Die Projektgruppe Das Dritte Reich und Wir arbeitet weiterhin die schrecklichen Geschehnisse auf, die sich während des Zweiten Weltkrieges in St. Georgen ereignet haben. Eines der brutalsten Kriegsverbrechen, dessen Jahrestag sich jetzt zum 80. Mal jährte, ereignete sich nur wenige Wochen vor Kriegsende. Am 22. April 1945 wurden im Märtisloch zwischen Brigach und Sommerau 50 Menschen hingerichtet.

Das Märtisloch ist heute eine weitgehend unbeachtete, kleine Senke zwischen der Sommerau und dem Ortsteil Brigach auf der anderen Seite eines Hügels. Nur wer die Geschichte kennt, weiß, welch schreckliches Ereignis sich in dem Dobel vor genau 80 Jahren zugetragen hat.

St. Georgener Bürger haben zahlreiche Exponate zur Verfügung gestellt, die bei einer Ausstellung zum Thema das Dritte Reich 2023 im ...
St. Georgener Bürger haben zahlreiche Exponate zur Verfügung gestellt, die bei einer Ausstellung zum Thema das Dritte Reich 2023 im Rathaus gezeigt wurde. | Bild: Sprich, Roland

„Es ist angesichts der aktuellen Weltsituation wichtiger denn je, sich mit der Geschichte auseinanderzusetzen“, sagt Gerhard Mengesdorf, auf dem kurzen Fußweg an eine Stelle, von wo aus man einen ungefähren Blick auf das Märtisloch hat. Hier hat sich die Grausamkeit ereignet.

Über die genaue Stelle, die uneinsehbar hinter einer Kuppe liegt, ist im wahrsten Sinne längst Gras gewachsen. Um zu verhindern, dass auch in den Erinnerungen langsam Gras über die Sache wächst, arbeitete die Projektgruppe Das Dritte Reich und Wir dieses Kapitel neu auf.

Ein Arbeitskreis schaut genau hin

Für die Mitglieder des Arbeitskreises innerhalb der Projektgruppe, zu der neben Gerhard Mengesdorf insbesondere auch Jörg Böcking, Ute Scholz und Till Münnich als Vorsitzender des Vereins für Heimatgeschichte gehören, ergeben sich bei der Aufarbeitung der vorliegenden Aufzeichnungen neue Fragen. Darunter die, was für Menschen es wirklich waren, die am letzten Kriegstag dort ihr Leben lassen mussten.

Damals standen noch nicht so viele Häuser im Bereich der Sommerau, so konnte die kriegsverbrecherische Aktion weitgehend, aber nicht ...
Damals standen noch nicht so viele Häuser im Bereich der Sommerau, so konnte die kriegsverbrecherische Aktion weitgehend, aber nicht gänzlich unbemerkt, in der kleinen, von der Straße nicht einsehbaren Senke ausgeführt werden. | Bild: Sprich, Roland

Bisher sei man davon ausgegangen, dass es sich ausschließlich um russische Gefangene handelte, die am 20. April 1945 als Fußtross von mutmaßlichen russischen Kriegsgefangenen über Triberg und Nußbach nach St. Georgen geführt wurden. Die Schilderungen stützen sich auf Zeugenaussagen im Buch „Ausweglos“ von Hermann Riedel, das 1973 erschien.

Demnach soll es sich abweichenden Zeugenaussagen zufolge um zwischen 100 und 400 Personen gehandelt haben, die, nach einer kurzen Rast auf der Sommerau, nach St. Georgen geführt und dort in der TV-Turnhalle untergebracht worden seien. Dass es sich um russische Gefangene gehandelt habe, schlossen die Zeitzeugen daraus, weil die ausgehungerten und abgemagerten Menschen „alte, gelbe Soldatenmäntel“ getragen haben.

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Dann kamen die Franzosen

Im Laufe des Tages des 20. April wurde St. Georgen von den Franzosen eingenommen. Die in der TV-Halle festgesetzten Gefangenen wurden, ebenso wie andere Gefangene und Zwangsarbeiter, die in Baracken in der Nähe des Bahnhofs, etwa dort, wo heute der Parkplatz des Lebensmitteldiscounters Lidl ist, festgehalten wurden, von den Franzosen befreit und mit Waffen ausgestattet.

Ein Kreis Interessierter befasste sich seit 2022 intensiv mit der Aufarbeiteung der Geschehnisse während der Zeit des Nazi-Regimes in ...
Ein Kreis Interessierter befasste sich seit 2022 intensiv mit der Aufarbeiteung der Geschehnisse während der Zeit des Nazi-Regimes in St. Georgen. Dabei wurden zahlreiche Exponate zusammengetragen. | Bild: Sprich, Roland

Im Zusammenhang mit der Befreiung durch die Franzosen kam es am Abend zu Plünderungen. Die Franzosen zogen sich am Abend des 21. April weitgehend nach Peterzell zurück. Am Morgen des 22. April 1945 kehrten einige deutsche Truppen in die Bergstadt zurück und lieferten sich heftige Gefechte mit den Besatzern, Gefangenen und Zwangsarbeitern. Es gab zahlreiche Verletzte und Tote.

Richtung Sommerau getrieben

Die verbleibenden, in der TV-Halle festgesetzten vermeintlichen Russen sowie Zwangsarbeiter und ein St. Georgener Bürger, wurden von den deutschen Soldaten zu einer Fußgruppe formiert und in Richtung Sommerau getrieben. Unterwegs haben sich die Soldaten auf Bauernhöfen mit Werkzeugen und Spaten ausstatten lassen.

Ein Teil der Personen aus der Fußgruppe bog auf der Sommerau ins Märtisloch ab, der andere Teil ging weiter in Richtung Triberg.

Eine nicht genau datierte Ansicht von St. Georgen.
Eine nicht genau datierte Ansicht von St. Georgen. | Bild: Bildarchiv Jochen Schultheiß

Für 50 der Personen, die ins Märtisloch geführt wurden, endete der Marsch mit dem Tod. Sie wurden erschossen und notdürftig vergraben. Später wurden sie umgebettet, zunächst vor Ort. 1950 wurden die sterblichen Überreste auf dem russischen Ehrenfriedhof in Donaueschingen beigesetzt.

Die Identität der Ermorderten ist ungeklärt

Für die Mitglieder des Arbeitskreises ergeben sich nach Durchsicht der Unterlagen mehrere Fragen. In erster Linie zur Identität der im Märtisloch ermordeten Personen. „Es ist davon auszugehen, dass sich unter den Opfern neben russischen Gefangenen auch Zwangsarbeiter unterschiedlicher, etwa polnischer, französischer und ukrainischer Herkunft befanden“, so eine formulierte Erkenntnis.

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Des Weiteren liege die Vermutung nahe, dass unter den Soldaten, die die Gruppe ins Märtisloch führte und dort erschoss, „auch welche mit Ortskenntnis befunden haben. Da die Stelle abgelegen und vor allem ortsfremden Personen nicht bekannt gewesen sein dürfte. Eine 1987 von der Staatsanwaltschaft Ludwigsburg angeordnete Untersuchung wegen Kriegsverbrechen verlief ergebnislos. Es konnten keine Personen und auch keine Einheit identifiziert werden, die an der Erschießung der 50 Menschen beteiligt waren.