Nachts vor der Disko. Zwei Gruppen junger Männer plustern sich voreinander auf. Die Luft brennt, eine kurz zuvor eingetroffene Polizeistreife versucht zu besänftigen. Im Nu fliegen aus den Gruppen heraus Schmähungen gegen die Beamten. Alltag. Auch im Polizeirevier Donaueschingen. Das sei eine klassische Situation am Wochenende, sagt Dienstgruppenführer Clemens Schmeh und konstatiert einen Wandel.
"Bei Alkohol schwindet der Respekt." Und nicht nur der. Tätliche Angriffe auf Polizeibeamten haben zugenommen. Von elf im Jahr 2017 auf bereits 16 Ende November dieses Jahres, ergänzt Revierleiter Thomas Knörr in einer Diskussionsrunde, in der Polizeibeamte aufgefordert sind, über ihre persönlichen Gewalterfahrungen zu berichten.
Beamtin am hellichten Tag angegriffen
Zur offenen Aussprache gebeten hat der Wahlkreisabgeordnete Guido Wolf. In einer Runde, die vom Praktikanten bis zum Polizeidirektor viele Stufen abbildet, erzählt Schmeh aus dem Alltag. "Da müssen Sie mit allem rechnen", sagt er und nennt Beispiele. Nicht mal Nacht muss es sein, wenn schnelle Äußerungen in einen tätlichen Angriff übergehen.
Am hellichten Tag sei in diesem Jahr eine Beamtin angegriffen und verletzt worden. Zudem haben es die Beamten nicht nur mit reichlich alkoholisierten, sondern auch unter Drogeneinfluss stehenden Menschen zu tun. "'Es nimmt zu", sagt Schmeh. Und verweist auf ein weiteres, konfliktbeladenes Tätigkeitsfeld. Ihre Ermittlungen führen die Beamten mitunter auch in private Bereiche, in denen sie sich plötzlich in einem ganz anderen, obrigkeitsfeindlichen Kulturbereich bewegen.
Prinzip Teflon funktioniert nur bedingt
Es trifft eben auch, auch wenn es nicht persönlich gemeint ist: Ob sie denn mitunter auch sexuell tendierte Beleidigungen so einfach nach Teflonart abprallen lassen könne, wurde Dominique Wagner gefragt. "Wo es geht, ja", antwortete die stellvertretende Dienstgruppenleiterin. Zum Schmunzeln bieten die Einsätze draußen selten Material. Allenfalls dann, wenn sich ein nächtens ausfälliger Partygänger 'Wochen später bei einer Verkehrskontrolle nüchtern und zerknirscht bei der damals beleidigten Beamtin entschuldigt.
Bodycam erhöht Hemmschwelle
Eine Verbesserung der Situation erhoffen sich die Beamten durch den Einsatz von Bodycams. "Wir erwarten sie Mitte 2019", kündigt Revierleiter Knörr an. Die Bodycam soll deeskalierend wirken. Mit ihrem Einsatz erhoffe man sich, dass Polizeikontrollen weniger aggressiv ablaufen, sagt Carsten Dehner, Pressesprecher im Innenministerium. "So manchen treibt dann die Sorge an, dass er leichter bestraft werden kann, wenn sein Auftritt dokumentiert wird", mutmaßt Dehner über eine künftig höhere Hemmschwelle.
Er bestätigt, dass die tätlichen Angriffe auf Polizeibeamte auf einem hohen Niveau verharren. Meldete die Landesstatistik 2013 3583 Angriffe, so wurden 2017 4330 Fälle registriert. Für 2018 liegen noch keine Zahlen vor.

Wie bei Ermittlungen zu Internetkriminalität Aufwand und Ergebnis eine ganz unterschiedliche Entwicklung nehmen, thematisierte Helmut Günzel. Der erfahrene Beamte, der im Januar nach 44 Dienstjahren in Ruhestand gehen wird, sprach über seinen Frust in Sachen Cyberkriminalität.
"Die Bürger sind hilflos"
Straftätern im virtuellen Raum komme der Umstand zupass, dass sich die Strafverfolgung an Grenzen aufhalten halte. Raus aus der bisherigen "Kleinstaaterei" bedürfe es eines politischen Umdenkens. Betrüger könnten Fake-Konten anlegen, die nicht gelöscht werden können, Rechtshilfeersuchen, selbst wenn es um 80 000 Euro geht, verliefen im EU-Ausland im Sande. "Die Bürger sind hilflos." Bleibt der offizielle Weg über die Staatsanwaltschaft. Da könne es aber auch mal sechs Wochen dauern, bis es weiter geht, schildert Günzel einen aktuellen Fall. "Die ganze Situation ist ein Freibrief für große Betrügerfirmen."
Nur über den Staatsanwalt
Über den Staatsanwalt, so ergänzt Knörr, liefen auch schon Ermittlungen, wenn die Polizei bei Ermittlungen nach einem Bagatellunfall in einem Autohaus wegen eines Spiegelglasvergleichs vorstellig wird. Es sei zwar nicht zu kritisieren, dass der Datenschutz strenger gehandhabt werde, doch dürfe der Datenschutz nicht zum Täterschutz werden
Razzien schaffen Mehrarbeit
Bleibt der Umgang mit den riesigen Datenmengen, die bei der Ermittlungsarbeit anfallen: Beispiel Rauschgift-Razzia. Erlauben es die Rechtsmittel, kassierten die Beamten Smartphones und Computer der Verdächtigten ein und werten die Inhalte aus. Einblicke in Social-Media-Aktivitäten würden helfen, "aber man muss damit vertraut sein", sagt Clemens Schmeh. Allerdings gerate man beim Durchforsten riesiger Festplatten irgendwann einfach an die Kapazitätsgrenze.
Die Bodycam
Bodycams sind einfach bedienbare Geräte, die von Polizeibeamten oder Sicherheitspersonal an der Kleidung getragen werden. Mit leistungsstarken Akkus ausgestattet, können je Einsatz unter Umständen mehrstündige Video- und Tondokumente anfertigen. Seit 2016 besteht die gesetzliche Grundlage, Bodycams im Polizeidienst zu verwenden. Der Einsatz, so hat eine Testphase in Mannheim, Freiburg und Stuttgart ergeben, wären nicht nur im öffentlichen Raum wünschenswert, sondern auch in Gaststätten, Diskotheken oder bei Einsätzen in Privatwohnungen. Anfang 2019 werden im Polizeipräsidium Stuttgart die ersten von 1350 geplanten Bodycams ausgegeben. Für das Präsidium Tuttlingen gibt es noch keinen Zeitpunkt. Einfach, weil man beim Ausgabetempo erst noch Erfahrungen sammeln müsse, sagt Carsten Dehner, Sprecher im Innenministerium Baden-Württemberg.