Die Zahl der Austritte aus der katholischen Kirche, vor allem in Baden-Württemberg, Bayern und Nordrhein-Westfalen, ist nach wie vor hoch. Im Jahr 2021 traten 359 205 Personen aus der Kirche aus. Auch den Dekan des Dekanats Sigmaringen-Meßkirch und Pfarrer der Seelsorgeeinheiten Meßkirch-Sauldorf und Wald, Stefan Schmid, beschäftigen diese Zahlen sehr. In der Seelsorgeeinheit Meßkirch kommt er auf ein Minus von 102 im Jahr 2022, wenn er von der Anzahl der Taufen die Summe aus Austritten und Beerdigungen abzieht.

Jeder Austritt macht sich finanziell vor Ort bemerkbar

„Wenn jemand aus der Gemeinschaft fehlt, ist das eine ideelle Katastrophe“, beschreibt Dekan Stefan Schmid die Konsequenzen eines Kirchenaustritts. Jeder Austritt mache sich zwar auch finanziell in der Pfarrei vor Ort bemerkbar, doch noch schlimmer empfindet er die Tatsache, dass sich jemand aus der Gemeinschaft verabschiedet. Aus diesem Grund macht er sich die Mühe und schickt jeder Person, die austritt, einen freundlichen Brief mit der Bitte, ihm die Gründe für den Austritt zu nennen. Auf die Dutzend Briefe, die er zuletzt geschrieben habe, habe er lediglich zwei Rückmeldungen bekommen.

Auch Senioren treten aus der katholischen Kirche aus

Das Altersspektrum derjenigen, die austreten, sei sehr breit. Das reiche von den Zwanzigjährigen bis ins Seniorenalter, doch die meisten seien zwischen 20 und 40 Jahre alt. „Eine Frau aus meinem Pfarrbezirk sagte mir, das Preis-Leistungs-Verhältnis stimme in der Kirche nicht“, erzählt der Dekan. Sie habe es damit begründet, dass weniger Gottesdienste in den einzelnen Ortsteilen stattfänden, auch an Festtagen. Dazu meinte Stefan Schmid: „Viele wissen gar nicht mehr, was Kirche alles leistet. Für sie ist Kirche der Pfarrer, das Pfarrhaus und die Kirche als Gebäude.“ Die Kirche sei jedoch Träger vieler öffentlicher Einrichtungen und unterstütze zahlreiche soziale und gesellschaftliche Projekte, die für die Gesellschaft wichtig seien. Er verweist auf die Jugendarbeit, die Bibliotheken, die Bildungswerke, Chöre, Besuchsdienste, die Bildung mit den Kindergärten, Schulen und Hochschulen, die sozialen Dienste von Sozialstationen, in Krankenhäusern oder in der Notfallseelsorge. Die Liste könnte er fortsetzen. „Die Kirche ist ein unglaublich aktiver Player“, versichert er stolz gegenüber dem SÜDKURIER.

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Die Kirche ist die zweitgrößte Arbeitgeberin im Land

Die Kirche sei nach wie vor die zweitgrößte Arbeitgeberin in Deutschland nach dem Staat. Doch wenn die Einnahmen sinken, spüre man das direkt vor Ort, denn die Zuwendungen aus der Diözese Freiburg hängen mit der Anzahl der Gemeindemitglieder zusammen. Rutscht die Anzahl der Katholiken unter eine bestimmte Grenze, wirke sich dies auf den Personalschlüssel vor Ort aus. Dann werde die Anzahl der pastoralen Mitarbeiter reduziert und auch im Pfarrbüro kommt es zu Stundenkürzungen, was sich wiederum auf die Betreuung auswirke.

Mehr Aufwendungen für Gebäude

Die Kirche habe zwar noch Immobilien vor Ort durch Pfarrhäuser oder andere Gebäude, doch brauchten diese mehr Aufwendungen als dass sie Profit erwirtschaften. Sie abzustoßen sei kein leichter Schritt, denn es sei stets ein hoher emotionaler Akt, ein Pfarrhaus zu verkaufen. Zumeist handle es sich um ein historisches Gebäude, das stark renovierungsbedürftig und teilweise denkmalgeschützt sei.

Kritik betrifft zumeist den Papst, die Bischöfe oder Missbrauchsfälle

Die Kritik an der Kirche betreffe zumeist den Papst, die Bischöfe oder beziehe sich auf Missbrauchsfälle. „Das, was an Missbrauchsfällen geschah, ist auch wirklich sehr schlimm“, betont der Dekan. Doch alle hätten daraus gelernt und es gebe viele Vorgaben und Regeln, um dies zukünftig zu verhindern. Die Übergriffigkeit sieht er auch in Verbindung mit der Macht. Es brauche die Ämter, um das Unternehmen am Laufen zu halten. „Doch die Pfarrer sind früher auch auf einen Sockel gestellt worden.“ Dies habe sie ein Stück weit unangreifbar gemacht.

Bislang keine Anfeindungen gegenüber Stefan Schmid

Für Dekan Stefan Schmid ist die Gemeinschaft äußerst wichtig, deshalb beklagt er jede einzelne Person, die sich von der Kirche abwendet. Er betont die Schönheit des Glaubens, der jeden so annehme, wie er sei. Er habe bisher auch noch nicht die Erfahrung gemacht, dass er persönlich angegangen oder beleidigt worden sei. Die meisten bestätigten, dass es gut sei, was Kirche vor Ort mache. Das größte Problem sieht der Dekan in der Entfremdung.

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Menschen lösen sich von der Kirche ab

Über Jahre und Jahrzehnte beobachte er einen inneren Ablösungsprozess. „Ich habe nichts davon“, habe ein junger Mensch geantwortet, als er ihn dazu befragte, warum der sich von der Kirche abwende. Man engagiere sich eher in Vereinen, in denen man Sport oder Ähnliches mache. Da die Menschen sehr autonom geworden seien, sei die Gemeinschaft wohl weniger wichtig geworden. „Und die Auseinandersetzung mit dem Glauben. Wer macht das noch?“, bedauert der Dekan. Dass solche Gespräche jedoch guttun, erlebt er in Begegnungen mit jungen Paaren, die heiraten wollen, in Tauf- oder Trauergesprächen. Es sei eine positive Erfahrung, dann ganz bei den Menschen und an der Basis zu sein. Das, was an Gutem in der Kirche geschehe, bekomme man kaum noch mit, da sich die Negativschlagzeilen dominant in den Vordergrund geschoben hätten, bedauert der Dekan. Er sieht die Abkehr von der Kirche auch als gesamtgesellschaftliches Phänomen, da Gesetze und Regeln keine Rolle mehr spielen würden.

Kirchensteuer ist für viele ein Grund zum Austritt

Ein weiterer nicht unerheblicher Grund für einen Austritt sei immer wieder das Thema Kirchensteuer. Aber ohne diese könne die Kirche ihrer bisherigen, vielfältigen Dienst nicht mehr fortführen. „Und wenn jemand viel Kirchensteuer bezahlt, dann verdient er ja auch viel“, sagt der Dekan lachend. Freuen kann er sich über schöne Entwicklungen in seiner Pfarrei, wie beispielsweise über die Jugendarbeit oder die Anmeldungen zur Firmung in diesem Jahr. Zwei Drittel der angeschriebenen Jugendlichen haben sich zur Firmung angemeldet. Das lässt ihn positiv in die Zukunft blicken.

Finanzen im Erzbistum Freiburg

Viele Personen, die aus der katholischen Kirche austreten, geben die Kirchensteuer als Grund an. Allerdings unterstütze sie für die Gesellschaft wichtige Einrichtungen, wie Stefan Schmid betont. Dazu gibt es eine Auflistung des Erzbistums Freiburg, wie sich die Finanzen verteilen:

  • 30 Prozent werden für die allgemeine Pastoral und besondere Seelsorge bereitgestellt: in den Gemeinden, Krankenhäusern, in Jugend-, Familien- und Seniorenarbeit sowie für Menschen mit Behinderung
  • 20 Prozent kommen den sozialen Diensten zugute – davon werden Menschen in Not und Armut unterstützt sowie die kirchlichen Kindergärten.
  • 14 Prozent werden für Bildung eingesetzt – in Schulen und Hochschulen, für Lehrerinnen und Lehrer, Studierendenwohnheime und Hochschulgemeinden, für Bildungswerke und Büchereien.
  • 16 Prozent werden dem Seelsorgepersonal zur Verfügung gestellt – Priester, Diakone und Ordensleute, Pastoral- und Gemeindereferenten.
  • Elf Prozent werden für die Verwaltung benötigt – dazu gehören zentrale kirchliche Einrichtungen, die Entlastung der Seelsorger von Verwaltungsarbeit sowie die Altersvorsorge.
  • Neun Prozent werden in die Infrastruktur im Kirchengemeindebereich investiert – zur Gebäudeerhaltung, energetischen Sanierung und für Neubauten.

Weitere Informationen im Internet unter: www.ebfr.de/finanzen