Pferde sind besondere Tiere, gelten als sensibel und schlau. Pferd Snow ist zudem verfressen und knabbert schon mal an Schnürsenkeln, wenn es keine Karotten gibt. Weil der Wallach so lustig sei, sammelt er Sympathiepunkte bei Melina Laurenzana, die ihn einen Nachmittag lang pflegen und reiten darf. Die Zwölfjährige nimmt bereits zum zweiten Mal an der Greuthof-Benefizaktion teil. Denn Pferde würden die Folgen ihrer Erkrankung Hydrocephalus, auch Wasserkopf genannt, lindern. Das beobachtete ihre Mutter Ivonne Lutz schon einmal, diesmal mit einer SÜDKURIER-Reporterin im Schlepptau.

Es ist 13 Uhr. Melina steht mit fünf anderen Kindern um Initiator Steffen Krüger vor den Stallungen in Volkertshausen. Ein Pferd lugt heraus, neugierig, wer zu Besuch kommt. Damit es sich nicht erschreckt, sollten sich die Kinder ruhig verhalten, erklärt Krüger freundlich. Melina geht langsam mit den anderen Kindern zur Reithalle. Langsam sei der Zwölfjährigen recht, denn sie habe manchmal Probleme mit dem Gleichgewicht.

„Melina wackelt mit dem Kopf, stolpert mal und hat eine schwache Muskulatur von den Beinen bis zu den Füßen“, erklärt Mutter Ivonne Lutz. Das sind Folgen der Erkrankung, bei der sich viel Gehirn- und Rückenmarksflüssigkeit im Schädelinneren ansammelt, was zu Druck im Kopf führt und auf das Gehirn wirkt. Auch habe sie eine Sehschwäche davongetragen, erklärt Lutz. Doch das hält ihre Tochter nicht von Aktivitäten ab. Zum Beispiel liebe sie Singen und Malen, erzählt Melina auf dem Weg in die Halle.
Selbstbewusst mit Pferden
Dort stehen sechs Pferde mit ihren sogenannten Menschenfreunden parat. Das sind Freiwillige, die den Kindern ihre Tiere einen Nachmittag lang an die Hand geben, sie beim Pflegen und Reiten betreuen – alles im Rahmen der Benefizaktion, die schon zum sechsten Mal stattfindet.
Ganz rechts in der Halle steht das rotbraune Paint Horse Snow mit Mentorin Monja Neumeister – Melinas Begleiterin beim Putzen und Striegeln. Selbstbewusst geht die Zwölfjährige auf Snow zu, begrüßt ihn mit einem breiten Lächeln und einer Streicheleinheit. Der Wallach lässt sich gerne unter der Mähne kratzen, weiß Monja Neumeister. Tatsächlich dreht Snow den Kopf zur Seite und scheint zu grinsen. „So ein feiner Kerl“, sagt Melina, die ihren Kopf plötzlich stiller hält.
„Ich finde es schön, wenn sie sich konzentriert und nicht mehr wackelt“, sagt Mutter Ivonne Lutz gerührt. Sie beobachtet ihre Tochter aus einiger Entfernung zum Pferd. Näher traue sie sich nicht heran. „Für meine Tochter tue ich alles, auch wenn mir das Herz klopft“, sagt Lutz. Sie erinnert sich an Melinas Geburt – das Kind klein, mit großem Kopf und vielen anstehenden Operationen. Heute freue sich die Mutter, ihre „hübsche, herzliche Tochter“ glücklich und mutig mit Pferden zusehen.
Pferde haben eine besondere Wirkung auf Melina
Nach dem Striegeln und Hufputzen ist Melina müde und geht auf dem Sandboden in die Hocke. Das lange Stehen und Gehen mache ihr zu schaffen, erklärt Ivonne Lutz. Kraft koste an diesem heißen Sommertag auch die geballte Wärme in der Halle. Gut, dass Initiator Steffen Krüger zu einer Trinkpause einlädt, bevor es in den Sattel geht. Nach einem erfrischenden Saft sattelt Melina gemeinsam mit Mentorin Neumeister den Wallach, der als Dank eine Karotte zugesteckt bekommt.
Im Sattel geht es in den Parcours. „Sie macht das ganz toll und hat Spaß dabei“, sagt die Mentorin erfreut. Melina wirkt auf dem Pferderücken immer entspannter, mit einem vollkommen stillen Kopf und breiten Lächeln im Gesicht. Es scheint, als hätte sie die Kontrolle über die Bewegungsstörung gewonnen. „Die Pferde beruhigen sie, sie lässt sich fallen“, sagt ihre Mutter.
Essen und Worte kommen von Herzen
Gegen 16 Uhr endet die Benefizaktion. Für Initiator Steffen Krüger ist es jedes Mal ein Fest, Kindern, die es nicht immer leicht im Leben haben, ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern. „Das gibt mir Kraft und Motivation, weiterhin solche Tage zu organisieren“, so Krüger und wirft ein paar Würstchen auf den Grill. Denn zum Abschluss essen Kinder, Eltern und Helfer gemeinsam, während die Pferde zurück im Stall eine Pause haben.

Wie hat Mutter Ivonne Lutz und Melina der Tag gefallen? Beide sind glücklich und beißen zufrieden ins Wurstbrötchen. Weil es Melina auf dem Pferd so gut ging, denkt Lutz über Reittherapien nach.
Hilfe bei der Suche nach professionellen Therapien
Es gibt verschiedene pferdegestützte Therapien, erklärt Annette Gomolla vom Therapiehof Hegau in Rielasingen-Worblingen. „Wir schauen uns die Anliegen der Klienten an und entscheiden, welche Förderung die richtige ist“, sagt die Psychologin. In Melinas Fall sei eine pferdegestützte Therapiestunde mit konzentrationsfördernden Übungen eine Option. Muskeln könnte die Zwölfjährige im Rahmen einer pferdgestützten Physiotherapie (Hippotherapie) fördern.
Weil Pferde sensibel seien, Geborgenheit bieten und Menschen zu neuen Verhaltensweisen motivieren, seien sie gute Co-Therapeuten. „Stuten haben einen Beschützerinstinkt, bei Menschen mit Erkrankungen zeigen sie sich zart“, sagt Gomolla. Die Pferde vom Therapiehof seien über einen langen Zeitraum auf alle möglichen Störfaktoren wie Lautstärke trainiert worden, betont Gomolla.
Das natürliche Fluchtverhalten der Tiere sei reduziert, damit sie während der Therapie ausgeglichen blieben und keine Unfälle passieren. „Das wäre für Pferd und Klient gefährlich“, sagt die Psychologin.

Wohl fühlte sich Melina auf dem Greuthof. Eine pferdegestützte Therapie könnte dazu beitragen, die Folgen ihrer Erkrankung zu mildern. Im Alltag nimmt sich Melina so, wie sie ist, sagt Ivonne Lutz. Die Erkrankung gehöre zu ihr ebenso wie ihr Wille, unaufgehalten aktiv zu sein – und das werde ihre Mutter immer unterstützen.