Unverständnis – dieses Wort beschreibt die Reaktionen in Königsfeld auf die geplante Schließung der Michael-Balint-Klinik wohl am trefflichsten. Am Dienstag war die Belegschaft der Klinik von Insolvenzverwalter Michael Jaffé über die Schließung der Fachklinik für Psychosomatik und Ganzheitsmedizin informiert worden. Grund ist die Zahlungsunfähigkeit der Klinik. 100 Mitarbeiter sind betroffen.
Seit bereits acht Jahren läuft das Insolvenzverfahren, zweimal wurde versucht, das Gebäude zu verkaufen – ohne Erfolg. Eine komplizierte Vertragshistorie, die vom vorherigen Betreiber, der Wolfhardt Rother GmbH, geeerbt worden sei, sei der Klinik schließlich zum Verhängnis geworden, so Insolvenzverwalter Michael Jaffé. Er verhandle derzeit einen Sozialplan für die Mitarbeiter der Klinik.
Link: „Entscheidung war nicht abgestimmt“
Die Schließung der Klinik ist nicht nur für Mitarbeiter und Patienten ein Desaster, sie könnte auch weitreichende Auswirkungen auf die Gemeinde Königsfeld haben. „Es wäre ein Skandal“, äußert sich Fritz Link am Freitagvormittag zu der Einstellung des Klinikbetriebs. Für ihn sei die Entscheidung absolut unverständlich und komme überraschend: „Das war nicht abgestimmt.“ Die Klinik schreibe schwarze Zahlen, sei ausgelastet und gefragt. 150 Patienten stünden auf der Warteliste, darunter Patienten mit suizidalen Tendenzen. „Das ist nicht zu verantworten.“

„Rottweil ist darauf nicht vorbereitet“
Seit acht Jahren würde an verschiedenen Lösungen gearbeitet werden. Die Klinik gehöre, so Link, landesweit zu den zehn größten Fachkliniken. „Für uns als Gesundheitsstandort ist die Klinik unverzichtbar“, so Link. Die Klinik sei unter anderem darauf spezialisiert, türkisch- und kurdischsprachige Patienten muttersprachlich zu behandeln. Das Vinzenz von Paul Hospital in Rottweil, das die Patienten künftig aufnehmen werde, sei nach der Meinung von Fritz Link, auf diese Situation nicht vorbereitet. „Es gilt alles zu unternehmen, um die Entscheidung zu revidieren“, so der Bürgermeister, der am Freitag nach Stuttgart geeilt ist, um das Gespräch mit den Entscheidungsträgern zu suchen.

Die Schließung der Klinik könnte sich, so Link, auf die Einnahmen im Kurbetrieb auswirken. 25 000 Übernachtungen zähle die Michael-Balint-Klink im Jahr. Damit fehlen künftig 20 Prozent aller Übernachtungen in Königsfeld. Als Kurort im ländlichen Raum würden die Kliniken maßgeblich zur Wirtschaftssicherung beitragen. Sowohl der Einzelhandel als auch die Gastronomie würden von den Folgen betroffen sein. „Das lassen wir uns nicht gefallen“, gibt Link sich kämpferisch.
Auch Thomas Fiehn von den Freien Wählern findet die Situation „furchtbar“. Er habe nichts davon gewusst, lediglich, dass das Insolvenzverfahren noch nicht abgeschlossen sei. „Es ist ein riesiger Schaden für Königsfeld.“ Der ruhige Standort Königsfeld mit guter Luft, sei die richtige Atmosphäre für die Klinik gewesen. Auch ihm ist unverständlich, warum eine Klinik, die schwarze Zahlen schreibt, geschlossen werden soll. Dass der Bürgermeister für den Erhalt der Klinik kämpft, findet Fiehn wichtig und gut.

Gemeinderätin Birgit Helms zeigt sich bestürzt und bewegt über die Nachricht. „Die Klinik bedient eine Nische, die nicht in jeder Klinik behandelt werden kann“, sagt Helms über das fachspezifische Angebot. Der Bedarf sei da, Anfragen kämen aus ganz Deutschland. In der Michael-Balint-Klinik seien Know-how und Kompetenz an einem Ort gebündelt: „Menschen brauchen diese Hilfe.“ Für Birgit Helms sorgen die Patienten und deren Angehörige außerdem für eine Belebung des Ortes: „Sie nehmen regen Anteil am Ortsgeschehen.“
Was ist los in der Landeshauptstadt?
Wieso muss ein profitables Krankenhaus schließen, dessen Know-how bei der Betreuung von traumatisierten Patienten mit Migrationshintergrund geschätzt und einzigartig ist? Nachfrage bei der Wahlkreisabgeordneten Martina Braun, die am Freitag telefonisch in Stuttgart erreichbar war.

Vom Aus für die Balint-Klinik hat auch die Landtagsabgeordnete erst durch den SÜDKURIER erfahren. Braun, die seit ihrem Amtsantritt mit der Thematik vertraut ist, zeigt sich enttäuscht. „Wir haben uns überparteilich für die Klinik starkgemacht. Es gab mehrere Treffen in Stuttgart und ich habe nicht nur mit dem Verband der Ersatzkassen, sondern auch mit dem Minister und den Staatssekretären gesprochen.“
Nur mit Rehabetten wäre die Klinik nicht zu halten
Im Juli habe sie gehört, dass Bewegung in die Situation der Balint-Klinik komme, habe dies jedoch als positives Signal gewertet. „Ich bin sehr enttäuscht. Die Klinik sollte man retten“, erklärt Martina Braun und verweist darauf, dass das Haus stets in den schwarzen Zahlen gewesen sei. Diese seien jedoch durch die Akutbetten entstanden. Nur mit Rehabetten sei eine solche Klinik nicht zu halten. Ein Lösungsansatz könnte sein, einen Antrag für neue Akutbetten in der neuen Krankenhaus-Bedarfsplanung unterzubringen.
Kretschmanns Jesidinnen wurden auch in Königsfeld behandelt
Wie auch der Bürgermeister verweist die Landtagsabgeordnete auf die 2014 gestartete Hilfsaktion des Landes. Im Rahmen der Aktion, die Ministerpräsident Winfried Kretschmann persönlich initiiert hat, wurden 1100 jesidische Frauen aus dem Nordirak in Baden-Württemberg aufgenommen. Einige der traumatisierten Frauen wurden auch in der Michael-Balint-Klinik von spezialisierten, muttersprachlichen Medizinern behandelt. Nun, nachdem die Akutbetten dem landeseigenen Vinzenz von Paul Hospital zugeschlagen wurden, wird diese bislang einzigartige medizinische Expertise fehlen.
Über die Klinik
Die Michael-Balint-Klinik liegt nahe des Kurparks. Behandelt werden unter anderem psychosomatische Funktionsstörungen und Erkrankungen wie Schlafstörungen, Erschöpfungssyndrome, Angststörungen und Essstörungen wie Magersucht, Bulimie und Fettleibigkeit. Die Klinik ist benannt nach dem ungarischen Psychoanalytiker Michael Balint (1896 bis 1970), der sich intensiv der Erforschung der psychotherapeutischen Beziehung gewidmet hat.