Mit so vielen Hoffnungen war Multiple Sklerose (MS)-Patient Jürgen Engler am 2. Februar in Richtung Mexiko gestartet: Die Stammzellentherapie dort, so seine Pläne, würde seine Krankheit zum Stillstand bringen. Doch der sympathische Villinger sollte nicht nach Hause zurückkehren. Jürgen Engler starb gut drei Wochen nach seiner Ankunft in Mittelamerika an den Folgen der Behandlung.
Ehemann Daniel Engler ist vor wenigen Tagen in die gemeinsame Wohnung in den Schwarzwald zurückgekehrt. Allein. Die Urne mit Jürgen Englers sterblichen Überresten steht noch immer in Mexiko, der Bürokratie wegen. So ganz kann Daniel Engler es noch immer nicht fassen. „Wir hatten schon mit heftigen Nebenwirkungen bei der Behandlung gerechnet, aber mit so etwas nie“, sagt er.

SÜDKURIER-Leser spenden für die Behandlung
Dabei hatte zunächst alles so gut ausgesehen. „Endlich“, freut sich Jürgen Engler, als er im Flieger gen Mexiko sitzt. Die lang ersehnte, 57.000 Euro teure Therapie kann beginnen. 13.000 Euro spendeten die SÜDKURIER-Leser nach einem Artikel über das Schicksal des Villingers, den Rest spart er selbst zusammen. Der Villinger will sich so ein Leben im Rollstuhl ersparen.

Jürgen Engler übersteht in Mexico mehrere Chemotherapien. Ja, er leidet, fühlt sich teilweise wie „von einem 40-Tonner überfahren“, wie er selbst sagt. Hat keinen Appetit, keine Kraft. „Ich schaff‘ das“, sagt er trotzdem immer und immer wieder.
Nach knapp zwei Wochen werden ihm Stammzellen entnommen. Nur zwei Tage später, am 15. Februar, kann er dann seinen „zweiten Geburtstag“ feiern: Die Stammzellen werden transplantiert.
Zunächst scheint weiter alles in Ordnung. „Gut geschlafen, fühle mich gut“, schreibt Jürgen Engler selbst drei Tage nach dem „Stammzellengeburtstag“. Auch der Hunger kommt jetzt zurück, der Villinger verdrückt zum Frühstück gleich zwei Portionen Rührei. Freut sich auf Frikadellen und Kartoffeln zuhause in Villingen.
In seinem Blut fängt derweil die Zahl der weißen Blutkörperchen an, langsam zu steigen, wie geplant. Am 24. Februar feiert Engler in Mexiko seinen 56. Geburtstag, mit Torte und allem drum und dran. „Danke für den schönen Tag“, freut er sich.

Doch schon wenige Stunden später geht es Jürgen Engler ganz plötzlich viel schlechter, er hat Schmerzen, Schwindel und „ein ungutes Gefühl im ganzen Körper“. Er bricht in der Dusche zusammen, braucht eine Infusion mit Kochsalzlösung und Steroiden. „Geht mir wieder, wir schaffen das“, schreibt er danach.
Dramatische Fahrt in die Notaufnahme
Es sollte seine letzte Nachricht sein. Am nächsten Tag sackt der Blutdruck komplett ab, Jürgen Engler bricht zusammen, muss in die Notaufnahme. Er soll nun rote Blutkörperchen bekommen.
Daniel Engler sitzt mit im Krankenwagen, hält den Kopf seines Ehemannes. Ein Schutz gegen das Rütteln, auf den mexikanischen Straßen folgt ein Schlagloch auf das nächste. Doch kurz nach der Ankunft in der Notaufnahme, am 26. Februar um 12.50 Uhr mexikanischer Zeit, verstirbt Jürgen Engler. Sein 56. Geburtstag ist zwei Tage her.
Innere Blutungen bei einem von 10.000 Patienten
„Multiples Organversagen“ steht im Arztbrief, „gastrointestinale Blutungen“ und „hypovolämischer Schock“. Einfacher gesagt: Jürgen Engler hatte offenbar starke innere Blutungen, an denen er verstorben ist.
Daniel Engler muss sich die spanischen und englischen Zeilen erst einmal auf Deutsch übersetzen lassen, er will verstehen, was hier passiert ist. Ja, dass Blutungen bei einem von 10.000 Patienten auftreten können, stand im Aufklärungsbogen. Sein Ehemann hat diesen Bogen unterschrieben. „Aber natürlich denkt man nie, dass man selbst dieser 10.000. ist“, sagt Daniel Engler.
Der Schock ist riesig. Daniel Engler schreit, die Welt versinkt im Dunkel. Schon am Tag nach seinem Tod wird sein Ehemann eingeäschert. Er selbst muss jetzt plötzlich ganz viel regeln – in Mexiko nicht einfach. Telefonieren mit dem Handy kostet zehn Euro für drei Minuten, per Festnetz sechs Euro pro Minute.
Plötzlich sitzt ein anderer Passagier auf dem Platz
Der Heimflug nach Deutschland, so erzählt Daniel Engler, war schrecklich. Ganz allein, der Platz des 56-Jährigen im völlig überbuchten Flieger wird kurzerhand mit einem anderen Passagier besetzt. Als ob nichts wäre. Daniel Engler trifft dies schwer. Aus diesem Grund will er dafür kämpfen, um wenigstens die Kosten für das Flugticket wiederzubekommen.
Bis heute wartet er darauf, dass auch Jürgen Englers Urne heimkehren darf nach Villingen. Noch fehlt die Apostille, eine internationale Beglaubigung, an der Sterbeurkunde.
Liegt sie irgendwann vor, geht die Urkunde zunächst ans deutsche Konsulat, dann an die deutsche Botschaft, bevor die Reise nach Deutschland möglich ist. „Zum Glück bin ich schon heimgeflogen“, sagt Daniel Enger.
Später einmal soll Jürgen Englers Asche auf einer Almwiese in der Schweiz verstreut werden.
Trotzdem keine Alternative zur Therapie
Auch nach dem tragischen Ende sieht Daniel Engler die Stammzellentherapie in Mexiko noch immer als einzige Option, die sein Ehemann hatte. Eine immer weiter fortschreitende Krankheit, die ihn am Ende bewegungsunfähig und zum Pflegefall gemacht hätte – „das hätte Jürgen auf keinen Fall gewollt“, weiß sein Mann.
Und noch etwas ist ihm sehr, sehr wichtig und ein echtes Herzensanliegen: „Ich danke allen SÜDKURIER-Lesern und allen anderen Menschen, die mit Jürgen mitgefiebert, für ihn gespendet und ihn in Gedanken auf seinem Weg gegen die MS begleitet haben.“