Emil Kiess, renommierter Künstler mit Wurzeln auf der Baar. Maler, ein Mann der Farbe, Professor mit Ehrentitel, der seit mehr als 70 Jahren der Kunst seinen ganz eigenen Stempel aufdrückt: Die Farbe ist sein Abenteuer, das er von allen möglichen Seiten ausleuchtet. Vor kurzem ist er 87 Jahre alt geworden, lebt im Hüfinger Stadtteil Fürstenberg. Er arbeitet in seinem Atelier auf der Steig in Donaueschingen.

Fast täglich arbeitet er mit Farbe und Pinsel an der Staffelei, setzt farbige Flecken auf die Leinwände. Demnächst ist im Rottweiler Dominikanermuseum sein Werk "Kreuzigung" von 1956 zu sehen, wenn dort vom 30. April bis 10. September die Ausstellung "Religiöse Kunst der Moderne im Raum Rottweil 1945 bis 2015" mit Arbeiten bedeutender Künstler der Region gezeigt wird.

Der Beitrag von Kiess ist ein großformatiges Werk mit Maßen von 1,85 mal 2,60 Meter, gemalt in Öl auf Hartfaserplatte: "Für mich war das Werk damals ein Abschluss, mein Abschluss mit HAP Grieshaber", sagt Emil Kiess, und erinnert an die Auseinandersetzung mit seinem berühmten Lehrer Helmut Andreas Paul (HAP) Grieshaber: Er war von 1951 bis 1953 Lehrer an der Bernsteinschule in Sulz am Neckar, an der auch Emil Kiess das künstlerische Handwerk erlernte. Hier entstanden Grieshabers erste lebensgroße Holzschnitte, die er zu mehrteiligen Zyklen verarbeitete. Danach wurde er Lehrer an der Kunstakademie Karlsruhe, wo es später heftigen Streit über den Begriff der Kunst geben sollte: Er entzündete sich an der Frage von Abstraktion und naturgetreuer Darstellung.

Für Emil Kiess begannen die Aufarbeitung der Vergangenheit und die Ablösung von Grieshaber jedoch schon 1953. Kiess ging von der Bernsteinschule nach Stuttgart zu seinem neuen Lehrmeister Willi Baumeister, übernahm erste Aufträge vor allem für Gasfenster in Kirchen. Zum Beispiel 900 Quadratmeter große Fenster in der neuen Mannheimer Trinitatiskirche, die im Wesentlichen aus Sichtbeton und Glas besteht. Kiess entwarf für die evangelische Kirche, die in Mannheim 1959 eingeweiht wurde, farbige Glasbetonsteine, die in Chartres von einer Firma gegossen wurden. Die Symbolik der Farben inspirieren ihn zu seinem Werk, auf einer Wand gestaltet er die Schöpfungsgeschichte und auf der anderen acht Szenen aus dem Leben Jesu, im Altarraum die Dreifaltigkeit.

Über die engere Region hinaus bekannt und schon mehrfach beschrieben sind die Entwürfe von Emil Kiess für die Glasfenster der Gedächtniskirche in Berlin. Und in den 1990-er Jahren sorgten die Deckenmalereien des Baaremer Künstlers an der Antoniuskirche in Saulgau für Diskussionen: Bildtafeln aus dem Barock wurden durch Kiess-Bilder ersetzt, womit der Tradition verhaftete Kirchenbesucher nicht wirklich einverstanden waren. "Für mich war es jedenfalls eine Schinderei", erinnert Emil Kiess sich an die Arbeiten auf einem acht Meter hohen Gerüst, das man immer wieder hin- und herabsteigen musste.

Heute ist der Künstler froh, dass er frei arbeiten kann und Auftragsarbeiten hinter sich hat. Er erntet die Früchte der Vergangenheit: "Die Farbe ist befreit vom Gegenständlichen", sagt der 87-Jährige, es ist die Lehre des Divisionismus, die ihn immer umgetrieben hat mit seiner "Fleckenmalerei". Diese Art Kunst hatte Folgen für die Wahrnehmung, "wir sehen nichts anderes als ein Mosaik von Formen und Farben", sagt Kiess und zitiert den Künstler John Ruskin: "Alles, was wir sehen können, stellt sich unseren Augen lediglich als verschieden abgetönte Farbflecken dar."

So spielt Kiess heute nicht nur mit Pinsel und Farbe auf der Leinwand, sondern auch mit farbigen Papieren, die er zu Collagen zusammensetzt. Aber was vermeintlich eine Geschichte von menschlichen Begebenheiten erzählt, von Kindern mit Lampions, von einem kindlichen Kaufladen oder von einem türkischen Feldlager, bleibt die ungegenständliche Farbkunst von Emil Kiess und lässt Raum für die Fantasie.

Zur Person

Emil Kiess ist 1930 in Trossingen geboren. Er lebt im Hüfinger Stadtteil Fürstenberg und arbeitet in seinem Atelier in Donaueschingen. Er lernte die Kunst an der Bernsteinschule in Sulz am Neckar bei HAP Grieshaber und später an der Akademie in Stuttgart bei Willi Baumeister. In den 1950-er Jahren übernahm er zahlreiche Aufträge und Entwürfe für Kirchenfenster, so auch für die Berliner Gedächtniskirche. Auftragsarbeiten in Esslingen, Leutkich, Mannheim oder Kassel. Kiess erhielt zahlreiche Preise, 1960 ein Stipendium für die berühmte Villa Massimo in Rom, wo er zur Abstraktion fand. Er malte später das Porträt des früheren Ministerpräsidenten Erwin Teufel. (bea)