Als die Cousinen Yulija Poluieva und Alevtina Heta mit ihre Kinder Mitte März aus Dnipro in der Ukraine nach Bad Dürrheim geflohen waren, waren sie froh, in Sicherheit zu sein. Für alle war aber klar: In einigen Wochen – wenn der Krieg vorbei ist – geht es zurück in die Heimat.

Als der SÜDKURIER Yulija Mitte Juni wieder trifft – Alevtina ist krank – weiß die 35-Jährige, dass es mit einer Rückkehr in ihre Heimat so schnell nichts wird.

„Seit einem Monat machen wir einen Deutschkurs“, sagt Yulija. Damit meint sie sich und ihre Cousine. Um auf die Kinder aufpassen zu können, ist die eine am Vormittag und die andere am Nachmittag dran. Zwar ist das Deutschlernen nicht einfach – beim Treffen mit dem SÜDKURIER übersetzt die in Donaueschingen lebende Cousine Olena Reichel – dennoch stelle Yulija bereits Veränderungen fest: „Ich träume manchmal schon auf deutsch“, sagt sie.

Seit März in Bad Dürrheim (von links): Artem (2) mit Mutter Alevtina Heta. Vor ihr steht ihr Artem Neunjähriger Sohn Oleg. Daneben steht ...
Seit März in Bad Dürrheim (von links): Artem (2) mit Mutter Alevtina Heta. Vor ihr steht ihr Artem Neunjähriger Sohn Oleg. Daneben steht Cousine Yulija Pouluieva mit ihren Kindern Mykola (9) und Olga (18). | Bild: Matthias Jundt/Familie

Der zweijährige Artem, Alevtinas Kind, hat keinen Kindergartenplatz erhalten, die neunjährigen Oleg (Alevtinas Kind) und Mykola gehen seit April dagegen auf die Schule in Bad Dürrheim-Oberbaldingen. Und Yulijas Tochter, die 18-jährige Olga, hat ihr in Kiew begonnenes Kunststudium zeitweise in Stuttgart fortgesetzt. Aktuell lernt sie ebenfalls intensiv deutsch.

Den Kindern gehe es grundsätzlich mittlerweile gut. Ganz zu Beginn der Ankunft in Bad Dürrheim aber hatten alle mit einer Magen-Darm-Grippe zu kämpfen. Beim zweijährigen Artem war sie so schlimm, dass er sogar ins Krankenhaus musste. Aktuell haben einige der Kinder Probleme mit den Zähnen. Woher diese kommen, ist noch unklar.

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Immer im Hinterkopf haben Yulija und ihre Familie aber den Krieg in der Heimat: „Bei uns ist nach den vergangenen Monaten das Verständnis entstanden, dass der Krieg nicht so schnell vorbei ist. Wir müssen erkennen, dass das alte Leben, wie wir es kannten, nicht mehr zurückkommt.“

Das bedeutet, dass jetzt die „richtigen Aufgaben“ auf die Ukrainerinnen zukommen: „Wir müssen deutsch lernen, selbst mit dem Bus fahren, Arztbesuche selbstständige absolvieren. Wir wollen ein Teil der Gesellschaft werden. Wir gehen das Schritt für Schritt an“, fährt Yulija fährt.

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Im Gegensatz zu ihr, sei ihre Cousine Alevtina, mit der sie auch erst seit der Flucht nach Deutschland intensiveren Kontakt hat, etwas negativer eingestellt. Gäbe es die kleinste Möglichkeit zurückzugehen, würde, sagt Yulija, ihre Cousine Alevtina das sofort machen.

Familie noch im Kriegsgebiet

Das aber geht nicht, denn der Krieg ist noch immer vor der heimischen Haustür, wo Yulijas und Alevtinas Männer und andere Familienmitglieder noch immer gegen die russische Invasion kämpfen: „Ein Teil der Familie lebte einst in Energodar. Dort gibt es ein großes Atomkraftwerk. Diese Stadt ist jetzt russisch. Die Menschen müssen russisch sprechen und der Rubel wurde eingeführt.“

Vor zwei Wochen habe es außerdem einen Bombenangriff auf die Heimatstadt Dnipro gegeben, als ein Öl-Tanker beschossen wurde. Dabei seien fast 100 Männer gestorben. Aktuell aber seien die Bomben zwar zu hören, aber aus der Ferne. Einen Bombenalarm gebe es aber ständig.

Umso dankbarer sind Yulija, Alevtina, die Kinder und auch Cousine Olena, dass zumindest dieser Teil der Familie in Sicherheit ist: „Die Menschen sind sehr offen und haben uns toll aufgenommen. Wir haben schon Freunde gefunden, die Menschen helfen, wo wie können“, sagt Yulija. Nur die Bürokratie in Deutschland sei etwas, das sie nicht gekannt hat: „Ich habe noch nie so viel Post erhalten“, sagt die Ukrainerin und lacht.

„Ich wünsche mir einfach nur ein normales Leben.“
Yulija Poluieva

Und was wünscht sie sich für die Zukunft? „Ich möchte eine Arbeit finden und ich würde gerne in eine eigene Wohnung mit meinen Kindern ziehen. Am liebsten in Villingen oder Schwenningen, wo es zum Deutschkurs keine drei Stunden Hin- und Rückfahrt mehr sind. Ich wünsche mir einfach nur ein normales Leben.“