"Ein ganz besonderes halbes Jahr, mit Höhen und Tiefen, einzigartigen Erfahrungen und an einem außergewöhnlich schönen Ort: der Pelican of London", so die poetischen Willkommensworte unseres Projektleiters, bevor er uns die letzten 50 Meter zu unserem zukünftigen Zuhause am romantisch beleuchteten Dubliner Hafen laufen ließ. Ein Moment, auf den ich knapp neun Monate hinfieberte und dann, als er zur Realität wurde, kaum realisieren konnte.

- Das Programm: In den kommenden Monaten mit Ocean College werden wir nicht nur in über 15 Häfen anlegen und den Atlantik zweimal überqueren, sondern auch in einer Gruppe von 30 Jugendlichen lernen, was es heißt, respektvoll miteinander umzugehen und Konflikte offen und ehrlich zu lösen. Neben etlichen Programmpunkten, wie die Besteigung des Teide auf Teneriffa oder einem Aufenthalt auf einer Kaffeefarm steht die unmittelbare Anwendung der Unterrichtsinhalte im Fokus. Orts- und praxisbezogener Unterricht, der in unseren Heimatschulen leider kaum zustande kommt, soll selbstverständlich werden. Das Ziel ist, durch das Lernen von und miteinander in kleinen Gruppen unsere Stärken und Interessen zu wecken. So werden wir neben dem vorgegebenen Unterrichtsmaterial auch sogenannte Pathways (engl.: Wege) in Kleingruppen bearbeiten: Medien und Journalismus (Media), Wiederaufforstung des Regenwaldes (Nature), transatlantische Wirtschaft (Economics) und das Mikroplastikproblem der Ozeane (Science).

- Die Abfahrt: Dieser Tag begann mit etlichen Abschieden, nicht nur von Familie und Freunden, auch von selbstverständlicher Privatsphäre oder der regelmäßigen warmen Dusche. Weiter ging es mit der letzten Kontrolle der dreiseitigen Packliste und der Fahrt zum Stuttgarter Flughafen. Die Gepäckmenge für ein halbes Jahr hielt sich stark in Grenzen, obwohl die Liste ausführlich und vielfältig war. So kam ich mit einem Rucksack von 60 Litern und einer großen Reisetasche sehr gut aus. Spätestens, als wir dann unsere Kajüte mit vier Betten beziehen durften, wurde klar, dass viel mehr Gepäck auch absolut nicht im Rahmen der Möglichkeiten gewesen wäre. Mit faltbaren Aufhängeregalen und gespannten Schnüren schufen wir uns zu unseren zwei Schubladen noch mehr Stauraum. Kleine Seitenflächen am Bettrand und Haken in der Wand wurden zum Privileg. Rollen und Stapeln von Kleidung gilt als selbstverständlich. Bis zwei Uhr nachts, nach irischer Zeit, richteten wir schließlich unseren zukünftigen Schlafort gewissenhaft und kreativ ein. Denn vor allem bei starkem Seegang ist die richtige Verstauung von unserem Gepäck wichtig, wenn man seine Sachen an Ort und Stelle wiederfinden möchte. Diese Kajüte kann ich bereits nach den ersten Tagen als mein gemütliches neues Zuhause bezeichnen.

- Leben an Bord: In unseren Ankunftstagen in Dublin erhielten wir viele Briefings und lernten die Crew und unsere Lehrer kennen. Des Weiteren bekamen wir unser Ölzeug: Wind- und wasserfeste Jacken, Hosen und Pullis. Es wurden allgemeine Werte besprochen, wie zum Beispiel ein Miteinander ohne Diskriminierung und ein umweltfreundliches Verhalten. Weitere grundlegende Regeln sind transparente Kommunikation sowie der Verzicht auf Alkohol und Drogen. Weitestgehend verzichten müssen wir in den kommenden Monaten ebenso auf unsere Smartphones; lediglich an manchen Landtagen kriegen wir die Möglichkeit, uns mit Familie und Freunden auszutauschen. Was anfangs herausfordernd war, stellt sich schon bald als besondere Gelegenheit heraus, sich von der unangenehmen Gewohnheit, immer erreichbar und informiert über das Handy zu sein, zu befreien. Zudem erarbeiteten wir uns direkt zu Anfang in einer gemütlichen Runde einen kollektiven Leitsatz, der den Fokus unserer gemeinsamen Segelreise zusammenfasst: "Für uns war die Reise erfolgreich, wenn wir uns beim Segeln persönlich und als Gemeinschaft weiterentwickeln und Erfahrungen sammeln, an die wir uns immer gerne erinnern können."
- Selbstständig: Gesprochen wird an Bord nur englisch, was mir gerade am Anfang noch ziemlich schwerfällt. Da ich bisher nur sogenanntes Schulenglisch gesprochen habe, ist dies eine gute Möglichkeit, mich hier in den nächsten Monaten noch zu verbessern und so auch sicherer zu fühlen. Des Weiteren ist es zu Beginn noch schwierig, eine Routine zu finden, in der Schlaf, Mahlzeiten und Wache nicht zu kurz kommen. Wenn ab der spanischen Stadt Vigo der Unterricht beginnt, sollte ein Alltag eintreten, auf den ich nun schon lange hinfiebere. Langsam wird auch klar, was Johan Kegler, einer der Gründer von Ocean College, bei unserem Kennlern-Wochenende mit den Worten "Ihr werdet als Kinder auf dieses Schiff steigen und als Erwachsene wiederkommen" gemeint hat. Denn uns verantwortungsbewusst und selbstständig um unsere Sachen zu kümmern, sei es der Abwasch, das Waschen unserer Kleidung oder das Organisieren von Schiffswachen, lernen wir hier schon seit Tag eins. Dennoch ist man bei dem großen Abenteuer nicht auf sich allein gestellt: Trotzdem stehen uns die siebenköpfige Crew, die vier Lehrer und auch die fünf Mentoren immer zur Seite, sei es in der Schule, bei Heimweh oder sonstigen Fragen. Hierbei begegnen sich alle Teilnehmer auch auf Augenhöhe: Lehrer werden geduzt und durch private Gespräche entwickelt man so auch eine harmonische Lehrer-Schüler-Beziehung.

- Die Teilnehmer: Die Ocean College-Teilnehmer sind sich ziemlich ähnlich. So entstand schon nach kürzester Zeit ein freundschaftliches Miteinander. Das zeigte sich auch, als ich in die Runde gefragt hatte, wie sie die Eingewöhnungsphase erlebt haben und was unerwartet für sie war. Tatsächlich stimmen viele damit überein, dass sich sehr schnell enge und gute Freundschaften gebildet haben und ein unglaublich starker Zusammenhalt in der Gruppe herrscht. So erschien auch jedem die erste Woche an Bord wie ein ganzer Monat. Durch die vielen neuartigen Eindrücke und die ständigen, noch ungewohnten Beschäftigungen an Bord ging die Zeit unfassbar schnell rum. Dennoch kann man kaum glauben, dass sich dieser ganze Wahnsinn in nur einer Woche abgespielt hat. So mussten wir schon miterleben, dass bei einem Segeltrip nicht immer alles geplant werden kann, von abweichenden Reisezielen, über Seekrankheit bis hin zu unerwarteten Zwischenstopps, im Falle von Stürmen oder uns in die Quere kommenden Fischerbojen. Zudem haben einige, inklusive mir, noch überhaupt nicht realisiert, dass sie ihren Traum wirklich erleben und gerade auf schwankendem Boden in das Abenteuer segeln. Nachdem ich nun weitestgehend in der neuen Routine und meinem künftigen Zuhause angekommen bin, kann ich nur noch vorfreudig in die Zukunft schauen und offen darauf warten, was diese Segelreise noch mit sich bringen wird. Sonnige Grüße von unserem Bord mit Blick auf den weiten Ozean und einen paar spielenden Delfinen in den Wellen.
Das Abenteuer
Die 15-jährige Nele Haarmann aus Donaueschingen wird für sechs Monate mit der schwimmenden Schule Ocean College über den Ozean fahren, das Segeln lernen, für die Schule büffeln und fremde Länder erleben. Von den Erlebnissen ihrer Reise wird sie in loser Folge im SÜDKURIER berichten. Ihre Artikel verfasst sie auf dem Schiff, sie werden dann vom jeweiligen Teil der Welt, in dem sie sich gerade befindet, nach Donaueschingen geschickt. (guy)