Es war ein Sonntag im Oktober 2017, an dem für Familie Veddeler Jacobsen von einer Sekunde auf die andere nichts mehr war wie zuvor. Die einjährige Lieke, ein fröhliches und sehr ausgeglichenes Kind, bekam mittags hohes Fieber.

Die hohe Temperatur machte den Eltern Sorgen. Sie entschieden sich, aufgrund des Wochenendes, spätnachmittags in die Ambulanz einer nahen Kinderklinik zu fahren, um die Sache abklären zu lassen.

Dort ging der behandelnde Arzt von einem Infekt aus. Nach einer kurzen Untersuchung und versorgt mit fiebersenkenden Zäpfchen wurde die Familie wieder nach Hause geschickt.

Abends legte sich Nele Veddeler mit ihrer Tochter im Kinderzimmer zum Schlafen.

„Ich spürte keine Atmung mehr“, erinnert sich die Mutter

Als sie zwei Stunden später mit ihrer Hand die Temperatur der Kleinen überprüfen wollte, folgte der Schock. „Sie lag auf mir, aber ich spürte keine Atmung mehr“, erinnert sich die Mutter.

Bis zum Eintreffen des Notarztes versuchten Nele Veddeler und Martin Jacobsen ihre Tochter wiederzubeleben. Als der Rettungsdienst eintraf, wurden die Eltern aus dem Zimmer geschickt. Die Retter kämpften vergeblich um das Leben von Lieke.

Was Nele Veddeler und Martin Jacobsen von dieser Nacht und den folgenden Tagen und Wochen berichten, lässt es einem kalt den Rücken herunterlaufen.

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Da war der unbeschreibliche Schmerz, von einer Sekunde auf die andere die kleine Tochter verloren zu haben.

Die Eltern sahen sich aber auch mit polizeilichen Vernehmungen und Ermittlungen konfrontiert, die, so berichten sie, zwar juristisch vielleicht nachvollziehbar, aber ohne jegliches Taktgefühl durch Beamte erfolgten.

Sie habe beispielsweise den Schlafanzug und den Schlafsack ihrer Tochter als Erinnerung zurückbekommen wollen, erzählt Nele Veddeler. Beides sei trotz der ausdrücklich geäußerten Bitte weggeworfen worden.

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Das Ergebnis der angeordneten Obduktion habe die Familie erst kurz vor Weihnachten und nur nach mehrfachem Nachfragen bei Polizei und Staatsanwaltschaft erfahren. Es stellte sich heraus, dass Lieke eine viel zu kleine Milz hatte. Weil die aber in so jungem Alter ganz wesentlich für die Immunabwehr zuständig ist, konnte der Körper der Kleinen nicht erfolgreich gegen die Infektion mit Pneumokokken kämpfen, die sie sich eingefangen hatte.

Die Nachricht von der Einstellung der polizeilichen Ermittlungen kam schließlich im Mai in einem nüchternen Brief bei den Eltern an.

Die Eltern vermissen Unterstützung und Orientierung

„Wir fühlten uns unmittelbar nach Liekes Tod mit der ganzen Situation alleingelassen. Dabei hätten wir professionelle Unterstützung und Orientierung gebraucht“, sagt Nele Veddeler. Natürlich, so sagt sie weiter, kümmerten sich Eltern, Familie und Freunde. Mit der Zeit sei für die aber irgendwann der Alltag zurückgekehrt, während dem Paar die unendliche große Lücke des verstorbenen Kindes blieb.

Hilfe bekam das Paar erst nach Eigeninitiative durch „Das Elternhaus für das krebskranke Kind“. „Die haben uns aufgefangen, obwohl wir eigentlich nicht zu deren Zielgruppe zählten“, ist Martin Jacobsen dankbar.

Schon aus diesem Kontakt heraus sei für das Paar auch eine Reha in der Nachsorgeklinik Tannheim im Raum gestanden, berichten die Eltern. Die habe sich aber nicht verwirklichen lassen, weil in der Nachsorgeklinik, nur eine Familienreha stattfinden könne.

Während der Reha für verwaiste Familien der Nachsorgeklinik Tannheim genießen Nele Veddeler und Martin Jacobsen mit ihren Kindern Jano ...
Während der Reha für verwaiste Familien der Nachsorgeklinik Tannheim genießen Nele Veddeler und Martin Jacobsen mit ihren Kindern Jano und Jule die gemeinsamen Unternehmungen in der Natur. | Bild: Cornelia Putschbach

Mittlerweile wurde im Spätherbst 2018 Tochter Jule geboren. 2020 freute sich die Familie außerdem auf die Geburt des kleinen Tom.

Aufgrund der Vorgeschichte sei auch diese Schwangerschaft eng überwacht worden, berichtet Nele Veddeler. Bei einer Untersuchung habe man festgestellt, dass Tom mit Klumpfüßen zur Welt kommen werde. Eine Diagnose, die die jungen Eltern zwar verdauen mussten, sich dann aber darauf einstellten.

In der 36. Schwangerschaftswoche setzten bei Nele Veddeler nachts Wehen ein. Weil die Großeltern weit entfernt wohnen, blieb der Vater bei Jule. Nele Veddeler fuhr zunächst allein zur Untersuchung in die Klinik.

Hier sah sie sich neuerlich mit der kalten Sachlichkeit des medizinischen Personals konfrontiert. Nach der Untersuchung habe ihr der Arzt kurz und knapp die Information gegeben: „Ihr Kind lebt nicht mehr. Da ist kein Herzschlag.“

Einmal die Welt anhalten können

In diesem Moment hätte die Mutter die Welt gerne angehalten, doch sie musste Tom auf natürlichem Weg zur Welt bringen.

Einen Kaiserschnitt verweigerten die Ärzte. Eine Hebamme und der dann zuständige Arzt habe sie zwar gut durch die Geburt geführt und auch versucht, ihr Sorgen zu nehmen, doch nach der Geburt habe man ihr gesagt, „der Verwesungsgrad des Kindes“ sei „weit fortgeschritten“. Als Todesursache wurde später der plötzliche Kindestod im Mutterleib benannt.

Eine Woche zuvor war Nele Veddeler bei ihrer Frauenärztin gewesen. Dass das CTG bei diesem Termin „etwas holprig war“, ließ sie im Nachhinein stutzen. Sowohl die Frauenärztin als auch andere Mediziner hätten ihr aber im Nachhinein bestätigt, dass das „schonmal vorkommen könne“.

Für die Eltern ist dieses CTG ein Zeitpunkt, an dem sie sich festhalten können. An diesem Tag lebte Tom im Mutterleib noch.

Zwei, die sich fest an der Hand halten: die beiden Geschwister Jule und Jano.
Zwei, die sich fest an der Hand halten: die beiden Geschwister Jule und Jano. | Bild: Cornelia Putschbach

Mittlerweile hatte sich im Hause Veddeler Jacobsen wieder Nachwuchs eingestellt. Vor gut zwei Jahren kam Söhnchen Jano gesund zur Welt.

Die Chance in der Reha wichtige Hilfe zu bekommen

Dennoch bleibt den Eltern neben dem schmerzlichen Tod zweier Kinder auch die stetige Sorge um die beiden anderen Kinder.

Es ist für sie keine einfache Situation, den Spagat zwischen der eigenen Trauer und dem positiven Familienleben mit Jule und Jano zu meistern. Während Jano als jüngsten Kind weitestgehend unbelastet aufwachse, befasse sich die mittlerweile sechsjährige Jule viel mehr mit dem Thema. „Wir wollen ihr nichts andichten, aber auch nichts übersehen“, sagt Nele Veddeler.

Die Eltern sind deshalb sehr dankbar, dass sie jetzt die Chance hatten, zur Familienreha in die Nachsorgeklinik Tannheim zu kommen. „Hier wird jeder gesehen“, sagt Martin Jacobsen, „Hier sind die wichtigen medizinischen Fachbereiche vertreten, hier gibt es vielfältige Angebote für die Kinder, aber auch für uns als Eltern und als Paar. Hier dürfen wir erzählen. Hier können wir Sport machen und andere Angebote wahrnehmen, für die zu Hause keine Zeit bleibt. Hier stoßen wir auf Verständnis und fühlen uns geborgen. Und hier dürfen Lieke und Tom präsent sein.“

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