Die genauen Hintergründe für den folgenschweren Wutanfall eines Baggerfahrers in Blumberg gilt es noch auszuleuchten. Aber auch so wirft die Attacke auf ein fast fertiggestelltes Mehrfamilienhaus in der Vogtgasse ein Schlaglicht auf die Baubranche generell – zumal die Tat in den sozialen Medien zum Teil regelrecht gefeiert wird. Was ist eigentlich los in diesem Wirtschaftszweig?

Erklärungsansätze für die Tat eines 47-jährigen Bauunternehmers, der extra einen Bagger angemietet hatte, um nahezu alle Balkone eines neugebauten Gebäudekomplexes mit 31 Eigentumswohnungen zu zerstören, findet allerdings auch Kreishandwerksmeister Martin Ballof, zugleich Obermeister der Bau-Innung Schwarzwald-Baar, nur schwer. „Ich weiß nicht, warum er das getan hat. Der Verband hat mich angeschrieben, aber ich konnte nur das wiedergeben, was in der Zeitung stand“, sagt er.

Kreishandwerksmeister Martin Ballof sagt: „Jeder Bau ist ein Einzelstück. Und jeder Kunde hat andere Vorstellungen. Beide Seiten ...
Kreishandwerksmeister Martin Ballof sagt: „Jeder Bau ist ein Einzelstück. Und jeder Kunde hat andere Vorstellungen. Beide Seiten sollten aufeinander zugehen und durch Kommunikation Verständnis schaffen.“ | Bild: Jakober, Stephanie (Archivbild)

Grundsätzlich sei es so: Wenn ein Unternehmer sein Geld nicht bekomme, müsse er im Konfliktfall zunächst eine Mahnung und eine Zahlungsaufforderung formulieren – das alles koste Zeit. Komplikationen könnten zudem beim Einsatz von Subunternehmen entstehen – vor allem, wenn Arbeiten auf der Baustelle voneinander losgelöst und kleinteilig auf verschiedene Auftragnehmer aufgeteilt und abgerechnet würden.

Klar ist für den Kreishandwerksmeister auf alle Fälle, dass sich der Bauunternehmer mit seiner Baggerattacke ins eigene Fleisch geschnitten habe. Dieser müsse sein selbst errichtetes und nun zerstörtes Werk wohl wieder aufbauen, was wiederum erhebliche Mehrkosten verursachen werde. Ballofs erster Gedanke sei gewesen: „Wenn ich mich gleich der Polizei stelle, habe ich gewusst, was ich mache.“

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Nahezu alle Betriebe haben nach Aussage von Martin Ballof derzeit gut gefüllte Auftragsbücher. Manchmal komme man jedoch nicht dazu, eine Baustelle schnell abzuschließen. „Das kann an Materialengpässen liegen. Materialien aus dem Ausland haben teils noch längere Lieferzeiten. Deshalb bunkern viele Handwerker Material, gehen dadurch in noch größere Vorleistung“, erzählt er über den Druck, unter dem so mancher Betrieb steht.

„Und dieses Jahr macht uns das Wetter oft einen Strich durch die Rechnung. Davon sind zum Beispiel Holzarbeiten durch den Zimmermann oder Schreiner betroffen, aber auch Stuckateure, die mit der Dämmung zu tun haben.“ Mehrere Baustellen anzufangen und zu koordinieren, sei dann aber mit extremer Organisation verbunden.

Längere Lieferzeiten

Viele Betriebe bekämen außerdem die Pandemie-Folgen zu spüren. Konsequenzen sind laut Ballof Kurzarbeit oder unterbrochene Lieferketten, was wiederum zu Verschiebungen führe. Beispiel: Während man üblicherweise mit Betonpflasterarbeiten nach zwei Wochen fertig sei, betrage allein die Lieferzeit der Pflastersteine jetzt bis zu zwölf Wochen. „Gleichzeitig habe ich aber laufende Kosten auf der Baustelle, die ich nicht richtig decken kann, weil erst bei Fertigstellung des Projektes gezahlt wird“, verdeutlicht der Experte. Und so komme es durchaus vor, dass Bauunternehmen einen Rattenschwanz an organisatorischen und finanziellen Problemen hinter sich herzögen.

Nehmen erste Aufräumarbeiten vor und bringen einen Wetterschutz am ramponierten Gebäude in Blumberg an: Jochen Schlenker (links) und ...
Nehmen erste Aufräumarbeiten vor und bringen einen Wetterschutz am ramponierten Gebäude in Blumberg an: Jochen Schlenker (links) und Markus Vierthaler. | Bild: Singler, Julian

Damit sich Bauunternehmer vor Zahlungsausfällen oder ähnlichen Problemen schützen können, empfiehlt der Obermeister der Bau-Innung Schwarzwald-Baar ein klassisches Werkzeug: das schriftliche Niederlegen. „Der Kunde sollte immer rechtzeitig über Änderungen informiert werden. Eine frühzeitige, ehrliche und transparente Kommunikation ist grundlegend“, so Ballof. Bei größeren Leistungsumfängen sollten seiner Meinung nach Abschlagszahlungen getätigt werden, „gerade in der jetzigen Zeit, in der Material über Wochen hinweg bestellt und bezahlt werden muss“.

Wunsch nach Verständnis

Kommunikation ist auch für Patrik Münch, Geschäftsführer der Firma Metallbau Münch in Brigachtal, das Maß aller Dinge. Er sagt: „Die Kompromisseinlassung fehlt. Ich appelliere an gegenseitiges Verständnis und Verzeihen. Verzeiht Euch Eure Fehler.“ Dass sein Unternehmen schon mal gar nicht bezahlt worden sei, damit sei er bisher noch nicht konfrontiert gewesen, sagt Münch.

Die – wie er es nennt – Explosion des Baggerfahrers in Blumberg interpretiert der Unternehmer so: „Ich glaube, dass da irgendetwas vorgefallen sein muss, denn von nichts kommt bekanntlich nichts.“ Die Anspruchshaltung diverser Kunden, überwiegend privater Bauherren, sei unverhältnismäßig hoch. „Oft sind die Wünsche einfach nicht mehr zu erfüllen. Wenn man da zu keinerlei Kompromiss bereit ist, wird es schwierig. Wir können unsere individuellen Produkte nicht in zehn Versuchen herstellen“, macht Patrik Münch deutlich. Ein Bauprodukt ist ihm zufolge immer eine Einzelanfertigung, nicht etwa eine Serienproduktion wie bei Autos, wo man jeden noch so kleinen Fehler optimieren könne. Auf dem Bau müsse eben auch mal improvisiert werden, weil Dinge an den fortschreitenden Bau angepasst werden müssten, da liege kein Eigenverschulden vor.

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Dass die Nerven „bei uns überall blank liegen“, habe nicht zuletzt auch mit der Pandemie zu tun. Derzeit arbeite man nahezu ohne Pause, einen Urlaub wolle kaum jemand riskieren: „Weil die Angst herrscht, das Virus einzuschleppen und den Laden dicht machen zu müssen“, so Münch. Niemand könne sich mal wirklich entspannen. Materialengpässe würden ebenso auf das Gemüt schlagen.

Bauunternehmer Ingo Hermann
Bauunternehmer Ingo Hermann | Bild: Siegfried Kouba (Archivbild)

Über die Motivation des Blumberg-Baggerfahrers möchte Ingo Hermann, Geschäftsführer der Bauunternehmung Hermann mit Sitz in Furtwangen, nicht spekulieren: „Ich kenne die Hintergründe nicht.“ Man müsse stets im Vorfeld die Entscheidung treffen, ob man einen Auftrag annehme oder nicht. „Wir verfügen über einen Kundenstamm, da kennt man sich beispielsweise von früheren Aufträgen“, berichtet Hermann.

Er hat laut eigenen Angaben nie Probleme mit ausstehenden Zahlungen gehabt. Aber: „Es gibt solche Bauträger und solche. Da kann es durchaus öfter vorkommen, dass man sein Geld nicht bekommt.“ Gleichwohl möchte der Firmenchef klarstellen, dass es viele seriöse und gute Bauträger gebe.

Hintergründe: Wie ein Fachanwalt die Situation einschätzt

Tobias Bartholme, Rechtsanwalt in der Kanzlei Bartholme, Schilling, Kaiser & Partner mit Tätigkeitsschwerpunkt im Bau- und Architektenrecht sowie Immobilienrecht in Villingen-Schwenningen, hat für den SÜDKURIER grundlegende Fragen beantwortet. Im Folgenden veröffentlichen wir einen Ausschnitt seiner Aussagen:

Rechtsanwalt Tobias Bartholme sagt: „Derzeit herrschen für Materialien große Lieferschwierigkeiten, da Lieferketten durch die ...
Rechtsanwalt Tobias Bartholme sagt: „Derzeit herrschen für Materialien große Lieferschwierigkeiten, da Lieferketten durch die Pandemie gestört bis unterbrochen sind. Trotzdem herrscht ein Bauboom wegen der angespannten Wohnungsmarktlage.“ | Bild: Kanzlei Bartholme, Schilling, Kaiser & Partner
  • Was kann einen Bauunternehmer derart unter Druck setzen, dass er so handelt wie nun in Blumberg? Welche Erklärungsansätze haben Sie? Und welche Faktoren können eine Rolle spielen?

„Bauverträge sind Werkverträge und unterliegen somit den dortigen Besonderheiten. Im Vergleich zu anderen Vertragstypen, dem Mietrecht etwa, ist das Werkvertragsrecht wenig vermittelnd, sondern bürdet entweder dem Unternehmer oder dem Besteller die Gefahren von ordnungsgemäßem Vertragsvollzug auf. In der Praxis kommt es zu knappen Kalkulationen im Hinblick auf eigene Kosten des Bauunternehmers: Löhne, Material, Maschinenkosten (Anschaffung oder Miete). Der eigene Gewinn wird nach meiner Recherche durchschnittlich zwischen drei und sechs Prozent kalkuliert. Darüber hinaus kommt es teils zu kleinlichen und übertriebenen Mängelrügen oder gar unberechtigten Mängelrügen. In der Folge werden dann Werklohnzahlungen in überzogener Höhe zurückbehalten. Der Unternehmer muss auf eigene Kosten die Behauptungen überprüfen oder weitergehend Mängelbeseitigungsbemühungen ergreifen. Hier geht er wiederum in Vorleistung mit seinen Leistungen und muss auf Entlohnung hoffen. Geschieht dies bei mehreren parallelen Bauvorhaben, schmilzt die Eigenkapitaldecke bei Unternehmern sehr schnell ab und bringt ihn auch in Schwierigkeiten, überhaupt Geld für Mängelbeseitigungen aufzubringen.“

  • Wie geht es denn in der Baubranche zu?

„Typisch ist mittlerweile, dass viele Subunternehmer beschäftigt werden. Viele Subunternehmer haben wiederum eigene Subunternehmer, das Konstrukt kann endlos weitergesponnen werden. Es herrscht deshalb auch ein enormer Preisdruck sowie ein Unterbietungswettbewerb. In der Branche gibt es oftmals keine schriftlichen Vereinbarungen oder Belege, sondern typischerweise mündliche Absprachen oder vor allem nachträgliche Beauftragungen auf Zuruf durch Nachtrag.“

  • Wie kann sich ein Bauunternehmer schützen?

„Wird ein (vereinbarter) Abschlag nicht bezahlt, kann der Auftragnehmer berechtigt sein, die Arbeit einzustellen und unter weiteren Voraussetzungen den Vertrag zu kündigen. Jedoch besteht ein hohes Risiko bei Abschlagszahlungen, denn der Auftraggeber muss sich etwa auf Mängel nicht ausdrücklich berufen, sondern kann diese auch im Nachhinein geltend machen. Die vorzeitige Beendigung von Verträgen sowie die Kündigung im Baurecht sind für Auftragnehmer schwierig, ihm steht kein freies Kündigungsrecht im Gegensatz zu Auftraggebern zu. Der Auftragnehmer kann nur wegen wichtigem Grund kündigen. Bauunternehmer sollten sich von vorneherein selbst mit entsprechenden Vereinbarungen schützen. In der Praxis ist das auch unter Verweis auf die derzeitige Lage durchsetzbar.“

  • Welche Möglichkeiten hat ein Bauunternehmer bei Nichtzahlung?

„Werkzerstörung ist keine Lösung. Es kommt nicht nur zu Schadensersatzpflichten wegen der Zerstörung, sondern kann das auch weitere Schadensersatzpflichten wegen Verzögerung auslösen: Etwa Mietausfälle wegen verzögertem Bezug beim Eigentümer sind denkbar. Das Schadenpotenzial ist bei einem solchen Vorgehen unüberschaubar. Etwaige finanzielle Probleme würden sich nur verschärfen, weil Haftpflichtversicherungen bei einem solchen Vorgehen die Deckung versagen. Es bleibt nur der juristische Weg, keine Selbstjustiz.“