Für Dieter Münzer war es nur eine Frage der Zeit: Nun sind die schlimmsten Befürchtungen des Leiters des Altenheims St. Michael eingetroffen. In der Einrichtung an der Prinz-Fritzi-Allee gibt es einen Corona-Ausbruch. „Aktuell sind es 34 nachgewiesene Infektionen“, sagt Münzer. Bei 200 Bewohnern haben sich somit 17 Prozent der Senioren mit Covid 19 angesteckt.

Das könnte Sie auch interessieren

Über die rund 150 Mitarbeiter, die in der Pflege, der Verwaltung und der Hauswirtschaft arbeiten, kann Münzer noch nichts sagen. Getestet wurden bereits alle, die Ergebnisse stehen aber noch aus. „Das Gesundheitsamt hat aber schon gesagt, dass ich damit rechnen muss, dass sich zehn bis 20 Prozent der Mitarbeiter ebenfalls infiziert haben“, sagt Münzer. Und das, wo doch aktuell sowieso kein Überschuss an Pflegekräften vorhanden ist.

„Den infizierten Bewohnern geht es gut und sie zeigen kaum Symptome“, sagt der Heimleiter. Zweimal täglich werden die Temperatur und die Sauerstoffsättigung gemessen. Doch Münzer sieht ein ganz anderes Problem. Die Vereinsamung seiner Bewohner. Denn das Gesundheitsamt hat strengste Quarantäne angeordnet. „Alle Bewohner im Pflegebereich sind in Quarantäne, wie es das Gesundheitsamt angeordnet hat“, sagt Münzer.

Für die Bewohner sind die Tage lang und einsam

Selbst in den Wohngruppen, in denen es nur ein bis zwei Corona-Fälle gibt, müssen alle Bewohner in Quarantäne. Das heißt aber für die Senioren: Sie dürfen ihr Zimmer nicht verlassen. Der einzige Kontakt, den sie nun haben, ist zum Pflegepersonal. Das muss aber neben den FFP2-Masken auch in einer Vollschutzmontur arbeiten – vom Menschen dahinter ist kaum noch etwas zu sehen. Ansonsten heißt es für die Bewohner: Lange, einsame Tage.

„Wir haben zum Glück noch relativ viele Doppelzimmer.“
Dieter Münzer, Leiter Altenheim St. Michael

Da kann man schon von Glück sprechen, wenn man in einem Doppelzimmer wohnt. Aktuell gibt es davon noch 50 Stück. In diesen Zimmern können sich nun wenigstens zwei Bewohner gegenseitig Gesellschaft leisten. „Ich bin ein absoluter Gegner der Einzelzimmervorgabe der Landesheimbauverordnung, weil Einzelzimmer auch gleichzeitig Vereinsamung bedeuten“, erklärt Münzer und fügt hinzu: „Wir haben zum Glück noch relativ viele Doppelzimmer.“

Vereinsamung in den Einzelzimmern

Doch es gibt auch 56 Einzelzimmer: Ein Bett, ein Tisch mit Stuhl und ein Schrank gehören zu der Ausstattung. Fernseher und andere Möglichkeiten des Zeitvertreibs gehören bei der Zimmerausstattung in die Verantwortung der Angehörigen. Wer nicht entsprechend eingerichtet ist, dessen Tage sind nun noch länger. „Fragen Sie mich noch einmal in 14 Tagen, wie es unseren Bewohnern geht und wie viele wir wegen der Vereinsamung verloren haben“, formuliert Münzer seine Sorgen deutlich.

Angebote, wie das Spielen der Veeh-Harfe, gibt es für die Bewohner aktuell nicht.
Angebote, wie das Spielen der Veeh-Harfe, gibt es für die Bewohner aktuell nicht.

Denn die aktuelle Situation in St. Michael hätte sich seiner Meinung nach vermeiden können. „Das Problem ist von der Politik und den Verfassungsrechtlern gemacht und wir sind an die Vorgaben des Sozialministeriums gebunden“, sagt der Heimleiter. Gerne hätte er sein Heim schon vor drei Wochen geschlossen, um das zu verhindern, was nun eingetreten ist. Kein Zutritt für Besucher und Externe, dafür dann aber im Heim selbst ein geregeltes und normales Leben.

„Wir haben die erste Welle und auch die Zwischenwelle ohne Infizierte überstanden.“
Dieter Münzer

Die Erfahrung aus dem Frühjahr habe gezeigt, dass das der beste Weg gewesen sei. „Wir hatten in den Wohngruppen so eine Lebendigkeit und nach Außen wurde über Skype oder mit Fenster-Aktionen kommuniziert“, blickt Münzer zurück. Seine Bewohner wären geschützt gewesen und hätten gleichzeitig soziale Kontakte gehabt. „Wir haben die erste Welle und auch die Zwischenwelle ohne Infizierte überstanden“, sagt er.

Doch diesen Weg konnte Münzer dieses Mal nicht einschlagen

„Man will ja unbedingt die Schulen, die Kindergärten und Pflegeheime offen halten.“ Doch eine freiwillige Schließung hätte für seine Bewohner Schutz bedeutet und hätte wohl auch einen so großen Corona-Ausbruch verhindert. „Das ist die Folge der politisch gewollten Offenheit“, sagt Münzer. Aus den vielen Anrufen von Angehörigen, die ihn immer wieder gefragt hätten, ob das Pflegeheim tatsächlich noch geöffnet habe, schließt Münzer, dass auch sie lieber eine Schließung der Einrichtung gehabt hätten. Für ihn bleibt das Gefühl nur noch ein Erfüllungsgehilfe zu sein und lieber wäre es ihm wohl gewesen, wenn sich seine Befürchtungen nicht erfüllt hätten.

Nachverfolgung nicht mehr möglich

Wie genau das Virus ins Altenheim St. Michael gekommen ist, könne man nicht sagen. „Die Nachverfolgung der Kontaktpersonen funktioniert nicht mehr“, sagt Münzer. Einen Fall könne er sagen, wo jemand Externes infiziert gewesen sei. Aber darauf lassen sich auch nur ein paar Bewohner zurückführen. Doch die möglichen Kontakte gebe es zahlreich. Beispielsweise wenn er ein Zimmer betritt, wo gerade ein Besucher sich mit einem Angehörigen trifft und die Mund-Nasen-Masken nicht ordentlich oder gar nicht getragen werden. Oder wenn Angehörige zugeben, dass sie zwar entsprechende Masken getragen haben, es bei der Verabschiedung aber dann doch Körperkontakt gab.

Es gibt viele Möglichkeiten, um sich anzustecken

Manchmal werden Angehörige auch einfach zum nachmittäglichen Kaffee nach Hause geholt, weil dort ja niemand kontrolliert, ob ein Mund-Nasen-Schutz getragen wird. Oder wenn jemand der Meinung ist, dass Heimbewohner und Angehöriger ja schließlich ein Haushalt wären. „Das sind aber definitiv zwei Haushalte“, erklärt Münzer. Oder diejenigen, die zwar im Betreuten Wohnen leben, aber zum Einkaufen in die Stadt gehen. „Und da steht man dann doch mal etwas näher zusammen, wenn man jemanden trifft“, erklärt Münzer. Bei all diesen Kontakten sei ein Risiko dabei, dass sich jemand infiziere.

Das Virus kennt kein Wochenende und keinen Feierabend

Münzer selbst wohnt mittlerweile selbst in St. Michael. Es ist viel zu tun in diesen Zeiten des immerwährenden Ausnahmezustandes. Die Situation fordert viel ab, auch vom Heimleiter selbst, für den der tägliche Weg nach Hause Zeit kostet, die er aktuell nicht hat. Selbst wenn er in knapp zwei Monaten in den Ruhestand geht, will er auch noch jetzt, jederzeit für seine Bewohner da sein. „Der Vorteil ist, dass ich so auch samstags und sonntags vor Ort bin.“ Das Virus kennt eben kein Wochenende und keinen Feierabend.