Donaueschingen – Die Konferenzzone könnte auch ein kleines, modernes Café sein. Gemütliche Holzbank, Teppichböden, neben der Kaffeemaschine auf dem Tresen steht ein Korb mit Äpfeln. Die Donau, der blaue Streifen auf dem Boden, führt durch den Raum.
Dass diese Stimmung entsteht, ist Absicht. „Das Work Café ist nicht formell, sondern kann komplett frei für Treffen genutzt werden. Wenn dann ein Kollege eben am Nebentisch frühstückt, ist das kein Problem“, sagt Simon Brugger von der Sick AG. Er ist einer der Leiter in der Forschungs- und Entwicklungsabteilung am Donaueschinger Standort des Unternehmens. Anfang August hat die Abteilung ihre neuen Räume bezogen: Ein sogenanntes Open Office (engl.: offenes Büro). Das soll im Arbeitsablauf größtmögliche Flexibilität bewirken: Absprachen und Konferenzen können spontan ermöglicht werden. Das ist notwendig, weil auch international gearbeitet wird: „Wir haben Korrespondenzen in Singapur und Minneapolis. Da muss man zwangsläufig flexibel agieren können“, sagt Brugger. Er ergänzt: „Außerdem ergeben sich keine Planungsverluste. Früher musste man Räume für Besprechungen reservieren, heute geht das spontan.“
Der 37-Jährige arbeitet seit etwa einem Jahr bei Sick. Die Gestaltung und Ausrichtung des Arbeitsplatzes war für ihn damals mit ein Kriterium, sich für die Stelle zu entscheiden: „Allein, dass beide Teamleiter in einer Abteilung sitzen, verbessert den Workflow ungemein“, sagt er. In einem Raum sitzen sowohl Entwickler als auch Produktmanager. Früher undenkbar, heute ein Garant für Effizienz und Flexibilität.
Brugger selbst arbeitet nach Vertrauensarbeitszeit. Er kann sich also den Tag so einteilen, dass er seine Arbeit erledigen kann. Wann und wo – das bleibt ihm selbst überlassen. Das geht dann auch von Zuhause, mit dem Laptop. Ob er sich vorstellen kann, dieses System aufzugeben und wieder in den alten Strukturen zu arbeiten? Klare Antwort von Brugger: „Nein. Früher orientierte man sich an der Hierarchie, heute an Projekten. Wir sind jetzt ein interdisziplinäres Team. Das ist gut so.“
Neben den offenen Räumen und der Zeiteinteilung ist ein weiterer Baustein des modernen Arbeitsplatzes bei Sick die agile Wochenplanung. „Früher waren Projekte auf ein Jahr angelegt und entsprechend geplant. Das sind sie zwar immer noch, aber wir schauen jede Woche, wo wir derzeit stehen“, erklärt Brugger. So werde es möglich, schneller auf Probleme reagieren und sie beseitigen zu können.
Aber ist es positiv, wenn mit der Vertrauensarbeitszeit Freizeit und Beruf miteinander verschwimmen? Brugger sieht das anders: „Wir haben interne Richtlinien, die die Erreichbarkeit regeln, etwa, wenn jemand im Urlaub ist.“ Außerdem ermögliche das auch mehr Freiheiten: „Ich muss nicht persönlich da sein. Meiner Verantwortung kann ich unabhängig vom Standort nachkommen.“ Befindet sich ein Mitarbeiter aus Donauschingen im Gebäude von Sick in Waldkirch, so kann er mobil sofort auf das interne Netz zugreifen.
Die Entwicklung in Richtung Offenheit und Flexibilität wird weitergehen, ist sich Brugger sicher: „Es wird im Jahr 2030 vielleicht auch gar nicht mehr der Zwang herrschen, dass sich alle an einem Standort treffen und auf einen Standort festgelegt sind.“ Aus einem Kaffee in der Mittagspause wird dann eventuell der Chat im betriebsinternen System.
Bei der Firma Nova Apparate GmbH sind Mobilität und flexible Arbeitszeiten auch ein wichtiges Thema. „Der Arbeitgeber muss den Arbeitnehmern da entgegenkommen. Das ist heute wichtiger denn je“, sagt Geschäftsführer Patrick Honer. Das Unternehmen produziert hochwertige Klima- und Lüftungssysteme. Durch die Digitalisierung verändere sich zwar sehr viel, aber eine vollkommene Entkoppelung von Maschinen und Mitarbeitern werde es vorerst nicht geben: „Punktuell ja“, so Honer.
Den Arbeitsplatz von morgen, mit mobilem Arbeiten vor dem heimatlichen Computer, es gibt ihn bei Nova, jedoch nicht in jeder Abteilung: „In der Fertigung ist das kaum möglich. Die Abläufe greifen so akkurat ineinander, dass sie nicht funktionieren würden bei einer flexiblen Einteilung der Mitarbeiter“, erklärt Axel Zimmermann. Der 35-jährige Maschinenbau-Ingenieur ist Betriebsleiter bei dem Donaueschinger Unternehmen. Wenn Transport, Fertigung und Lager aufeinander warten müssten – die Produktivität wäre enorm eingeschränkt. Dazu komme auch, dass Nova nicht solche Stückzahlen produziere, wie es etwa in der Autoindustrie gemacht werde. „Das läuft bei uns auf ein bestimmtes Projekt bezogen“, so Zimmermann.
Wo das flexible Arbeiten möglich werde, sei in der Informationstechnik (IT), der Verwaltung und dem Vertrieb. Produktionsmitarbeiter, die in einen verketteten Ablauf integriert seien, kalkulieren nicht mit flexiblen Zeiten. „Unsere IT-Mitarbeiter betreuen sehr komplexe Programme. Das können sie allerdings auch von Zuhause aus, unsere Software lässt das zu“, sagt der Betriebsleiter. Er ergänzt: „Ich habe selbst auch einen Computer, mit dem sich die komplette Planung durchführen lässt. Bin ich etwa auswärts auf einer Schulung, kann ich vom Hotelzimmer aus die Dinge durcharbeiten.“
Wo Flexibilität und Mobilität möglich sind, kommen sie auch zum Einsatz. Eine Lösung werde immer gefunden, sei es in der Elternzeit, oder wenn Angehörige gepflegt werden müssen. „Die einzelnen Lösungen sind vielfältig und individuell zugeschnitten“, so Geschäftsführer Honer.
Die Anforderungen ändern sich
Der Wandel zur Industrie 4.0 ist nicht nur eine technische Herausforderung. Die Vernetzung und Digitalisierung hat auch Konsequenzen für die Arbeitswelt
- Der Automatisierungsgrad steigt: Die Automatisierung der Produktion erreicht eine neue Qualität. Digitalisierung und Vernetzung verketten bislang getrennte Wertschöpfungsprozesse zu einem übergreifenden System, das vom Rohstofflieferanten bis zum Endverbraucher reicht. Die Arbeit in einer „Smart Factory“ ist flexibler und weniger planbar. Gleichzeitig steigt der Druck auf die Beschäftigten.
- Soft Skills werden wichtiger: Neben hoher Qualifikation, IT-Kenntnissen, Lernbereitschaft und Flexibilität benötigen Fachkräfte in der Arbeitswelt 4.0 mehr und stärker ausgeprägte soziale Kompetenzen (Soft Skills) wie Stressresistenz und Teamfähigkeit.
- Arbeit neu organisieren: Auf die Arbeitsorganisation kommen veränderte Anforderungen zu. Die Smart Factory kennt keine festen Produktionszeiten und –mengen mehr, sie passt die Laufzeiten der Maschinen an den Bedarf des Netzwerks an. Das schlägt sich auch im Personalbedarf nieder. Die Belegschaftsstärke schwankt innerhalb eines Arbeitstages, der Personaleinsatz muss möglichst flexibel organisiert werden. Bereitschaftsarbeit verdrängt Schichtarbeit und langfristig planbare Arbeitszeiten. Dies setzt innovative Arbeitszeit- und Vergütungsmodelle voraus, die etwa alternierende Projekt- und Freizeitphasen beinhalten. Um die geforderte Flexibilität zu erreichen, müssen Unternehmen noch mehr für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf tun.
- Vernetzung darf nicht überfordern: Neben den Arbeitszeiten ändern sich auch die Arbeitsbedingungen. Die vernetzte Produktion führt zu einer höheren psychischen Belastung. Wegen der engen Verzahnung der Wertschöpfungsketten können bereits kleine Fehler zu großem Schaden führen. Zudem bleibt im voll vernetzten und digitalisierten System keine Abweichung von der Norm unbemerkt. Es lastet Druck auf den Beschäftigten, den die Unternehmen abfedern müssen, etwa durch die Etablierung einer Fehlerkultur, wie die gezielte Vorbereitung auf Stresssituationen, das Einüben von Verhaltensweisen bei Störfällen oder die Einführung des Vier-Augen-Prinzips bei wichtigen Entscheidungen. Auch die flexibilisierten Arbeitszeiten sorgen für mehr Stress. Gefragt sind Modelle, in denen sich Arbeits- mit Ruhephasen abwechseln. (tom)