Die Baar verfügt über ein reiches und weitverzweigtes Kulturerbe – und das beleuchtet der SÜDKURIER nun in einer Serie anhand von fünf Beispielen.
Gemeint sind hier nicht materielle Kulturdenkmäler wie das Freiburger Münster mit dem angeblich „schönsten Turm der Christenheit“ oder die Klosterinsel Reichenau, auch nicht weltliche Prachtbauten wie etwa das Residenzschloss in Rastatt. Gemeint ist vielmehr, was die Unesco, also die Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur, als „immaterielles Kulturerbe“ bezeichnet.
Mit diesem Adjektiv „immateriell“ werden dabei seit 2013 kulturelle Ausdrucksformen bezeichnet, die folgende Eigenschaften aufweisen: Sie setzen besonderes menschliches Wissen und Können voraus, sie werden von Generation zu Generation weitergegeben und sie können dabei kreativ weiterentwickelt und auch verändert werden.
Die Baar hat in der beschriebenen Hinsicht viel zu bieten. Es ist keine selbstverliebte Nabelschau, wenn der SÜDKURIER sich jetzt in einer Artikelserie fünf heimatbezogenen Beispielen widmen wird, die sich mit dem lebendigen Kulturerbe der Baar befassen. Das soll das Bewusstsein dafür schärfen, was mit einem positiv verstandenen Begriff von Tradition alles verbunden werden kann. Das ist nur möglich mit knappen Rückblicken in die Geschichte.
Zu einem so verstandenen Kulturerbe zählen sehr unterschiedliche Bereiche. In den Fokus gerückt werden zum Beispiel klingende Denkmäler in Gestalt von bespielten Kirchenorgeln oder die Ausübung eines überlieferten Handwerks, etwa bei der Brot- und Kuchenbäckerei.
Zum Kulturerbe zählt die Pflege gesprochener Literaturformen wie das Erzählen von Märchen oder Geschichten genauso wie die gemeinschaftliche Pflege geselliger Spiele. Und schließlich ist bemerkenswert, welche kulturelle Bedeutung eine professionelle menschliche Unterstützung und Begleitung in bestimmten Lebenslagen hat, für die etwa das Hebammenwesen steht.
So verstandenes Kulturerbe wird im Alltag auf vielerlei Feldern sichtbar und erlebbar. Richtet man seine Aufmerksamkeit darauf, ermöglicht dies ein Verständnis und ein Gefühl für das, was neben anderem Heimat ausmacht.
Solches Kulturerbe stiftet Identität. Das bedeutet nichts anderes, als dass die Menschen im Prinzip weitgehend mit dem übereinstimmen, was um sie herum vorhanden ist oder geschieht. Und schließlich verdeutlicht so betrachtetes Kulturerbe zudem, wie wichtig Kontinuität und auch Wandel für die Gegenwart sind.
Was meint speziell die Deutsche Unesco-Kommission damit? Dass es beim immateriellen Kulturerbe nicht um touristische Sehenswürdigkeiten oder andere Attraktionen geht, sondern um Ausdrucksformen eines starken Selbstbewusstseins der Menschen in einem bestimmten geografischen Raum. Es handelt sich um nichts Statisches, sondern um Entwicklungen, also Prozesse, die sich über eine längere Zeit herausbilden und eine nachhaltige Wirksamkeit entfalten.
Ein solcher Prozess ist das Überliefern, das Weitergeben – die Tradition. Monika Grütters, in der Bundesregierung Staatsministerin für Kultur und Medien, bringt es auf den Punkt: „Traditionen bereichern unser alltägliches Leben; sie verraten, wo wir herkommen und was uns wichtig ist.“
Somit lässt sich bereits ein kleines, aber für das bürgerliche Selbstverständnis wichtiges Fazit ziehen: Wer sich den Wert dieses immateriellen Kulturerbes immer wieder klar macht, kann kritischen Respekt für seine Vielfalt entwickeln und sich, wo es möglich ist, mit guten Gründen auch an seiner Ausgestaltung beteiligen.
Von Orgeln, Brot und Spielen: Fünf Beispiele für das Kulturerbe auf der Baar
Fünf ganz unterschiedliche Bereiche stellt der SÜDKURIER in seiner Kulturerbe-Serie in den kommenden Wochen vor. Es handelt sich zwar um ein ungemein weites Feld, aber seine Parzellen gehören doch zusammen.
- Orgeln in Dörfern der Baar (erscheint am 7. August): Orgelbau und Orgelmusik sind von der UNESCO seit Dezember 2017 als Kulturerbe der Menschheit anerkannt. Auf der Baar hat die dörfliche Orgelkultur eine erhebliche und erstaunliche räumliche Dichte. Es lohnt sich sehr, der reichen Bandbreite an verschiedenartigen Instrumenten exemplarisch nachzugehen.
- Die Baaremer Brotkultur (4. September): Die Vielfalt an Brotsorten und an anderem Backwerk ist auf der Baar traditionell beneidenswert groß. Das hat spezifische Gründe. Solch eine Brotkultur zählt zum immateriellen Kulturerbe, das es zu bewahren und entwickeln gilt. Interessant sind in diesem Zusammenhang die Geschichte der Brezel, der ursprüngliche Sinn der Seelen oder die diffizile Qualität der Schwarzwälder Kirschtorte, deren Herkunft immer wieder heftig umstritten ist.
- Märchen und die Kunst des Erzählens (2. Oktober): Es ist nicht auf Anhieb zu erklären, aber eine Tatsache: Wenn ein geschickter Sprecher Kinder wie auch Erwachsene mit Märchen aus der realen Welt holt und in die Gefilde von unwirklichen Helden oder zauberhaften Ereignissen führt, dann hören sie gebannt zu. Auch das Erzählen von Märchen ist Teil des kulturellen Erbes. Ein Blick auf andere Formen des mündlichen Erzählens oder Erläuterns wie das Storytelling oder Kostümführungen leitet auf ähnlich interessante Bahnen.
- Faszination Karten spielen (6. November): „Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“ So lautet eine sprachlich verkürzte Erkenntnis, die von Friedrich Schiller stammt. Das faszinierende Kartenspiel gehört nicht umsonst zum heimatlichen Kulturerbe auf der Baaar. Denn bei Cego und Skat zum Beispiel kommen Dinge unter einen Hut, die sich in ihrer Zusammengehörigkeit nur dem spielenden Menschen erschließen: zu Beginn das Glück im Zufall, dann eine strategische Kombinationsfähigkeit und schließlich die Freude am gemeinschaftlichen Tun.
- Das Hebammenwesen und die natürliche Geburt (4. Dezember): Hebammen benötigen für ihr Wirken nicht nur medizinisches, speziell anatomisches sowie geburtshilfliches Wissen. Sie brauchen außerdem viel Feingefühl für Frauen während und nach einer Schwangerschaft. Ihre Rolle als wichtige Bezugspersonen mit geschichtlich gewachsenem Wissen und Können wird als Kulturerbe gewürdigt. Heute bekommt der Erfahrungsschatz von Hebammen dann ein besonderes Gewicht, wenn eine „natürliche Geburt“ außerhalb eines Kreißsaales gewünscht wird.