Irgendwann haben sie sich gefragt, ob es das jetzt bis zur Rente gewesen sein soll. Sie hatten beide gute Jobs in der regionalen Automobilindustrie, beide mit Führungsverantwortung. „Reine Schreibtischtäter“, sagt Urs Fischbach. „Wir verdienten gutes Geld, aber es war auf Dauer einfach nicht befriedigend.“

Mehr Zeit mit ihrem heute dreijährigen Sohn Oskar, mehr Zeit mit der Familie generell, mehr Zeit an der frischen Luft – das wünschten sich Urs und Ute Fischbach, als der Plan, ihre Jobs hinzuwerfen, immer konkreter wurde.
Der Campingplatz als Lebenstraum
Seit etwas mehr als einem Jahr lebt das Ehepaar im Furtwanger Ortsteil Linach seinen Lebenstraum: Auf dem sechs Hektar großen Grundstück des Michelhofs betreiben sie den alternativen Campingplatz „Zum wilden Michel“ und leben mit insgesamt zwölf weiteren Bewohnern in einer Wohngemeinschaft, die zugleich (erweiterte) Familie, Mitarbeiter und Freunde ist.

Vor dem Haus, zwischen Kuhweiden und Schwarzwaldkulisse, gibt es Platz für 30 Campingfahrzeuge und Zelte, auf der großen Terrasse des ehemaligen Gasthofs und in der Gaststube wird bewirtet, in dem 1700 Quadratmeter großen Gebäude ist nicht nur Platz für die Stammbewohner, sondern auch für Studenten der Furtwanger Hochschule, drei Ferienwohnungen und die neu ausgebaute Wohnung für Ute Fischbachs Eltern Monika und Rudi.

Die beiden waren von der Idee des jungen Paares so begeistert, dass sie ihr Haus in Meßstetten im Zollernalbkreis ohne Zögern verkauften und ihren Ruhestand nun im Schwarzwald verbringen. Wobei Ruhestand das falsche Wort ist: Das Ehepaar packt mit an, wo es kann.
„Der dachte vermutlich, da kommt wieder so ein Hippie.“Urs Fischbach über das erste Treffen mit dem Makler
Job aufgeben, einen alten Bauernhof kaufen – was ein bisschen nach fröhlichem Aussteigertum klingt, bedeutet vor allem Kreativität, aber auch harte Arbeit, einen ausgeklügelten Businessplan – und Mut. Schließlich traf die Pandemie auch die Branchen-Neulinge hart.
„Im Dezember hatten wir 21 angemeldete Weihnachtsfeiern“, schildert Urs Fischbach. Dann kam Omikron und das Haus war leer. Sie machten das Beste daraus – und renovierten alles, was ihnen zwischen die Finger kam.

Wenn Urs Fischbach an den ersten Maklertermin auf dem Michelhof zurückdenkt, muss er heute noch grinsen. „Der dachte vermutlich, da kommt wieder so ein Hippie“, sagt der 36-Jährige über das erste Zusammentreffen. Dass der Hippie mit den Dreadlocks, den vielen Piercings und Tattoos nicht nur eine Geschäftsidee und eine Finanzierungszusage der Bank in der Tasche hatte, außerdem über alle Flurstücke, die zum sechs Hektar großen Grundstück gehören, Bescheid wusste: Das hätte der Makler womöglich tatsächlich nicht erwartet.

„Wir sind ja nicht auf den Kopf gefallen und haben uns vorher viele Gedanken gemacht“, sagt Fischbach, gelernter Mechatronikermeister. Zusammen mit seiner Frau und ihrer langjährigen Freundin Anikó Nagy wurde die Urste & kó GmbH gegründet.

Tourismusentwicklungszahlen wurden analysiert, Camping-Stellplatzzahlen bundesweit recherchiert und verglichen. Das Trio vertiefte sich in Statistiken. Ergebnis der Recherchen: Ja, ein Campingplatz funktioniert. Mit ihrem Konzept überzeugten Ute und Urs Fischbach nicht nur die Bank, sondern auch die ehemalige Besitzerin, die den Michelhof seit dem Tod ihres Mannes noch 20 Jahre bewohnt und zehn Jahre alleine bewirtschaftet hatte.
„Wir waren schon immer diejenigen, die im Freundeskreis die Partys organisiert haben“, sagt Urs Fischbach. Warum nicht also auch einen Campingplatz betreiben und für die Gäste Programm machen.
Harter Rock und Michelalter
An nahezu jedem Wochenende treten Bands beim „Wilden Michel“ auf, von Blasmusik bis Heavy Metal ist alles dabei. Für den Herbst ist wieder ein „Michelaltermarkt“ mit Gauklern, Feuershows und Bogenschießen geplant, im Sommer gibt es Kindertage mit Clowntheater – das weitläufige Gelände bietet viele Möglichkeiten.

Fragten Urs und Ute Fischbach anfangs noch an, wer sich vorstellen könnte, im idyllischen Linachtal zwischen Wald und Kühen aufzutreten, melden sich die Bands mittlerweile von alleine: So die Brass-Dance-Gruppe Brotäne Herdepfl aus Wolterdingen, die am Samstag, 23. Juli, zu hören ist oder Bluesquamperfect aus Furtwangen, die am 7. August auf dem Campingplatz auftreten.

„Pro Woche bekommen wir drei bis vier Anfragen, aktuell habe ich 34 Bands in der Warteschleife“, sagt Resi Kiefer. Die 29-jährige hat an der Furtwanger Hochschule Medienkonzeption studiert. Anfangs hat sie für den „Wilden Michel“ die Speisekarte designt, immer öfter mitgeholfen „und auch mal den Zaun gestrichen“. Mittlerweile lebt sie auf dem Hof. Eventplanung und die Pflege der Social Media-Kanäle sind ihre Aufgaben, aber auch Anfragen von TV-Sendern landen bei ihr.
Arbeiten in der Schwarzwaldsonne
Mit ihrem Laptop sitzt die gebürtige Freiburgerin auf der großen Außenterrasse in der Sonne, neben sich das Handy, vor sich eine große Tasse Kaffee – ein Arbeitsplatz wie aus dem Bilderbuch. Zwei junge Camperinnen kommen angerannt: Lisa und Fine haben – man sieht es ihnen an – mit vollem Einsatz Steine bunt bemalt, die sie jetzt verkaufen. Acht Euro haben sie schon verdient. Das sind fast drei große Becher Eis, rechnet ihnen Resi Kiefer vor.
„Die Atmosphäre, die Leute, der morgendliche Sonnenaufgang mit Blick auf die Kuhweide – hier passt einfach alles.“Vanessa Ruhrmann aus Solingen
Die sechs und sieben Jahre alten Mädchen aus Wuppertal und Solingen genießen ihre Ferien im Schwarzwald sehr. Was ihnen am besten gefällt? „Alles“, sagen beide gleichzeitig und rennen weiter. Den nächsten potenziellen Käufer ihrer Kunstwerke haben sie schon im Blick. So wird das was mit dem dritten Eisbecher.
„Die Atmosphäre, die Leute, der morgendliche Sonnenaufgang mit Blick auf die Kuhweide – hier passt einfach alles“ sagt Fines Mutter Vanessa Ruhrmann. Deshalb ist die Familie auch schon zum zweiten Mal in Linach zu Gast.

Auch Alex Fröhlich aus Köln schätzt die zwanglose Atmosphäre sehr. Besonders, weil sie und ihre Partnerin als lesbisches Paar nicht verstohlen beäugt und verschämt-übergriffig gefragt werden, „ob sie denn Arbeitskolleginnen oder Schwestern“ seien. Das vergrößert für sie den Erholungsfaktor ganz erheblich. Und auch Hündin Gisela ist hier willkommen, was auf Campingplätzen mittlerweile immer seltener der Fall sei. „Auf vielen geht es schon sehr spießig zu“, sagt Alex Fröhlich.
Spießertum – das steht auf dem Michel-Campingplatz eher nicht zu befürchten. Wer hierher kommt, muss sich darauf einstellen, dass es abends auch mal länger laut ist, vor allem natürlich, wenn ein Konzert stattfindet. Aber auch, wenn Gäste ihre Musikinstrumente dabei haben oder auf der Skate-Rampe ihre Runden drehen.
Bisher hatten sie nur einen einzigen Gast, der sich an fast allem störte, sagt Urs Fischbach. „Und der ist dann direkt am nächsten Tag wieder abgereist. Offenbar hatte er unsere Homepage nicht richtig gelesen.“