Der olympische Fünfkampf dürfte sicher bislang kaum eine derart große Beachtung in der Öffentlichkeit gefunden haben, wie das aktuell der Fall ist. Allerdings wohl nicht in der derzeitigen Ausrichtung. Die Bilder von Fünfkämpferin Annika Schleu, wie sie mit verzweifelter Miene versucht das ihr zugeloste Pferd unter Kontrolle zu bringen, sind mittlerweile in ganz Deutschland bekannt. Was mit der öffentlichen Diskussion um den Fall einhergeht: Pauschal wird der gesamte Pferdesport in einen Topf geworfen und kritisiert.
Der Pferdesport spielt auch im Donaueschinger Jahreskalender eine große Rolle. Sei es beim großen Reitturnier oder beim Fest der Pferde auf den Immenhöfen. Wie sehen Pferde-Experten von hier die aktuelle Diskussion rund um das Ereignis beim olympischen Fünfkampf?
Nichts damit zu tun
„Der moderne Fünfkampf hat nichts mit meinem Sport zu tun. Außer, dass Pferde involviert sind“, erklärt Ralph Clasen-Hoffmann. Er ist Pferdewirtschaftsmeister und für die Fédération Equestre Internationale (FEI), die internationale Dachorganisation des Pferdesports, als Chef-Steward beim großen Donaueschinger Reitturnier tätig. Stewards haben dabei neben verschiedenen Koordinations- und Organisations-Aufgaben auch die Pflicht zu kontrollieren, dass bei großen Turnieren alles zum Wohle des Pferdes getan wird.
Keinen Zugriff
Auf den Fünfkampf habe aber etwa die FEI – und auch der nationale Pferdesportverband – keinen Einfluss: „Der Verband hat keinen Zugriff“, sagt Clasen-Hoffmann. Der Fünfkampf besitzt eine eigene Dachorganisation. Dort sei der Stellenwert des Pferdes ein anderer: „Beim Fünfkampf ist das Pferd leider schon eher ein Sportgerät.“ Die olympische Disziplin entstamme militärischen Übungen, bei denen Pferde nach bestimmten Standards trainiert waren, und die Soldaten (Reiter) eine entsprechende Ausbildung hatten. Eine Eigenart beim Fünfkampf ist es, dass der Reiter ein ihm bislang unbekanntes Pferd bekommt, das zuvor ausgelost wurde. Daher auch der Vorwurf vieler Pferdesportverbände, das Tier sei hier eher Sportgerät.
Situation noch schlimmer geworden
„Heute sind es im Fünfkampf keine Soldaten mehr, sondern alles Zivilpersonen“, sagt Clasen-Hoffmann. Eine entsprechende Ausbildung, wie sie etwa die Reiter beim Donaueschinger CHI besitzen, gebe es dort nicht: „Die deutsche Reiterin Annika Schleu hat meines Wissens nach keinen Reitausweis. Sie reitet sonst wohl keine Turniere.“ Mit dem Pferd werde lediglich in Vorbereitung auf den Wettkampf trainiert. Hätte sich ein Reiter mit Ausweis in der Situation anders verhalten? „Er hätte anders reagiert“, sagt der Steward. Das Pferd bei Olympia sei schon weit vor der Startlinie zurückgewichen: „Das Pferd wollte nicht. Und wäre die Bundestrainerin vom Fach, dann hätte sie zu Annika Schleu gesagt: Reite raus!“ Die Situation sei aufgrund der Bedingungen noch schlimmer geworden: Auf dem vom Regen aufgeweichten Rasen rutschte das Pferd weg, was zusätzliche Unsicherheit gebracht habe.
Nicht die Reiterin
Dennoch möchte Ralph Clasen-Hoffmann eine Lanze für Schleu brechen: „Ich übe die Kritik nicht an der Reiterin. In der Situation muss man erst mal sein. Im Rampenlicht, die Goldmedaille vor Augen. Sie wurde Opfer ihrer eigenen Sportart. Mir tut sie leid. Der Druck war hoch und der geht im Endeffekt dann gegen das Pferd.“ Das Ergebnis sei schließlich die Folge der unglücklichen Start-Situation gewesen: „Man hätte gleich hier sagen sollen: Lass es!“ Schließlich war das Pferd mit der vorigen Konkurrentin schon einmal ausgeschieden. Beim Springreiten hätte man anders reagiert. Als Beispiel nennt Clasen-Hoffmann den deutschen Springreiter Daniel Deußer. Hier verpasste das Team eine Medaillenchance (weil es kein Streichergebnis mehr gibt), da der 39-Jährige schließlich abbrach, nachdem das Pferd verweigert hatte: „Es war die richtige Entscheidung, dass er aufgegeben hat im Sinne des Pferdes“, sagte der Bundestrainer Otto Becker anschließend im Fernseh-Interview.
Kein Verständnis
Umso mehr hat Clasen-Hoffmann kein Verständnis, dass jetzt sämtliche Sportarten mit Pferd in einen Topf geworfen werden: „Das ist eine Katastrophe und dafür habe ich kein Verständnis.“ Wie er sagt, seien 90 Prozent der Leute aus dem Pferdesport der Meinung, diese Komponente gehöre aus dem Fünfkampf entfernt. „Die Sportler haben einen eigenen Degen, eine eigene Pistole, die eigenen Laufschuhe, die eigene Badehose, aber ein fremdes Pferd.“
Pferde dort nichts verloren
Ähnlich sieht das auch Claus Steidinger von der Reitanlage am Sickenbühl. Der ehemalige Springreiter und Reitlehrer sieht nicht nur Annika Schleu in der Pflicht. sondern vor allem die Verantwortlichen: „Diese Reiter trainieren auch. Allerdings ist es nicht nachvollziehbar, warum sie nicht ihre eigenen Pferde benutzen“, sagt er. Das Pferd in Tokio sei bereits beim ersten Durchgang fertig gewesen: „Es war über der Uhr, sagt man bei uns.“ Die Organisation oder die Richter hätten das Tier beim ersten Umlauf rausschicken müssen. „Ich bin der Meinung, Pferde haben beim modernen Fünfkampf nichts verloren.“
Pferd hätte nicht laufen dürfen
Auf kleinen Turnieren seien bei einem falschen Einsatz der Gerte die Richter sofort da, um einen Teilnehmer zu sperren. „In Tokio hätten die Veranstalter sagen müssen: dieses Pferd darf nicht laufen. Aber es geht ums Geld und schließlich immer zu Lasten des Tieres.“ Das Pferd, so Steidinger, werde mit der Sache länger zu kämpfen haben als die Reiterin. Er hofft, dass die Sache zumindest in Deutschland dazu führt, dass man sagt: „Wir machen da nicht mehr mit.“ Die Reiter sollten ihre eigenen Pferde benutzen dürfen. „Ansonsten sollen sie beim Fünfkampf eben Moped fahren.“
Schon immer unschöne Bilder
Wie Steidinger erklärt, sei es bei Pferden besonders wichtig, eine Vertrauensbasis zu besitzen: „Es ist schon hundertmal bewiesen, dass absolutes Vertrauen notwendig ist. Auch bei den Dressuren. Das ist Hochleistungssport für die Tiere. Wenn bei mir eine Reitschülerin und ihr Pferd zusammen nicht funktionieren, dann gehen sie auch auf kein Turnier.“ Beim modernen Fünfkampf habe es schon immer unschöne Bilder gegeben: „Wenn ein Pferd nicht mehr in der Lage ist weiter zu machen, dann nutzt auch das Draufhauen nichts.“
Keine Tierquälerei
Das jetzt verallgemeinert und generell gegen den Pferdesport geschossen werde, das passiere in solch einem Fall fast immer: „Es gibt in jedem Sport schwarze Schafe. Aber für alle Sportler im Bereich Pferdesport sind die Tiere Kollegen. Man trainiert zusammen und kommt zusammen ans Ziel. Da steckt auch die Gesund-Erhaltung dahinter“, erklärt Steidinger. „Die Leute sollten mal sehen, wie es in einem Profistall zugeht.“ Täglich seien die Tiere draußen und bewegen sich kontrolliert: „Das hat nichts mit Tierquälerei zu tun. Ein Pferd bewegt sich jeden Tag zwischen 16 und 20 Kilometern. Wenn das Tier das nicht will, dann geht das auch nicht.“