Dieser Finger...
...ist nicht echt.
Er wird hergestellt im Orthopädie- und Vitalzentrum Piro am Neuen Markt in Villingen. An dem Ort, an dem Jana Lehmann, 23, aus Mönchweiler und Adrian Iacubino, 24, aus Burgberg bei Königsfeld ihre Ausbildungen absolvieren beziehungweise gerade absolviert haben.
Lehmann ist seit wenigen Wochen frisch gebackene Gesellin der Orthopädietechnik und -mechanik. Als solche ist sie vor allem auf zwei Gebieten tätig: in der Prothetik und in der Orthetik. „In der Prothetik stellen wir Prothesen her. Bei der Orthetik werden vorhandene Körperteile unterstützt“, erläutert die 23-Jährige.

Orthesen erhalten beispielsweise Menschen, die einen Schlaganfall erlitten haben. Wenn etwa das Bein nicht mehr richtig funktioniert, kann Lehmann mit einer Orthese dafür sorgen, dass dieses wieder seiner Funktion nachkommen kann.
Prothesen erhalten Menschen, die etwa ein Bein verloren haben und nun ein künstliches erhalten. „Man beginnt dabei zunächst mit dem Beratungsgespräch. Da geht es darum, den Patienten Perspektiven zu bieten, ihnen die Kosten aufzuzeigen und den zeitlichen Ablauf zu besprechen“, sagt Lehmann. An diesen Gesprächen ist sie aber eher nicht beteiligt. Ihre Aufgabe beginnt danach: „Zunächst muss ein Gipsabdruck erstellt werden. Dann wird ein Modell angefertigt und letztlich probiert und entsprechende angepasst“, sagt die Gesellin.
Den gesamten Prozess, von der Patientenanamnese bis zur fertigen Prothese, musste Lehmann im Zuge ihrer Abschlussprüfung bewerkstelligen. Als Patient diente ihr ihr Ausbildungsleiter Detlev Mankiewicz, der auch sonst eine Beinprothese trägt. Während die mündliche Prüfung in der Kerschensteinerschule bei Stuttgart stattfindet, wird die praktische Prüfung im eigenen Betrieb absolviert. In Lehmanns Jahrgang gab es zwei Klassen à 20 Schüler.

„Normalerweise gibt es Kontrollen einer Prüfungskommission. Wegen Corona ist das in diesem Jahr ausgefallen“, sagt Lehmann. Ihr Chef musste mit seiner Unterschrift bestätigen, dass sie die Abschlussarbeit selbstständig und ohne Hilfe erstellt hat. Eine überbetriebliche Ausbildungsstätte gibt es dagegen nicht. Bei Piro, das ist aber nicht obligatorisch, gibt es darüberhinaus eine Kooperation mit einem anderen Betrieb, während der Auszubildende für eine kurze Zeit im anderen Betrieb mitarbeiten können.
Wie aber ist die 23-Jährige aus Mönchweiler, die ihr Abitur am Gymnasium am Hoptbühl in Villingen gemacht hat, zu ihrem Beruf gekommen? „Ich haben meinem Papa schon als Kind in der Werkstatt geholfen und dort rumgeschraubt. Außerdem war für mich immer klar, dass ich keinen Bürojob haben möchte.“ Zu ihrem jetzigen Beruf ist sie über einen Bekannten gekommen, der einen Unterschenkel amputiert bekommen hat.
An ihrem Beruf gefällt ihr unter anderem, dass er „hochindividuell“ ist. Jeder Mensch sei anders und daher auch jede Prothese. Es gebe einfache Fälle, bei denen der Stumpf reizlos sei, die Haut intakt und die Fläche, auf der die Prothese aufgelegt wird, gut zu bearbeiten.
Dann gebe es aber auch schwierigere Fälle, bei denen es etwa anatomische Veränderungen gibt oder der Patient Schmerzen am Stumpf hat. „Ich mag lieber die komplizierten Fälle“, sagt Lehmann. So einer herrscht vor, wenn ein Mensch zwar alles hat, das Bein aber auf Höhe des Knies aufhört. Das sei angeboren, aufgrund eines Gendefekts.
Im Jahr fertigt Lehmanns Arbeitsstätte etwa 150 Prothesen, darunter 50 bis 60 Oberschenkelprothesen, an. Die Firma ist spezialisiert auf Extremitäten. Lehmann hat im Laufe ihrer Ausbildung zwar alles gelernt, was ein Sanitätshaus ausmacht, sie ist nun aber spezialisiert auf Prothesen und Orthesen.
Ebenfalls hergestellt werden bei Piro Einlagen. Darum kümmert sich Adrian Iacubino. Der 24-Jährige aus Burgberg bei Königsfeld ist Auszubildender im ersten Lehrjahr zum Orthopädieschuhmacher. Sein Abitur hat er auf dem Königsfelder Wirtschaftsgymnasium abgelegt. Überschneidungen zum Beruf von Kollegin Lehmann gebe es kaum. „Wir kümmern uns vor allem um Einlagen, Schuhzurichtungen und Maßschuhe“, sagt Iacubino. Letztgenannte brauchen beispielsweise Menschen mit Diabetes und Lähmungen.
Auch für ihn sei schon immer klar gewesen, dass er einen handwerklichen Beruf erlernen möchte. Er schaute sich zunächst den Beruf seiner Kollegin Jana Lehmann bei Piro an, fand dann aber mehr Interesse am Orthopädieschuhmacherberuf. Immerhin betrifft das richtige und gesunde Laufen so gut wie jeden Menschen. „Etwa 80 Prozent der Menschen haben einen Senk- oder Spreizfuß“, sagt der 24-Jährige.
Ob jemand eine Einlage braucht, um das Gehen zu korrigieren, sieht der Burgberger übrigens sofort: „Wenn ich durch die Stadt laufe, erkenne ich, wer eine Einlage bräuchte“; sagt er und lacht. Es sei fast schon ein Bedürfnis, den Menschen dann auch zu helfen.
Er selbst trägt übrigens seit drei Monate eine Einlage. Wegen seines Berufs habe er auch an sich Fehler festgestellt, die korrigiert werden mussten. Also hat er sich, als Ausgleich für seinen Spreizfuß, in der Firma eine Einlage angefertigt. „Ich hatte während meiner Ausbildung Schmerzen und wollte etwas dagegen tun“, sagt er weiter.

So wie bei sich, verfährt er auch bei Kunden: „Erst wird ein Abdruck gemacht, dann müssen wir die Einlage oder den Schuh abmessen. Dann wird das jeweilige Teil geschliffen und am Ende entsprechend angepasst“, erläutert Iacubino.

Fast jede Einlage sehe anders aus, das gefalle ihm am Job. Was es dagegen häufig gibt, ist die Pelotte. Das ist eine kleine ballähnliche Erhebung an der Einlage, die dazu führt, dass Gewebe am Fuß hochgedrückt wird. Verwendet wird das beispielsweise bei Senkfüßen. Bei Diabetikerin sei es dagegen vor allem wichtig, dass es wenig Druckpunkte am Fuß gebe und so Durchblutungsstörungen vermieden werden. Universaleinlagen würde Iacubino sei dem Beginn seiner Ausbildung nicht mehr kaufen.
So wie Kollegin Lehmann, muss auch Iacubino von Zeit zu Zeit in die Kerschensteinerschule nach Stuttgart. Dort ist die Berufsschule und die überbetrieblichen Ausbildungsstätte. Auch bei ihm gibt es zwei Klassen mit jeweils 20 Schülern. Sonst verbringt er seine Ausbildung in Villingen.
Ob Prothese, Orthese, passendes Schuhwerk oder richtige Einlage, wichtig ist Orthopädietechnikerin und -mechanikerin Jana Lehmann und Orthopädieschuhmacher-Azubi Adrian Iacubino am Ende jeder Arbeit, dass sie den Patienten geholfen und Lebensqualität zurückgegeben haben.