Freitag, 42 Jahre, ist ein Herr im besten Alter. Ein hübscher Kerl, kerngesund und fast immer gut gelaunt. Vor ein paar Tagen hat er erfahren, dass er doch kein Mensch ist. Nein, wirklich nicht. Freitag ist ein Papagei – oder ganz exakt: eine prächtige, grüne Venezuela-Amazone. Er ist der neueste Mitbewohner im Papageienhaus im Floraparadies Weißer. Hier in Schabenhausen hat der Vogel zum ersten Mal in seinem Leben Artgenossen gesehen.
Man hört sie längst, bevor man sie sieht. Die Stimmen der Papageien sind unverkennbar. Rund 500 von ihnen leben hier, vom mächtigen Ara bis zum kleinen Nymphensittich. Doch der Platz wird langsam knapp: Neben dem großen Vogelhaus und mehreren mächtigen Gehegen im Floraparadies steht selbst in der Anlieferung inzwischen eine riesige Voliere.

Doch das soll sich bald ändern. Inhaber Uli Weißer plant ein neues, 1400 Quadratmeter großes Zuhause mit tropischer Atmosphäre für die Vögel. Kostenpunkt: Rund vier Millionen Euro für die vier Bauabschnitte. Baustart soll im kommenden Herbst sein. Um die Finanzierung stemmen zu können, hat Weißer eigens die gemeinnützige Stiftung „Flora hilft Fauna gGmbH“ gegründet. Er hofft bei dem Großprojekt auf die Unterstützung der Kunden sowie der Papageienfreunde allerorts.
Alles begann mit der Frage: Was gehört in ein Paradies?
Dass hier einmal hunderte Papageien ein Heim finden würden, das ist tatsächlich einfach irgendwie passiert. Geplant, lacht Uli Weißer, war es auf jeden Fall nicht. Im Jahr 2000, als aus der Gärtnerei Weißer das Floraparadies wurde, zogen auch ein Pärchen Nymphensittiche und zwei Rosellasittiche mit ein. „Wir haben damals überlegt, was denn alles in ein Paradies gehört“, erinnert sich Weißer.
Wie es nun weiterging, hätten sich der Inhaber und seine Mitarbeiter niemals träumen lassen. Immer wieder kamen Kunden auf ihn zu, die einen guten Platz für ihren Papagei suchten. „Die Leute standen oft weinend hier, weil sie eigentlich an ihrem Tier hingen.“ Aus vier wurden 20 Vögel, aus 20 irgendwann 50, „eine Zeitlang hatten wir fast überall Volieren“, erinnert sich Uli Weißer. 2011 entstand das Papageienhaus – und damit ging alles dann erst richtig los.
Einsamkeit mögen die Vögel nicht
Es kamen Papageien, die einsam waren. Papageien, die plötzlich auf ihre Besitzer losgingen. Papageien, die kürzlich ihren Lieblingsmenschen verloren hatten. So wie Freitag, der hübsche grüne Amazonen-Mann. Seine 96-jährige Besitzerin ist vor einigen Monaten verstorben, über vier Jahrzehnte hatten die beiden gemeinsam verbracht.
Freitag zog zuerst zur Tochter. Die Amazone war dort herzlich willkommen, flog frei durch die komplette Wohnung, es wurde gekuschelt und einmal pro Woche sogar geduscht und geföhnt. Jedoch: Der Vogel war zu oft allein. In Schabenhausen hat Freitag, der bislang nur Menschen kannte, nun plötzlich eine große Papageien-Familie.

Dass die den verlorenen Sohn sogleich herzlich in die Flügel schließt, so einfach ist das Papageienleben allerdings nicht. Freitag muss die erste Zeit in einer großen Voliere neben den anderen Vögeln verbringen. Irgendwann wird diese in das große Gehege gestellt, irgendwann die Tür geöffnet – und gehofft. Ob Freitag und seine neue Verwandtschaft sich mögen oder ob die Feder fliegen, wird sich erst dann zeigen.
Ein Großteil der Papageien im Floraparadies hat eine ähnliche Geschichte wie Freitag. Die Bezugsperson stirbt, Ehepartner und Verwandte können nichts mit den Tieren anfangen, sind selbst alt oder werden von den Tieren attackiert. „Sie sind sehr menschenbezogen und bekommen oft Verhaltensstörungen“, erzählt Uli Weißer.
Molly zum Beispiel. Die Graupapageien-Dame musste schnell aufgenommen werden, auch ihr Besitzer war verstorben. Der schüchterne Vogel hatte sich die kompletten Bauchfedern ausgerissen. Molly soll nun schon bald aus ihrem Einzel-Käfig in eine WG speziell für verängstigte Graupapageien ziehen.
Kakadu Lilly dagegen lebt schon seit zehn Jahren im Floraparadies. Auch sie hatte sich die Federn am Bauch komplett heruntergerissen. Eine Verhaltensstörung, die blieb. Inzwischen ist zwar fast alles nachgewachsen, doch der weiße Vogel mit der großen gelben Federkrone muss zum Schutz lebenslang eine Halskrause tragen.

Papageienhaltung ist eben schwierig, mahnt Uli Weißer. Und auch das möchte er mit der neuen Stiftung erreichen: Dass die Menschen aufmerksamer werden und sich nicht kurzerhand ein Tier anschaffen. „Einen Papagei schenkt man nicht zu Weihnachten.“
Auch der Tierschutzverein mahnt
„Die Tiere fliegen normalerweise viel, es ist eine Katastrophe, wenn sie in einem Käfig sitzen“, betont auch Cornelia Gaigl, Vorsitzende des Tierschutzvereins Villingen-Schwenningen. Tiere, die ohne Kontakt zu Artgenossen aufwachsen, prägen sich auf den Menschen und verstehen später Sprache und Gestik anderer Papageien nicht. Während kleine Sittiche öfter gefunden und vermittelt werden, seien Papageien beim Tierschutzverein VS aber eher seltene Gäste.

Über Tierheime und Auffangstationen kommen jedoch immer öfter Papageien nach Schabenhausen, manchmal auch von weit her. Diese Tiere haben kein schönes Leben hinter sich. Wie Hope. Der Edelpapagei wurde in einem Kellerraum gehalten und sah ewig kein Tageslicht. Die Folge: Auch Hope wurde depressiv und riss sich fast die kompletten Federn aus. Doch in Schabenhausen bekam seine Geschichte schließlich ein Happy End. Ein Teil seiner Federn ist schon nachgewachsen, er ist agil und frisst mit großem Appetit.
Diese Leckereien lieben die Papageien
Kein Wunder, denn sein Futter wird von Uli Weißer täglich höchstpersönlich mit viel Liebe zubereitet. Zweieinhalb Stunden pro Tag nimmt er sich Zeit für die Tiere, jeden Morgen schnippelt er allein zehn Kilo Obstmischung für die bunten Vögel. Was da drin ist? Zurzeit unter anderem Karotten, Äpfel, Vogel- und Johannisbeeren, rote Rüben, Salat und Sellerie. Dazu verspeisen die Vögel täglich ebenfalls rund zehn Kilogramm Körner. Bei so viel Papageienschmaus deluxe wird auch Neuzugang Freitag sicher bald auf den Geschmack kommen. Er ist ja schließlich jetzt kein Mensch mehr.