Sehr lange war sie diskutiert worden, jüngst wurde sie mehrheitlich im Bundestag abgelehnt: die allgemeine Impfpflicht gegen Corona. Was für den Großteil der Deutschen nicht kommt, ist für die Menschen in der Pflegebranche seit dem 15. März jedoch immer noch Realität.
Die Folge: Pflegeeinrichtungen mussten ungeimpfte Mitarbeiter an das Gesundheitsamt melden – so wie das auch in der Nachsorgeklinik in Tannheim der Fall ist.
„Von unseren 160 Mitarbeitern sind sechs Prozent nicht gegen Corona geimpft. Diese haben wir gemeldet. Mittlerweile konnten die Mitarbeiter eine Stellungnahme dazu abgeben. Und nun müssen wir von der Klinikleitung wiederum eine Stellungnahme zum Gesundheitsamt schicken“, sagt Co-Klinikleiter Thomas Müller.

Dass sich die ungeimpften Mitarbeiter noch impfen lassen, glaubt Müller allerdings nicht. Und die Entscheidung des Bundestags sei für die Überzeugungsarbeit nicht gerade förderlich gewesen.
„Die Politik hat uns überhaupt keinen Gefallen getan. Die Impfpflicht in der Pflege ist jetzt, wo die allgemeine nicht kommen wird, noch viel schwerer zu vermitteln“, kritisiert Müller.
Türk-Nachbaur bedauert Impfpflicht-Scheitern
Immer für eine allgemeine Impfpflicht war und ist Derya Türk-Nachbaur: „Ich bedaure es sehr, dass die Impfpflicht gescheitert ist. Ich habe für den Kompromissvorschlag gestimmt“, sagt die SPD-Bundestagsabgeordnete für den Wahlkreis Schwarzwald-Baar.

Sie geht davon aus, dass eigentlich eine Mehrheit der Parlamentarier für eine Impfpflicht ist – so wie in der Bevölkerung: „Der Union aber war offensichtlich der parteipolitische Nutzen wichtiger, als das Land angemessen gegen die Pandemie zu schützen – mit allen gesundheitlichen, sozialen und wirtschaftlichen Folgekosten, die alle Bürger schon einmal tragen mussten.“
Vorwürfe gegen Unions-Fraktionsspitze
Und sie erhebt Vorwürfe gegen die CDU/CSU-Fraktionsspitze, zu der auch Thorsten Frei als Fraktionsmanager gehört: „Die Fraktionsspitze forderte ihre Mitglieder sogar auf, gegen den geeinten Kompromissantrag zustimmen, obwohl es sich um eine medizinethische Frage handelt.“ Das Thema der allgemeinen Impfpflicht sei nun erst einmal vom Tisch.
Ein Thema, das dagegen erst aufzukommen scheint, ist die einrichtungsbezogene Impfpflicht: „Das treibt mich momentan auch um“, so Türk-Nachbaur. Für sie war diese Pflicht stets ein erster Schritt in Richtung allgemeine Impfpflicht. Ob die aktuell aber noch vertretbar ist, „muss noch geklärt werden“.
Frei will Pflege-Impfpflicht aussetzen
Das scheint Thorsten Frei für sich bereits getan zu haben. Der CDU-Bundestagsabgeordnete sagt: „So wie die heutige Lage in der Pandemie ein Umdenken bei der allgemeinen Impfpflicht ausgelöst hat, sollte nach meinem Dafürhalten auch ein Umdenken bei der Pflege-Impfpflicht erfolgen. Zumal es noch immer viele Fragezeichen bei der Umsetzung gibt.“

Konkret sagt der parlamentarische Geschäftsführer der Unions-Bundestagsfraktion: „‘Umdenken‘ meint in diesem Fall ‚aussetzen‘.“
Probleme bei Umsetzung und Durchsetzung
Dies beziehe sich auf die Umsetzungs- und Durchsetzungsprobleme vor dem Hintergrund des Personalmangels und der generell eher milden Verläufe. „Dass die Ampel-Koalition hier die Kraft für eine Umkehr besitzt, wage ich aber zu bezweifeln“, sagt Frei weiter.
Zur gescheiterten allgemeinen Impfpflicht sagt Frei: „Ich erachte das Nein als richtig. Richtschnur für einen solchen tief greifenden Eingriff in die körperliche Unversehrtheit muss das im Grundgesetz verankerte Verhältnismäßigkeitsprinzip sein.“
Mit Blick auf die Erforderlichkeit und Angemessenheit einer solchen Maßnahme sei er aktuell „ höchst skeptisch“. Eine „Impfpflicht auf Vorrat“ mache mit Blick auf eine „unklare Lage im Herbst“ wenig Sinn.
Kommt die Pflicht im Winter doch noch?
Im Gegensatz zu SPD-Frau Türk-Nachbaur hat CDU-Mann Frei jüngst gegen die allgemeine Impfpflicht gestimmt. Die CDU hatte sich für ein Impfvorsorgegesetz ausgesprochen. Das hatte unter anderem die Errichtung eines Impfregisters beinhaltet.
Ganz ausschließen will Frei die Impfpflicht aber noch nicht: „Sollte es im Herbst eine erneute schwere Welle geben, könnte die Bewertung anders ausfallen als heute. Dann stehen wir selbstverständlich für Gespräche bereit.“
Schade sei, dass Überlegungen zur Impfvorsorge wie der Aufbau eines Impfregisters und die Verbesserung der Datenlage keine Unterstützung gefunden hatten, was dann wieder zu Verzögerungen führe.
Frei: „Mit einer Mehrheit für unseren Vorschlag hätten wir die kommenden Monate für ein Gesetzgebungsverfahren nutzen können, um im Bedarfsfall dann schnell eine Impfpflicht einführen zu können.“
Klinikleiter warnt vor Aussetzen
Thomas Müller, der als Co-Leiter der Tannheimer Nachsorgeklinik die konkreten Auswirkungen der politischen Entscheidungen ganz direkt zu spüren bekommt, hätte sich ein anderes Abstimmungsergebnis gewünscht: „Ich begrüße die Impfpflicht, aber eine allgemeine, keine einrichtungbezogene. Ich würde nun mit Blick auf den Herbst und Winter auch davor warnen, jetzt die Pflicht in der Pflege auszusetzen. Das halte ich für falsch.“