Telefongespräche über einen Drogendeal und seinen Ablauf gab es bei einem Prozess am Amtsgericht Sigmaringen zu hören. Die Polizei hatte das Telefon eines verdächtigen 44-jährigen Mannes im Herbst 2021 „angezapft“, um ihn wegen eines Rauschgiftkaufs zu überführen. Im Zuge der Abhöraktion war auch ein Verdacht gegen eine weitere Person – einen 42-Jährigen aus dem Landkreis Sigmaringen – aufgekommen, der sich vor dem Amtsgericht Sigmaringen verantworten sollte. Ihm wurde vorgeworfen, zwar nicht direkt am Drogenhandel beteiligt gewesen zu sein, dem Käufer des Amphetamins aber einen Teil der Summe für den Drogenkauf ausgeliehen zu haben. Der Inhalt der Telefongespräche hatte dies nahe gelegt.

Zeugen entkräften beide Anklagepunkte

Der Verdacht wurde in der Verhandlung nach der Aussage von Zeugen jedoch ebenso entkräftet wie der zweite Anklagepunkt, in welchem dem Angeklagten vorgeworfen wurde, seine Kontaktdaten zu einem mutmaßlichen Drogenhändler im Ausland herausgegeben zu haben. Staatsanwältin Diana Heimberger ließ ihre Anklage im Plädoyer komplett fallen. „Der allein auf die Abhörprotokolle gestützte Verdacht hat sich nicht bestätigt“, sagt sie und forderte einen Freispruch, den Richterin Kristina Selig und die Schöffen schließlich auch als Urteil fällten.

Zwei Kilogramm Amphetamin bestellt

Beim geplanten Drogendeal im Herbst 2021 hatte ein 44-Jähriger laut Ermittlungen der Polizei zwei Kilogramm Amphetamin zu einem Kaufpreis von 5000 Euro bei einem Lieferanten bestellt. Der Mann soll wie abgesprochen das Geld übergeben, die Ware aber nicht erhalten haben, wie aus den abgehörten Gesprächen hervorgeht, über die vor Gericht ein als Zeuge geladener Polizeibeamter informierte. Es handelt sich bei den Maßnahmen der Ermittler um eine sogenannte „Telekommunikationsüberwachung“ (TKÜ). Die Gespräche des Täters wurden dabei als Audiodateien abgespeichert und auch als Protokolle verschriftlicht, sodass vor Gericht sowohl die Aufnahmen abgehört, als auch Abschnitte aus den Protokollen durch Richterin Kristina Selig vorgelesen werden konnten.

Durch diese Türe verließ der Angeklagte das Amtsgericht Sigmaringen als freier Mann.
Durch diese Türe verließ der Angeklagte das Amtsgericht Sigmaringen als freier Mann. | Bild: Oliver Hanser

Bei mehreren Gesprächen bezüglich des Drogenhandels war unter anderem zu hören, wie der Beteiligte davon berichtet, dass ein Teil der Summe – rund 3500 Euro – nicht von ihm selbst stamme, sondern von einem Nachbarn ausgeliehen worden sei. Deshalb sei es ganz wichtig, dass er nach dem Ausbleiben der Drogen wenigstens das Geld wieder zurückbekomme, um dem Anteil an den Nachbarn zurückgeben zu können, ließ der Mann am Telefon verlauten. Der volle Name des Nachbarn wird nicht genannt – bei einem der Telefonate könnte ein Vorname zu hören sein, das blieb aber vor Gericht strittig, da die Qualität der Tonaufnahme an dieser Stelle nicht besonders gut und deutlich war.

Angeklagter gerät als Nachbar ins Visier der Ermittler

Jedoch werden die Nationalität des Nachbarn genannt sowie einige familiären Umstände und es wird erwähnt, dass er eine längere Zeit im Gefängnis gesessen haben soll. Aufgrund dieser Angaben geriet der jetzt Angeklagte ins Visier der Ermittler, zumal dieser nicht nur Nachbar, sondern auch ein Freund oder zumindest Bekannter des Abgehörten war und mit ihm in telefonischem Kontakt stand. Vermutlich dürfte auch die einschlägige Vorstrafe des Angeklagten eine Rolle dabei gespielt haben, dass die Ermittler diesen als den erwähnten Nachbarn benannten.

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Nach der Aussage des Polizeibeamten wurden zwei Zeugen gehört. Zum einen ein weiterer Bekannter des 44-Jährigen, mit dem dieser telefonisch über den Deal gesprochen hatte. Der am Drogendeal Beteiligte habe damals „viel Müll den ganzen Tag geredet“, so seine Einschätzung der Glaubwürdigkeit seines Bekannten. Der Mann sei stark drogenabhängig gewesen, habe viel konsumiert und sei „extrem neben der Spur“ gewesen. Darüber, mit dem Mann über dessen Nachbarn und ein Ausleihen von Geld gesprochen zu haben, konnte sich der Zeuge nicht erinnern – auch nicht, als Richterin Selig ihn mit den Gesprächsprotokollen konfrontierte.

Kontakt zu mutmaßlichem Drogenhändler bestand bereits

Erinnern konnte sich der 38-Jährige jedoch daran, dass der 44-jährige, von der Polizei abgehörte Mann schon seit einigen Jahren Kontakt zu einem mutmaßlichen Drogenhändler im Ausland gehabt habe. Dabei handelt es sich um jenen Mann, zu dem laut Polizei der Kontakt durch den Angeklagten im September 2021 hergestellt worden sei – der zweite Punkt der Anklage, der sich aus dem Anzapfen der Telefongespräche ergeben hatte. Der Zeuge sei selbst mit dem 44-Jährigen bei dem mutmaßlichen Drogenhändler im August 2021 zu Besuch gewesen. Bei diesem Besuch sei klar gewesen, dass die beiden sich schon lange kannten – von einer neuen Vermittlung dieses Kontaktes durch den Angeklagten könne also nicht die Rede sein.

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Als dritter Zeuge war der Beteiligte des geplanten Drogenhandels selbst im Gerichtssaal zu hören. Er hatte seinen Rechtsanwalt mit dabei. Dem 44-Jährigen wurden seine abgehörten Telefongespräche vorgehalten. Sein Anwalt bestätigte die Einschätzung des vorherigen Zeugen, dass der Mann stark unter Drogen gestanden habe. Die Gespräche seien unter Kokaineinfluss zustande gekommen, immer wieder sei auf den Aufnahmen das Hochziehen der Nase des Mannes zu hören, was typisch für den Kokainkonsum sei.

Zeuge spricht von „Fantasieperson“

Der Zeuge selbst sagte aus, er habe die Geschichte mit dem geliehenen Geld nur erfunden, um seiner Forderung nach Rückzahlung der Summe nach dem geplatzten Deal Nachdruck zu verleihen. Der Nachbar sei eine „Fantasieperson“ gewesen; er habe sich von niemandem Geld für den Drogenkauf geborgt. Er sei damals nicht pleite gewesen, sondern habe über ausreichend Mittel verfügt, sodass es gar nicht nötig gewesen wäre, sich für den Deal Geld zu leihen. Der als Zeuge gehörte Polizeibeamte hatte zuvor auf Nachfrage von Gianpiero Fruci, dem Anwalt des Angeklagten, bereits ausgesagt, dass der Mann bei seiner damaligen Verhaftung eine größere Summe Bargeld bei sich gehabt habe.

Kontakt musste nicht vermittelt werden

Offenbar deutet nichts Konkretes darauf hin, dass der 44-Jährige in finanziellen Schwierigkeiten war. Auch bestätigte der Mann, dass er den mutmaßlichen Drogenhändler im Ausland schon lange gekannt habe und es keiner Kontaktvermittlung durch den Angeklagten bedurft hätte. „Ich bin selber gut vernetzt“, sagte der Zeuge.

Richterin und Schöffen glauben den Zeugen

Staatsanwältin Diana Heimberger forderte in ihrem Plädoyer einen Freispruch, dem schloss sich Anwalt Gianpiero Fruci „vollumfänglich an“. „Ich muss ehrlich gestehen: Einen solchen Fall habe ich noch nie erlebt“, sagte er. Richterin Kristina Selig und die Schöffen schenkten den Aussagen der beiden Zeugen Glauben. Das genannte Motiv des Zeugen, einen weiteren Geldgeber als Nachdruck für seine Forderung erfunden zu haben, stuften sie als glaubwürdig ein – auch weil der zweite Zeuge vorgebracht hatte, dass der Mann schon früher öfter einmal in Gesprächen geflunkert habe. Beide Zeugen hätten keinen triftigen Grund, den Angeklagten durch Falschaussagen zu entlasten oder in Schutz nehmen zu wollen. Die Aussagen seien deshalb stimmig. Der Angeklagte wurde freigesprochen.