Schon vor Betreten des Herz-Jesu-Heims wehte dem Gast ein so betörend würziger Duft um die Nase, dass der Blick unwillkürlich einen Rundumschwenk machte, um den Ursprung der aromatischen Wahrnehmung auszumachen. Der strömte tatsächlich aus dem Flur des Gebäudes, in dem Menschen unterschiedlichsten Alters fleißig damit beschäftigt waren, aus seiner Vielzahl Pflanzen dekorative Sträuße zu binden. Hier waren aber nicht etwa der Nachwuchs des Floristengewerbes zugange, sondern Mitglieder der Seelsorgeeinheit Meßkirch-Sauldorf und des Schwäbischen Albvereins, die zu dem uralten Brauch des Kräuterbüschelbindens im Rahmen von Mariä Himmelfahrt eingeladen haben.
Einst als Hexenwerk angesehen
Treibende Kraft dieser Aktion war Ursula Schelling von der Seelsorgeeinheit, die mit Rita Martin sowie Anita und Jochen Metz vom Albverein Tage zuvor jede Menge Pflanzen gesammelt hatten. Sortenrein standen die Kräuter in Eimern mit Wasser aufgereiht im Gang des Herz-Jesu-Heims parat, um mit ihren floristischen Geschwistern in einem duftenden Verbund vereint zu werden. Ursula Schelling und Anita Metz gaben abwechselnd Informationen über die Hintergründe des Brauchs zu Mariä Himmelfahrt und über die zu verwendeten Pflanzen. „Es ist der älteste Brauch der Kirche, Kräuterbüschel zu binden und segnen zu lassen“, sagte Schelling, wobei das Kräuterbinden schon aus vorchristlicher Zeit stamme und die Büschel seinerzeit als Opfer dargebracht worden seien. Die Kräuteropfer wurden in der frühen Christenheit als Hexenwerk angesehen, aber die Menschen wollten partout nicht davon lassen. So hat die Kirche das Ritual beibehalten und der Mutter Gottes den 15. August als Tag ihres Aufstiegs in den Himmel mit geweihten Kräuterbüscheln gewidmet.

Pflanzen duften himmlisch
Für Ursula Schelling gehören Blumen, Kräuter und Heilen ganz natürlich zu Maria, „denn diese Bereiche waren schon immer Domänen der Frauen“. Seit jeher habe man duftende Pflanzen mit dem Himmel in Verbindung gebracht, ebenso war Heilkraft mit göttlicher Fügung verknüpft. „Somit war es naheliegend, dass das Christentum die Mutter Jesu mit heilkräftigen, duftenden Pflanzen verband“. Die Geschwister Lisa und Anna Brender, beide Ministrantinnen in der Seelsorgeeinheit, waren eifrig dabei, die Sträuße in Körben zu platzieren. „Wir freuen uns schon auf den Gottesdienst, in dem die Buschel geweiht werden“, sagte Lisa. Anna ergänzte: „Anschließend dürfen wir sie den Gottesdienstbesuchern mitgeben.“ Beide hofften, dass die Beschenkten auch eine kleine Spende ins Kässlein geben werden, denn, so hatten es die Verantwortlichen verfügt, „die Spenden kommen in die Ministrantenkasse“. Die beiden Mädels kannten sich schon ein bisschen in den Kräutern aus. „Das da ist eine Königskerze, die muss in die Mitte des Buschels“. Denn so schreibt es der Brauch vor, der Blütenstand der Königskerze oder der Nachtkerze steht symbolisch für das Zepter der Himmelskönigin Maria.

Bis zu 99 Pflanzen
In den Sträußen sollen sieben, neun, zwölf, 24 oder 99 Pflanzen stecken. Die Zahlen beziehen sich auf die Bibel und stehen für die Anzahl der Schöpfungstage, die Dreifaltigkeit, die zwölf Stämme Israels, die Apostel. Letztere sind in der 24 verdoppelt und in der 99 findet sich 33-mal die Dreifaltigkeit. In den Kräuterbuscheln zu finden sind Kamille, Pfefferminze, Salbei, Thymian, Johanniskraut, Beifuß, Dost, Schafgarbe, Rainfarn, Frauenmantel, Ringelblume und viele andere. So war es nicht verwunderlich, dass diese geballte Heilkraft mit ihrem intensiven Duft fast zwangsläufig dazu führte, tief einzuatmen, um diese unsichtbaren Wirkstoffe aufzunehmen.
Auch Gemüse eingebunden
Und was geschieht mit den geweihten Kräuterbuscheln nach dem Gottesdienst? „Es war und ist Brauch, sie im Stall oder im Herrgottswinkel neben dem Kreuz aufzuhängen“, sagte Anita Metz. „Einst glaubte man, es soll Unheil abwenden, vor Blitzschlag schützen, Mensch und Vieh gesund erhalten.“ Dass Kräuter und Pflanzen der Gesundheit von Mensch und Tier nützlich sind, daran gebe es auch heute keinen Zweifel. „Im Gegenteil, viel überliefertes Wissen ist von der heutigen Wissenschaft bestätigt worden“, sagte Metz, eine erfahrene Kennerin der Albflora. „Früher waren Kräuter die einzigen Heilmittel.“ Einige der Frauen erzählten, dass nach ihren Erfahrungen auch bestimmte Gemüse wie einzelne Möhren und Zwiebeln in den Strauß eingebunden worden sind – mit den Wurzeln nach oben. „Das Ganze ist dann noch mit einem Kohlblatt umwickelt worden“, so Rita Martin. Was der Grund war, wusste keine der Frauen genau. Es wurde vermutet, dass es mit der Dankbarkeit für die Geschenke der Schöpfung zu tun hat.