Im grünen Arztkittel, chirurgischem Mundnasenschutz und natürlich mit Helm fährt Friedrich Kähny auf seinem Motorrad von der Landwirtschaft Mariaberg in den Stadtteil auf Hausbesuch. Der Allgemeinmediziner hat sein Lager in einem Wohnwagen hinter dem Gewächshaus aufgeschlagen; Strom bezieht er vom Hühnerstall, zum Duschen geht es in die Gemeinschaftsgebäude des Landwirtschaftshofes. Hier wohnt er seit dem Frühjahr selbstgewählt: Der 71-Jährige kehrte zur Unterstützung seiner ehemaligen Kollegen nach sechs Jahren aus dem Ruhestand zurück in die allgemeinmedizinische Praxis des Medizinischen Versorgungszentrums Mariaberg gGmbH. Gerade rechtzeitig zur Corona-Pandemie, die auch in den Wohnangeboten für Menschen mit Behinderung Einzug hielt, informiert die Einrichtung in einer Pressemitteilung über dieses ungewöhnliche Engagement.
„Er hat sich nicht vor der Herausforderung weggeduckt“
Dr. Martin Menzel ist Chefarzt des Fachkrankenhauses für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Geschäftsführer des medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) in Mariaberg. Er hat große Anerkennung für seinen Kollegen übrig, der sich schon zum zweiten Mal „nicht vor der Herausforderung hinweggeduckt hat“. Wenn jemand Interesse an Medizin habe, sei Mariaberg so eine Art „El Dorado“, meint er: neben interessanten pathologischen Fällen und Mehrfachdiagnosen sind vielfältige Disziplinen auf dem Berg beheimatet.

Arzt in Mariaberg zu sein ist ein Job für Allrounder
„Was man sich zutraut, wird hier auch gemacht“, so Kähny. Das soll nicht abschrecken, denn die Zusammenarbeit mit den Kollegen/innen ist engmaschig und in kurzen Dienstwegen möglich. Gleichzeitig dürfe man keine Scheu haben, das Netzwerk der Expertise zu nutzen: „Wenn ich mal nicht weiterkomme, ist das nicht schlimm. Dann rufe ich im Sigmaringer Krankenhaus an und frage nach. Man ist nicht alleine. Man muss sich nur trauen, zu fragen.“ Kähny wird den „Stadtteil mit besonderem Charme“ noch eine Weile medizinisch betreuen und in seinem Wohnwagen überwintern. Das Motorrad tauscht er auf den Winter hin allerdings gegen einen Pkw aus. Arbeit gibt es hier immer, deshalb wird dringend eine Unterstützung und Nachfolge gesucht. „Wer Medizin gerne macht, der ist hier gut aufgehoben!“, so Kähny.
„Gutes Händchen bei Patienten mit geistiger Behinderung“
Kähny ist Arzt aus Berufung; er wollte von Beginn seiner Ausbildung an nie in einer „Schreibtischpraxis“ landen, erzählt er. Perfekt für den Standort Mariaberg, wo auch ein besonders gutes Händchen bei Patienten mit geistiger Behinderung gefordert ist. Manchmal komme jemand wegen eines Schnupfens zum Doktor, und eigentlich ist es doch ein gebrochenes Herz. „Wenn du den Job lange machst, bist du auch Lehrer“, so Kähny. Besondere Freude hat er daran, den Patienten den Befund und die Maßnahmen zu erklären. „Man muss ehrlich sein zu seinem Patienten, und sich um die Sprache bemühen, die er spricht und versteht.“ Wichtig sei auch, die Kompetenzen an die Pflegekräfte weiterzuvermitteln, weil das deren Motivation stark erhöhe. „Auf die Menschen hier einzugehen ist eine große intuitive Aufgabe; das ist die Aufgabe eines Arztes. Betrügen darf man sie nicht.“

Flächendeckende Testungen und Antigen-Testkartuschen in Mariaberg
Das Team bestehend aus dem MVZ, der Rettungsgruppe, Menzel, Kähny, Ingeborg Erbe, Dr. Rainer Boldt und Dr. Detlef Wagner strengte seit Beginn der Corona-Pandemie flächendeckende Testungen und umfangreiche Laboruntersuchungen bei den klinisch stark betroffenen Covid-Patienten in Mariaberg an. Mittlerweile ist das MVZ mit einem PCR-Testgerät sowie Antigen-Testkartuschen ausgerüstet. Auch in anderen Bereichen ist das MVZ gut aufgestellt: „Ich denke, dass wir da relativ fortschrittlich sind und – außer einem Spiral-CT, den wir nicht haben – im Endeffekt in der Eingangsdiagnostik alles machen, was auch in der Uniklinik in der Notaufnahme bei Covid-19-Patienten gemacht wird“, erklärt Menzel weiter.
Im Ländlichen Raum fehlt der medizinische Nachwuchs
Im MVZ gibt es Praxen für Allgemeinmedizin, Psychiatrie und Psychotherapie, die in enger interdisziplinärer Zusammenarbeit mit der ebenfalls vorhandenen Ergotherapie, Logopädie und Physiotherapie stehen. Kurze Wege, alles unter einem Dach. Das bringt eine vielfältige Palette an Jobs im medizinischen Bereich mit sich, dazu attraktive Fortbildungsangebote wie zum Beispiel zum Arzt für Menschen mit Behinderung. Die Praktika dazu lassen sich vor Ort in Mariaberg absolvieren. Hier tätiges allgemeinärztliches Fachpersonal könnte zudem zu 50 Prozent in der Kinder- und Jugendpsychiatrie mitarbeiten und sich auch in diesem Bereich weiterbilden. Und dennoch fehlt der medizinische Nachwuchs; ein Problem, das für den gesamten ländlichen Raum besteht. Hinzu kommt die fachliche Herausforderung: „Wenn man hier in der Allgemeinmedizin tätig sein will, braucht man eine sehr gute Qualifikation. Es ist aber sehr schwierig, junge qualifizierte Ärzte oder Ärztinnen zu gewinnen, die zudem mit Menschen mit Behinderung arbeiten wollen. Damit müssen wir und auch andere Einrichtungen zurechtkommen“, sagt Menzel.