsam mit den Menschen vor Ort eine nachhaltige Zukunft zu gestalten. „Eine wachsende Zahl gut ausgebildeter Menschen in den Großstädten sucht vermehrt nach Ruhe und Gestaltungsräumen“, sagt Fischer.

Der Sommer der Pioniere vereint auch im Schloss Blumenfeld in einem halben Jahr kreative Berufstätige, wie Architekten, Regisseure, Modellbauer, Programmierer und weitere Sparten-Vertreter. Sie bereichern sich gegenseitig in ihren Tätigkeiten, indem sie in gemeinsamen Räumen arbeiten. Die Pioniere wohnen auch im Schloss.
„Den Traum vom Eigenheim kann sich durch die rasant gestiegenen Preise kaum noch jemand leisten. Auch nicht in der ländlichen Region“, erklärt Fischer. Die geplante Wohnsiedlung in Tengen sei mit relativ kleinen Häusern geplant. Die Wohnflächen sollen sich von 30 bis zu 80 Quadratmetern erstrecken. Dies verringere die Preise erheblich.
Die Bezieher der Häuser müssten nur etwa 30 Prozent der Kosten finanzieren. Diese sollten über Wohngeld abbezahlt werden. Im Gegenzug gebe es Wohnrecht auf Lebenszeit. Den größten Brocken, 70 Prozent, finanziere eine zu gründende Genossenschaft. Eine solche Rechts- und Unternehmensform mit einer hohen Zahl von Bürgeranteilen finanziert und betreibt auch das kürzlich eröffnete Ärztehaus samt sozialen Einrichtungen in der Tengener Mitte.
Bürger sollen einbezogen werden
„Wir wollen die Bürger in einem offenen Prozess stark in die Planungen einbinden. Der Gemeinderat hat bereits grundlegend das Projekt gutgeheißen. Eine endgültige Abstimmung darüber soll noch bis Ende Herbst/Anfang Winter erfolgen“, verrät Bürgermeister Marian Schreier. „Das neue Projekt soll auch eine dauerhafte Nutzung des Schlosses ermöglichen. Ziel ist es, auch noch freie Flächen gemeinschaftlich zu nutzen“, so Schreier.
Nachhaltig und umweltbewusst
Die Wohnsiedlung soll nachhaltig und umweltbewusst in ökologischer Bauweise erstellt werden. „In Tengen und den Stadtteilen erhalten auch weiterhin gerade junge Familien die Möglichkeit, klassische Eigenheime zu bauen. Die Wohnsiedlung bekommt aber auch den Charakter, wie die Menschen früher zusammengelebt haben. Damals waren es Großfamilien, die zusammen gewohnt und gearbeitet haben“, zeigt Schreier auf.
Es könnten auch ältere Menschen zum Zug kommen, die beispielsweise ihr bisheriges Eigenheim den Kindern überlassen haben. Angebote wie Pflegeleistungen können integriert werden. Zudem befinde sich das Tengener Pflegeheim in unmittelbarer Nachbarschaft. Auch eine Gastronomie, wie das vorhandene Blumenfelder Schlosscafé, oder ein Hofladen wären eine Bereicherung des gemeinschaftlichen Lebens.
Gemeinschaft soll gepflegt werden
In den eigenen vier Wänden wohnen und zugleich die Gemeinschaft pflegen, dies sei vielen Menschen ein großes Anliegen und schaffe auch einen großen Mehrwert, sagt Frederik Fischer. „Zwischen der Wohnsiedlung und dem Schloss Blumenfeld liegen gerade mal etwa zwei Kilometer. Die lassen sich über einen Wirtschaftsweg gut mit dem Fahrrad oder zu Fuß bewältigen“, betont er. In Tengen sei die nötige gemeindeeigene Fläche von zwei Hektar für eine Wohnsiedlung im Gegensatz zu Blumenfeld vorhanden.
Eine Informationsveranstaltung findet heute, Mittwoch, 27. Oktober, um 19 Uhr in der Randenhalle statt, in der Konzept und Planung des Ko-Dorfes vorgestellt werden.