Wohin mit der Martinsgans, wenn das traditionelle Martinsgansessen im Restaurant aufgrund der coronabedingten Gastronomieschließung im November ausfallen musste oder muss? Auf diese Absatzproblematik für Geflügelhöfe weist Helga Futterknecht aus Mühlingen, Vorsitzende des Geflügelwirtschaftsverbandes Baden-Württemberg e.V., hin. Beim Verband hätten sich schon einige verzweifelte Geflügelbetriebe gemeldet. Sollte die Gastronomieschließung über den November hinaus anhalten oder die Corona-Vorgaben Gastronomiebesuche in größeren Gruppen, Weihnachtsfeiern oder Familienessen an Weihnachten verbieten, wird es auch für den Absatz der Weihnachtsgänse eng. Ein weiterer Punkt, der den Druck erhöht, seien Schnellmastgänse aus Polen, die noch nie Sonnenlicht gesehen haben, sagt Geflügelzüchter Manfred Haug. Diese finden sich überwiegend als Tiefkühlware in den Supermärkten.
Haushalte werden immer kleiner
„Eine Weihnachtsgans mit Knödeln und Rotkraut ist ein Festmahl, wenn zehn Leute am Tisch sitzen“, unterstreicht die Verbandsvorsitzende. Ein Gänsebraten wiegt zwischen fünf und sechs Kilogramm. Die Haushalte werden jedoch immer kleiner, unterstreicht sie. Meist fehle auch die Erfahrung bei der Zubereitung einer Gans. „Eine selbst zubereitete Gans schmeckt anders, als wenn ich sie in der Wirtschaft esse“, sagt Helga Futterknecht.
Jährlich rund 5000 Freiland-Gänse bei Haug
Auf dem Geflügelhof von Manfred Haug aus dem Meßkircher Ortsteil Rohrdorf werden jährlich auf Weihnachten neben Puten rund 5000 Freiland-Gänse großgezogen. Die Tiere kommen Mitte Mai als Eintagsküken aus Norddeutschland und werden im Rohrdorfer EU-Betrieb in Freilandhaltung in zwei Gruppen aufgezogen. Eine Aufzuchtgruppe für Martini, eine Aufzuchtgruppe für Weihnachten. Die Weidegänse werden auf Gras und dem Haferfeld gehalten und mit Mais bis in den Herbst gefüttert. Gänse mit 20 bis 24 Lebenswochen haben das ideale Schlachtalter. Die Schlachtung der Tiere im EU-Betrieb von Manfred Haug erfolgt in der eigenen Schlachtung durch einheimische, feste Mitarbeiter.
„Ich habe keine Absatzsprobleme“, gibt Manfred Haug an. Er beliefert nach dem Motto „kurze Wege aus der Region“ Großmärkte in Stuttgart und Reutlingen. Da die Haushalte stetig kleiner werden, geht der Trend hin zu Gänseteilen. Davon hält Manfred Haug nicht viel aufgrund der Wertschöpfung des ganzen Tieres und der Nachhaltigkeit.
80 zerlegte Gänse für Überlinger Hotel

Viele Gastronomen haben Gänsebraten im Außer-Haus-Verkauf, wie das Parkhotel St. Leonhard in Überlingen über die Martinstage. Die Köche Anas Kowaider und Paul Hutnik holten just beim SÜDKURIER-Besuch auf dem Geflügelhof 80 zerlegte Gänse eigenhändig ab und überzeugten sich vor Ort von der Qualität des Produktes.
Seit 45 Jahren im Geflügelgeschäft
Ein weiterer Absatzmarkt für den Geflügelhof Haug ist der regionale und bayerische Geflügelgroßhandel, „Betriebe, zu denen ich Vertrauen habe“, so Haug. Manfred Haug ist seit 45 Jahren im Geflügelgeschäft. Er sei der erste Pionier in Süddeutschland gewesen, der eine Putenmast besaß. Sein Sohn Tobias sei nun für die Gänsevermarktung zuständig. Bis in zwei Jahren werden Schwiegersohn und Tochter den Betrieb übernehmen und der jetzt 72-jährige Manfred Haug will sich im Alter nur noch der Kundenbetreuung widmen. „Ich würde es nicht anders haben wollen“, betont er. Er lebe mit dem Betrieb, weiß jedoch: „Ohne meine Frau Andrea, als Seele und Managerin des Betriebes ginge es nicht.“
Probleme vor allem in Norddeutschland
Da in Süddeutschland grundsätzlich weniger Gänse aufgezogen werden, betrifft der Druck am Gänsemarkt hauptsächlich Betriebe in Norddeutschland. „Wenn im Dezember die Gastronomie wieder öffnet, hat sich das Problem erledigt“, glaubt Manfred Haug. Staatliche Hilfen gibt es nur für die Gastronomie, nicht für die Zulieferer, erklärt Helga Futterknecht. Sie ist dennoch optimistisch: „Die Gänsehalter hoffen, dass die Gaststätten die Gänsesaison deshalb bis Januar ausweiten, damit die Gänse so dann doch noch an den Mann oder die Frau kommen.“ „Die Gänse sind zum jetzigen Zeitpunkt fertig und werden geschlachtet und können nicht noch länger gehalten werden, weil sie sonst verfetten“, erklärte jüngst Dieter Oltmann vom Niedersächsischen Geflügelwirtschaftsverband.