Familie Frick aus Blumberg sitzt am Mittwoch gerade beim Abendessen, als starker Lärm sie plötzlich aufschreckt: „Es hat gescheppert und gerumpelt. Entleeren die so spät noch die Glascontainer?, haben wir uns gefragt“, erzählt Chiara Frick im SÜDKURIER-Gespräch.

Die junge Mutter geht zum Fenster und traut ihren Augen nicht. „Wir waren total perplex, dass ein Bagger diesen schönen Neubau gerade wieder einreißt, wo doch bald die ersten Eigentümer einziehen wollten.“ Die Familie greift zum Handy, um das Unglaubliche per Video festzuhalten, und verständigt umgehend die Polizei, die bereits mehrere Anrufe dazu erhalten hat.

Auch zwei Tage nach der Zerstörungsaktion ist Nachbarin Chiara Frick immer noch geschockt. Sie saß mit ihrer Familie gerade beim ...
Auch zwei Tage nach der Zerstörungsaktion ist Nachbarin Chiara Frick immer noch geschockt. Sie saß mit ihrer Familie gerade beim Abendessen, als sie den Lärm hörte. Dann machte sie das Video, auf dem zu sehen ist, wie der Bagger die Balkone herunterreißt. | Bild: Lutz, Bernhard

Es ist der Rückblick auf einen Abend, den die Fricks wohl so schnell nicht vergessen werden: Der kurze Videoclip verbreitete sich wie ein Lauffeuer in Blumberg und über die Grenzen von Deutschland hinaus. „Dabei haben wir das Video nur in unsere engste Familiengruppe mit sechs Leuten gestellt, von dort ging es viral, aber das war nicht der Plan“, sagt Frick.

Am Tag nachdem der 47-jährige Bauunternehmer Mitija P. mit einem extra angemieteten Bagger fast alle Balkone eines neugebauten Gebäudekomplexes mit 31 Eigentumswohnungen zerstörte, an dem er selbst als Auftragnehmer zwei Jahre hart gearbeitet hatte, ist die Verblüffung und das Medieninteresse in Blumberg groß. TV-Teams, darunter auch das Schweizer Fernsehen SRF, sind vor Ort und filmen das Ausmaß der Verwüstung, das an jenes eines Tornados erinnert.

Auch zwei Tage nach der Zerstörungsaktion sind die Nachbarn geschockt.
Auch zwei Tage nach der Zerstörungsaktion sind die Nachbarn geschockt. | Bild: Lutz, Bernhard

Im Minutentakt kommen Schaulustige zu Fuß, mit dem Fahrrad und dem Auto vorbei, um sich selbst ein Bild davon zu machen, was niemand recht begreifen kann. „Ich hab den Bagger vorfahren gesehen und mir gedacht, was ist das jetzt schon wieder für eine Lautstärke, als er plötzlich den Arm ausholte und die Balkone zertrümmerte – das war wie im Film“, sagt die Blumbergerin Corinna Conrad.

Anwohner Wolfgang Mauri kennt den Mann, der den Wohnkomplex zerstört haben soll.
Anwohner Wolfgang Mauri kennt den Mann, der den Wohnkomplex zerstört haben soll. | Bild: René Laglstorfer

Auch Nachbar Wolfgang Mauri, der in unmittelbarer Nähe des Geschehens wohnt, ist Augenzeuge des Vorfalls geworden: „Es war auf einmal ein Höllenlärm. Wir haben uns gegenseitig angeschaut, aber niemand hat sich getraut, etwas zu unternehmen.“

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Aufräumarbeiten am zerstörten Bau Video: Julian Singler

Kein Geld für einen Rechtstreit

Als Bauunternehmer P. den Bagger abgestellt hatte, soll er sich eine Zigarette angezündet haben und den Menschen, die durch den Lärm nach draußen gelaufen waren, den Grund für seine Tat erklärt haben: Er habe noch nie so eine schlimme Baustelle gehabt wie diese, für die er sich habe verschulden müssen. Er sei nicht bezahlt worden und könne seine Kinder nicht mehr ernähren, wie mehrere Nachbarn unabhängig voneinander und übereinstimmend dem SÜDKURIER schilderten.

Für einen Rechtsstreit fehle ihm das Geld, sagte er. Menschen habe er auf keinen Fall verletzen wollen, das habe er laut den Schilderungen betont. Die Polizei müsse ihn nicht suchen, weil er sich stellen werde, soll er noch gesagt haben und mit seinem Auto losgefahren sein. Laut Polizei habe sich der Bauunternehmer mit den Worten „Ich war das in Blumberg“ beim Polizeirevier Donaueschingen gestellt.

Der Arbeiter Jochen Schlenker macht sich ein Bild von den Zerstörungen.
Der Arbeiter Jochen Schlenker macht sich ein Bild von den Zerstörungen. | Bild: Singler, Julian

Gegenüber den Beamten habe P. zu Unrecht zurückgehaltene Zahlungen des Auftraggebers als Motiv für die massiven Beschädigungen des Neubaus angegeben. Da der deutsche Staatsbürger einen festen Wohnsitz in Rheinland-Pfalz und keine Menschen verletzt hat, gab es laut Polizei nach Rücksprache mit der Staatsanwaltschaft keinen Grund für eine Festnahme.

P. durfte nach den polizeilichen Vernehmungen nach Hause zu seiner Familie. Die weiteren Einvernahmen sollen laut Polizei in einem Revier in der Nähe seines Wohnortes stattfinden. Der Mann muss mit einer Anzeige rechnen wegen Sachbeschädigung beziehungsweise Zerstörung von Bauwerken. Darauf stehen bis zu fünf Jahre Haft oder eine Geldstrafe laut Strafgesetzbuch (Paragraf 305).

Unbewohnbare Wohnungen

Aber stimmt es, dass der Auftraggeber Zahlungen unrechtmäßig zurückbehalten hat? Der SÜDKURIER hat ausführlich mit dem Bauherren und Eigentümer, Ingo Fangerow, gesprochen. Bei dem Geschäftsführer der „Blumberger Sonnenblick Grundwert GmbH“ mit Sitz in Berlin klingelt am Tag nach dem Vorfall fast pausenlos das Handy.

Auch zwei Tage nach der Zerstörungsaktion sind die Menschen geschockt. Unser Bild zeigt Ingo Fangerow, Geschäftsführer des Bauträgers, ...
Auch zwei Tage nach der Zerstörungsaktion sind die Menschen geschockt. Unser Bild zeigt Ingo Fangerow, Geschäftsführer des Bauträgers, der Blumberger Sonnenblick Grundwert GmbH mit Sitz Berlin. | Bild: Lutz, Bernhard

„Nein, Sie können nicht in der Wohnung schlafen. Haben Sie Verwandte, bei denen Sie übernachten können? Vielleicht finden wir eine Pension in Villingen für Sie“, erklärt Fangerow ehrlich bemüht einem der 31 Mieter beziehungsweise Besitzer der neuen Wohnungen am Telefon, die in den nächsten Tagen und Wochen ihr neues Zuhause beziehen hätten sollen.

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Wollte einziehen: Anna Müller Video: Singler, Julian

Eine von ihnen ist Anna Müller. Die dreifache Mutter wollte in zwei Wochen mit ihrer Familie in den Neubau übersiedeln. Sie sei derzeit „wohnungslos“, weil ihr Haus laut eigenen Angaben vor etwa zwei Monaten wegen eines Kabelbrandes abbrannte. „Und jetzt das! Das wäre unser neues Zuhause gewesen“, sagt die 37-Jährige, die nun noch länger bei ihren Eltern unterkommen müsse.

Zählt zu den Geschädigten: die dreifache Mutter Anna Müller, die bis auf Weiteres bei ihren Eltern unterkommt. Sie lebe auf gepackten ...
Zählt zu den Geschädigten: die dreifache Mutter Anna Müller, die bis auf Weiteres bei ihren Eltern unterkommt. Sie lebe auf gepackten Koffern, schildert Müller dem SÜDKURIER im Videointerview. | Bild: Singler, Julian

Unternehmer soll für Schäden aufkommen

„Auch eine 70-Jährige wollte gerade einziehen, wir suchen jetzt eine Pension für sie und bezahlen das auch“, sagt Bauherr Fangerow dem SÜDKURIER. Die Aufwendungen wolle er auf Nachfrage vom Verursacher der Schäden zurückholen, soweit er zahlungsfähig sei. „Aber ob da was zu holen ist? Er wird wahrscheinlich Insolvenz anmelden“, sagt der Immobilienunternehmer. Er schätzt den Schaden auf 500.000 bis 700.000 Euro.

Die Darstellung des Tatverdächtigen über offene Rechnungen weist Fangerow entschieden zurück. „Wir haben ihm schon etwa 93 Prozent der vereinbarten Summe von etwa drei Millionen bezahlt, obwohl noch viel Restleistung offen war, weil wir gesagt haben, ja Mensch, du bist hinten dran. Und dann posaunt er raus, er hätte sein Geld nicht bekommen – so eine Dreistigkeit“, sagt Fangerow sichtlich verärgert dem SÜDKURIER.

Erst einmal das Innere des Gebäudes schützen: Bis die Sanierung beginnt, soll das Gebäude notdürftig versiegelt werden, damit kein ...
Erst einmal das Innere des Gebäudes schützen: Bis die Sanierung beginnt, soll das Gebäude notdürftig versiegelt werden, damit kein Wasser eindringen kann. | Bild: Singler, Julian

Öfters habe ihm P. davon erzählt, dass er bei einem anderen Bauprojekt ganz in der Nähe des Neubaus im Zentrum von Blumberg bereits viel Geld verloren habe. „Aber das war ein anderer Bauträger, das hat mit uns nichts zu tun.“ Auf Nachfrage, ob es denn nie Streit oder hitzige Gespräche gegeben habe mit P., verneinte Fangerow, um hinzuzufügen: „Es gab schon fachliche Kontroversen.“

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Diverse Baumängel

„Der Brandschutzgutachter sagte bei der Bauabnahme am Mittwoch, dass alle Nachweise zu den Brandschutztüren ausständig sind, das hat auch die Baubehörde gesagt“, so der Berliner Unternehmer. Streit oder Wortgefechte habe es aber keinen gegeben.

Laut Anwohnerin, die von aufgestautem Frust bei P. sprechen, sei es bei dem zwei Jahre laufenden Bauprojekt jedoch immer wieder zu Baufehlern und -mängeln gekommen. So habe P. das fertig verlegte Pflaster nochmal aufreißen müssen, weil sich die Stromanschlüsse änderten, wie auch Fangerow auf Nachfrage bestätigt. „Aber er konnte alle Mehrkosten 1:1 an uns weitergeben. Wir haben ihm für das Pflaster etwa 8000 Euro mehr bezahlt.“

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Wetterschutz für den ramponierten Bau Video: Julian Singler

Allerdings sei für das Bauprojekt ein Pauschalpreis vereinbart worden. „Wenn er die Abdichtung bei den Balkonen nicht richtig macht, dann kommt er in Bedrängnis mit den Kosten, dann muss er das nochmal machen. Aber das sind Sachen, die sind normal im Bau. Und er hat es ja neu gemacht, dass es laut Sachverständigen passt. Wir waren auf einem guten Weg“, sagt Fangerow.

Blumberg bietet Hilfe an

Neben dem Bauherren hatte auch Blumbergs Bürgermeister Markus Keller den Betroffenen, welche nach dem Vorfall von Obdachlosigkeit bedroht sind, Hilfe zugesagt. Bislang sei jedoch niemand auf das Angebot zurückgekommen. Entweder seien die Menschen noch so geschockt. Oder sie kämen womöglich bei der Familie oder Freunden unter, vermutet Keller. Die Stadt könne ihm zufolge bei Bedarf zwei Wohnungen zur Verfügung stellen, aber wenn man bei seinen Liebsten unterkommen könne, sei dies „natürlich immer die bessere Option“.

Blumbergs Bürgermeister Markus Keller sieht den Vorfall und die Reaktionen darauf kritisch.
Blumbergs Bürgermeister Markus Keller sieht den Vorfall und die Reaktionen darauf kritisch. | Bild: Lutz, Bernhard

Auch mit etwas Abstand sei bei Markus Keller das Unverständnis gegenüber den Baggerfahrer nicht weniger geworden. Er könne „absolut nicht nachvollziehen, wie er in den sozialen Medien teilweise gefeiert wird. Da werden die Schicksale der Betroffenen komplett ausgeblendet“, sagt der Bürgermeister dem SÜDKURIER.

Keller fügt an: „Mietraum ist bei uns extrem knapp, wie in anderen Kommunen auch.“ Das zweijährige Bauprojekt hätte neuen Wohnraum geschaffen. „Es ist mehr als schade, dass dieser Wohnraum kurz vor der finalen Fertigstellung auf diese Weise wegbricht.“ 16 der 31 Wohnungen seien laut Bauträger Fangerow nicht zerstört. Ziel sei es nun, dass die ersten Mieter zum 30. September die neuen Wohnungen beziehen können.