Rottweil – Wann immer Andreas Schierenbeck Zeit und Gelegenheit hat, fährt er mit dem Aufzug auf die Aussichtsplattform, um die Aussicht zu genießen. „Satt gesehen habe ich mich noch lange nicht“, sagt der Geschäftsführer von Thyssen-Krupp Elevator und lacht. Derzeit muss er sich allerdings noch mit einem langsamen Bauaufzug begnügen, der ihn mit grade mal vier Metern pro Sekunde auf die 232 Meter hievt. Knapp eine Minute dauert die Fahrt. Wenn ab Dezember der Testbetrieb aufgenommen wird, rauschen die schnellsten Aufzüge mit bis zu 18 Metern pro Sekunde durch die dann neun Schächte.

In Rottweil entsteht derzeit das höchste Bauwerk Baden-Württembergs und eines der höchsten in Deutschland. Die Thyssen-Krupp Elevator AG baut einen 246 Meter hohen Testturm für Aufzüge. Ab Dezember sollen dort die neuesten Generationen von Personenaufzügen getestet werden. Bis dahin steht aber mit der Montage der 17.000 Quadratmeter großen Außenhülle noch eine wichtige Bauphase an. Gleichzeitig entsteht auf 232 Metern Höhe die höchstgelegene Aussichtsplattform Deutschlands. Gestern lud die Thyssen-Krupp Elevator AG Journalisten zu einem ersten Einblick in die geplante Technologie, die auch mit einem einzigartigen Ausblick vom Turm über das Ländle belohnt wurde.


Künftig ohne Seil

Besucher können die Fahrt nach oben von einem Panoramaaufzug erleben. Wozu braucht man eine so hohe Geschwindigkeit? „Gebäude werden immer höher, und damit wollen immer mehr Menschen in kurzer Zeit transportiert werden“, erklärt Andreas Schierenbeck. Um hier die Anforderungen erfüllen zu können, testet das Unternehmen Aufzüge der Zukunft. Darunter das erste seillose Aufzugssystem der Welt mit Seitwärtsbewegung. Statt an Seilen wird die Fahrgastkabine über eine Elektromagnetschiene angetrieben, ähnlich wie bei einem Hochgeschwindigkeitszug. Dadurch sind dem Aufzugssystem praktisch keine Höhengrenzen gesteckt. Durch eine dem Paternoster nachempfundene Technologie sollen zudem mehrere Aufzüge in einem Schacht fahren können, sodass der Fahrgast nicht länger als höchstens 30 Sekunden auf eine Kabine warten muss.

Kann man da bei Stromausfall nicht abstürzen? „Nein, wenn der Strom ausfällt, rutscht der Aufzug langsam nach unten und erzeugt dabei ein Bremsfeld, der den Aufzug hält“, versichert Schierenbeck. Wie der Geschäftsführer erklärt, gibt es bereits zahlreiche Interessenten für die neuen Aufzugssysteme. „Das Interesse ist riesengroß. Wir sind zuversichtlich, dass wir das Projekt in vier bis fünf Jahren in den Markt bringen können“, so der Manager. So lange dauern die Planungen für neue Gebäude.

In dem 246 Meter hohen Turm ist auch ein sogenannter Schwingungstilger eingebaut, eine Art Pendel. Schwankt der Turm bei starkem Wind, immerhin bis zu 75 Zentimetern, halbiert das 240 Tonnen schwere Pendel die Schwingungen automatisch. Andererseits kann der Turm mit dem Pendel für bestimmte Testanforderungen bewusst bis zu 20 Zentimeter in Schwingung versetzt werden.

Rottweils Oberbürgermeister Ralf Broß zeigte sich gestern bei einer Besichtigung der Baustelle sehr glücklich, dass der Aufzugstestturm in Rottweil gebaut wurde. Er sehe den Turm als im wahrsten Sinne Leuchtturmprojekt für die Region „und weit darüber hinaus“. Die Stadt möchte damit nicht nur den Tourismus ankurbeln, sondern auch die Wirtschaft. „Seit der Testturm entsteht, haben wir verstärkt Anfragen nach Gewerbeflächen hier im Berner Feld bekommen.“

Fakten zum Testturm

Mit einer Höhe von 246 Meter überragt der Thyssen-Krupp-Testturm den Stuttgarter Fernsehturm um 29 Meter. Die auf 232 Metern Höhe gelegene Aussichtsplattform ist die höchstgelegene Deutschlands. Die neun Testschächte sind insgesamt 2,1 Kilometer lang. Die Bauzeit war rasant. An manchen Tagen wuchs der Turm um fünf Meter. Das Treppenhaus besteht aus knapp über 1500 Stufen. Die Baukosten betragen rund 40 Millionen Euro. Darin nicht enthalten sind die Kosten für die Testaufzüge, die immer wieder erneuert werden. (spr)