Mit einem Paukenschlag endete der 12. Verhandlungstermin im Falle der Wirtschaftsstrafsache Hess vor dem Landgericht Mannheim. In einer ersten rechtlichen Beurteilung des bisherigen Prozessverlaufs ließ der Vorsitzende Richter Oliver Ratzel massive Zweifel an der Stichhaltigkeit der Anklagevorwürfe erkennen. Vom „Börsenskandal“ bleibt juristisch nicht mehr viel übrig. Neun Jahre nach den massiven Anschuldigungen gegen Christoph Hess und Peter Ziegler endet das Strafverfahren nun wahrscheinlich mit einer Bewährungsstrafe oder mit einem Freispruch. Auch eine Einstellung des Verfahrens dürfte noch nicht vom Tisch sein.

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Nach dem sich die beiden Angeklagten, der ehemalige Vorstandschef der Hess AG aus Villingen, Christoph Hess, und vor allem der ehemalige Finanzvorstand Peter Ziegler in vielen Sitzungen akribisch gegen die Vorwürfe aus der Anklageschrift zur Wehr gesetzt hatten, gab Richter Oliver Ratzel gestern eine vorläufige rechtliche Einschätzung zur Stichhaltigkeit der Vorwürfe. Demnach hegt das Gericht erhebliche Zweifel an einem Großteil der Vorwürfe. Nach den detailreichen Aussagen der Angeklagten in den letzten Wochen sind die schwerwiegendsten Vorwürfe von Untreue, Betrug und Marktmanipulationen aus Sicht des Gerichts ausgeräumt.

So sieht das Gericht beispielsweise den Vorwurf, die Angeklagten hätten beim Börsengang falsche Angaben im Börsenprospekt gemacht ebenso als rechtlich unhaltbar an wie den Vorwurf eines betrügerischen Grundstückskaufs in Löbau oder den Verdacht, die Hess KG habe durch eigene Aktienkäufe versucht, den Aktienmarkt zu manipulieren. Für diese Betrugsvorwürfe hätten den Angeklagten bis zu zehn Jahre Haft gedroht. Jetzt bleiben nach Einschätzung des Gerichts vor allem noch die Vorwürfe der unrichtigen Darstellung in den Bilanzen übrig, die aber im Zuge der Beweisaufnahme erst noch überprüft werden müssten.

Verständigungsangebot

Entgegen seiner ursprünglichen Ankündigung, mit den Angeklagten keine rechtliche Verständigung zu suchen und alle Vorwürfe in die Beweisaufnahme zu nehmen, erklärte der Vorsitzende Richter gestern, in diesem Falle eine Ausnahme zu machen. Er bot den Angeklagten an, das Verfahren in Form einer gerichtlichen Verständigung abzukürzen. Das heißt: Im Gegenzug zu einem Teilgeständnis käme es zu einem raschen Abschluss und einem Urteil in dem Verfahren. Neben den Zweifeln an den Tatvorwürfen führte der Richter auch die Länge des Verfahrens an, die dafür spreche, nun zu einem baldigen Ende zu kommen. Die Anklage wurde 2015 erhoben.

Wenn die schwersten Vorwürfe Betrug, Untreue und Marktmanipulation wegfallen, blieben nach Feststellung des Richters nur noch minderschwere Vorwürfe übrig wie eine mögliche Weise unrichtige Darstellung in den Bilanzen. Diese können mit einer Freiheitsstrafe von maximal bis zu drei Jahren geahndet werden, wenn sie beweisbar sind. Nach Einschätzung des Richters müssten in diesem Prozess aber mögliche Freiheitsstrafen in jedem Fall zur Bewährung ausgesetzt werden. Als mildernde Umstände müssten das überlange Verfahren und die Tatsache berücksichtigt werden, dass die Angeklagten vor und nach der Anklage unbescholtene Bürger gewesen seien.

Das Gericht hat in Bewertung dieser Sachlage den Angeklagten für den 17. März einen Erörterungstermin für eine gerichtliche Verständigung angeboten. Dabei sollen sämtliche Anklagekomplexe mit den Anwälten erörtert und ein mögliches Strafmaß diskutiert werden. Richter Oliver Ratzel betonte am Donnerstag, dass die Annahme einer Verständigung eine schwere Entscheidung für die Angeklagten bedeute. Damit könnte das Verfahren abgekürzt werden, sei aber mit einem Schuldspruch versehen.

Der Rechtsanwalt von Christoph Hess, Hartmut Girshausen, sagte nach der gestrigen Verhandlung, man werde sich nun mit den Angeklagten beraten, wie es weitergehen soll. Hess und Ziegler hätten die Möglichkeit, das Verfahren zu Ende zu bringen und auf einen Freispruch zu hoffen. „Das ist für die Betroffenen eine Frage der Kraft, ob sie das noch durchstehen wollen.“ Ob es Sinn macht, den Prozess mit einem gesundheitlich angeschlagenen Angeklagten Christoph Hess lange Zeit fortzuführen, müsse intern besprochen werden.

„Großer Teilerfolg“

Girshausen bezeichnete den gestrigen Tag „als ganz großen Teilerfolg“. Er habe es noch nie erlebt, dass ein Gericht bereits vor Eröffnung der eigentlichen Beweisaufnahme, nur aufgrund der Aktenlage und der Einlassungen der Angeklagten, so weitreichend bereit sei, die Anklagepunkte fallen zu lassen. „Das ist für mich persönlich ein absolutes Novum“, sagte der erfahrene Münchner Strafverteidiger. Dies sei für ihn die Bestätigung, „dass die Anklage völlig unzureichend ermittelt“ habe. „Es ist schon bitter, wenn man so viele Jahre falschen Vorwürfen ausgesetzt ist, weil schlampig ermittelt wurde“, resümierte Giershausen.

Wie es nun konkret weitergeht, wird sich infolge des Erörterungstermins am 17. März herauskristallisieren. Vermutlich wird dann der nächste Verhandlungstermin, der weitere Klarheit bringen dürfte, erst im April stattfinden.