Villingen-Schwenningen wird 50. Wo ist die die Torte? Und: Darf man gratulieren? Eine Analyse zum inneren Zustand einer besonderen Stadt.

Die Doppelstadt. Die Bindestrich-Stadt. Die Baden-Württemberg-Stadt. Und dann dieses Autokennzeichen: VS. Die Scherze dazu: Very special (sehr speziell) kontern stoische Heimatliebhaber gerne mit: Viel Schönes.
Die Stadt überschreitet zu Beginn des Jahres 2022 die 50-plus-Marke. Die altersbedingten Wehwehchen haben schon viel früher eingesetzt. Lag es an Geburtsfehlern, wurde gar zusammengefügt, was nicht zusammengehört?
Eine Generationenfrage
Jede Infragestellung von Villingen-Schwenningen lässt sich so oder so beantworten. Mittlerweile ist das auch eine Sache der Generationen. Villingen-Schwenningen existiert – aber: Geht es richtig gut?
Manches war und ist auf Kante genäht und anderes doppelt verzwirnt. Es gibt hier nicht nur zwei Stadtbibliotheken und zwei Hallenbäder. Auch zwei Geschichtsvereine und zwei Rathäuser zählen zum verlässlichen Dubletten-Bestand. Doppelt hält nicht besser, kostet aber vor allem viel mehr Geld.

Die Stadt hat in Summe viel erreicht. Sie wächst seit der Jahrtausendwende endlich auch baulich zusammen. Der markante Startschuss zur Füllung der Kilometer an Grünfläche zwischen V und S war der Klinikumsneubau. Dieser war nur möglich, weil V und S beide Krankenhäuser geschlossen hatte.

Noch immer werden die Klinikumsflächen Ende 2021 mit Wohnungen bebaut. Was wollen wir mehr? Die Antwort heißt: Bezahlbarere Wohnungen. Lebenswerte Quartiere. Heimat, die erlebbar und schützenswert für alle ist. Die Politik fordert dies notorisch – und erhöht dann weiter die Grundstückspreise im städtischen Verkauf. VS ist so gesehen auch immer mehr ein Luxusgut.
Die lähmende Debatte
Verfehlt wurde im kommunalen Handeln oft die Fokussierung mit treffender Voraussicht. Beispiel: Das zentrale Rathaus. Glasklar in einem – von aufrechten Bürgern erzwungenen – Volksentscheid abgewiesen. Drei Jahre später ploppte das Thema wieder auf. Die Zusammenfassung vieler Ämter sollte nicht mehr zentral am Späth-Gelände sondern auf Villinger Alt-Kasernenareal platziert werden.
Strategiewechsel nach Chefwechsel
Der heutige Oberbürgermeister hat diese Pläne mit ein paar Gegenrechnungen vom Tisch wischen lassen. Insgesamt: 15 Debattenjahre verschossene Energie, das alles wegen Verwaltungsstrukturen. Dabei ist bis heute klar, dass moderne Verwaltungen anders arbeiten können, als sich dies angestammte Kräfte in Behördenstuben vorstellen mögen.

Was wäre aus dieser Stadt geworden, hätte jemand die Planungskräfte und Strategiedebatten stattdessen früh auf Themen gelenkt, die Bürger wirklich bewegen: Kindertagesstätten, Zustand der Schulen, der Straßen, die öffentliche Sicherheit, ein Verkehrskonzept auch für Fußgänger und Radler.
Der Turmbau zu Schwenningen
Bei der erfolgreichen Landesgartenschau wurde vor allem eine Schwenninger Brache mit Altlasten bewältigt – aber eben auch ein Turm gebaut, unter dem für Hunderttausende von Euro eine Mini-Tiefgarage angelegt ist.

Das Turm-Konzept scheiterte wegen des nicht bedachten Brandschutzes – ein versprochenes Dachgartencafé ließ sich hier dann doch nicht unterbringen. Seither residieren da Studenten, die Hochschule hat die Räume nach einigen Jahren als Mieter auch wieder verlassen. Die Folgekosten des Baus sind in der Bilanz der Wohnungsbaugesellschaft versteckt.
Was sich lernen lässt
Lernen lässt sich: Die Kommunalpolitik trifft längst nicht immer die richtigen Entscheidungen. Lösungsvorschlag? Mehr Transparenz, vor allem aber mehr Mitbestimmung. Zwei Volksabstimmungen in VS pro Jahr zu den wirklich großen Themen und Investitionen – warum denn nicht? Das Aber dazu lautet so: Ein 40-köpfiges Ratsgremium lässt sich noch einigermaßen lenken, nicht aber über 60.000 potenziell Stimmberechtigte.

Und dann sind wir ja hier in VS auch noch das Oberzentrum. Der Begriff ist quasi das Kernprodukt der Städtefusion. Versprochen war einst güldenes Wachstum und somit auch Wohlstand. Die in Summe avisierten 100.000 Einwohner sind bis heute in weiter Ferne. Der Niedergang der Uhrenindustrie und der Unterhaltungselektronik spielen in diese Rechnung mit hinein. Es war ganz klar Erwin Teufel, der seinerzeit als Abgeordneter und dann als Landesvater unmissverständlich mit einem Plan dagegen hielt. Die Fachhochschule wurde in der der Stadt angesiedelt. Bis heute prägen internationale Studenten-Ströme die Stadt. Nebenbei: Was wird eigentlich aus dieser im Straßenbild erlebbaren Vielfalt gemacht? Wer kennt die Antwort? Nur der geschäftige Kebabverkäufer oder ist da irgendwo eine kommunale Entwicklungs-Idee?
Was ist das Oberzentrum?
Bleiben wir beim Oberzentrum: Der Begriff ist für viele irreführend undefiniert – und könnte so wertvoll sein. Was eine Metropol-Region ist, weiß heute jeder. Genau das sollte VS auch dereinst werden. Die faktische Erhebung Villingen-Schwenningens über die großen Kreisstädte als Zentrum für Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und Politik wird stattdessen seit Jahren angenagt.

In VS wehrt sich niemand. Weil es niemand sieht? Erste Hochschul-Studiengänge werden plötzlich in Tuttlingen installiert, bei der Kultur spielen Kommunen wie Rottweil oder auch Donaueschingen munter an der ersten Geige mit. Wo ist die Positionierung von VS, wo das Konzept, wo die Erfolgskontrolle?
Vier Verbände für die Wirtschaft
Das essentiell Bedeutsamste: Diverse Institutionen kümmern sich um die Unternehmen – aus VS, vom Landkreis und zudem die IHK. Fühlen sich die Firmenchefs und Unternehmer gut begleitet? Die Gründung des eigenen Verbands namens GVO ist bis heute die Antwort dazu. Und wer kümmert sich regional aktuell gleich noch mal um den Wandel bei den Automobilzulieferern in VS? Irgendwann die Arbeitsagentur?

VS verliert sich immer wieder im Beliebigen. Pluspunkte sind: Schöne Natur, Genießerwege, Museen – die durchschnittliche Übernachtungsrate von Gästen ist aber schon vor Corona abgesunken. Es fehlt: Der Unique selling point, das propagierte Alleinstellungsmerkmal. Wer sind wir? Wie wollen wir sein und wo soll unser Weg hinführen? Diese Fragen gilt es seit Jahren strategisch zu beantworten. Die Stadt-Verwalter sind viel zu wenig Stadt-Gestalter. Ein neues Baugebiet auf der Wiese am Lämmlisgrund zu platzieren ist ein Weiter-so. Wird die Stadt auf diese Weise erlebbar attraktiv?
Was ist die große Richtung?
VS quo vadis: Umfragen kommen, Experten gehen wieder, Papiere werden andebattiert und abgelegt. Das mag teils auch am Inhalt der Expertisen liegen. Was fehlt ist die Richtung. Die Mission, die Aufbruchstimmung. Und damit Führung und Ziel-Konsens.

Die Stadt kann das alles immer noch schaffen. Und endlich richtig stark und überall schön werden. Im Kern ist Villingen-Schwenningen über 50 Jahre durchaus von zu vielen Verteildebatten gelähmt gewesen. Was? Ein großer Eisstadion-Umbau in Schwenningen? Und wo bleibt da der Villinger Fußball? Oder: Wieso hat Villingen eine Tonhlle und Schwenningen nur ein Beethovenhaus? Über zehn Millionen Euro hat die Neckarhalle gekostet.

Wo genau in der Stadt neue Strukturen entwickelt werden, das ist durchaus bedeutsam. Ins Schwarze getroffen, das hat die Stadtentwicklung mit dem Setzen der großen Linien kaum. Ein ganz neues Sportstadion als Mehrzweckhalle für Eishockey, Basketball, Volleyball und mehr. Außerdem eine Kongresshalle – das hätte in die neue Mitte von V und S und damit beim Klinikum angesiedelt gehört. Zu sagen getraut hat sich das niemand von den Verantwortungsträgern. Die nächsten Wahlen im Bezirk kommen schließlich fast regelmäßig.
Was weiter trennt
Das einst Trennende wird indessen schon seit Jahren Geschichte. Badisches und Württembergisches ist Tradition und wird gepflegt. Manches gehört hier auch weiter verändert: Die Grenzen der Kirchen- und Fußballverbände sind nur zwei Beispiele. Die Inkonsequenz der Handelnden ist dabei für jeden ersichtlich. Immer noch gibt es keine gemeinsame Telefonvorwahl, es gilt weiter 07720 für Schwenningen und 07721 für Villingen. Bis heute ist das, in Ruhe besehen, mehr als schrullige Folkore – nämlich ein Unding.
Die Gründe für ein VS-Prosit
Wer das Trennende sucht, der wird es wieder finden. Doch das Zusammengehörigkeits-Gefühl ist für viele zur Aufgabe geworden. VS ist eine Stadt mit besonderen Ausprägungen. Das ist die Errungenschaft dieser Fusion. Der Oberzentrum kann noch was werden: Modellstadt für Europa und für noch viel mehr. Die tiefere Botschaft lautet: Politische Fusionen müssen stimmig sein und attraktiv. Sonst dauert es ein halbes Jahrhundert, bis es es einigermaßen funktioniert.
Die gesamtgesellschaftliche Errungenschaft
Kann also 2022 von den Villingen-Schwenningern gefeiert werden? Die Antwortet lautet ja. Unbedingt. Die alten Grenzen sind weg. Wir leben zusammen. Braucht es mehr mehr zum Anstoßen in der Slvesternacht?
Und wo ist die Torte? Vielleicht sollte sie erst Ende 2022 serviert werden. Dann können hoffentlich alle zusammen unbesorgt nach der Viruskrise die 50 Kerzen auspusten.

Corona hat Ende des Jahres 2021 die ersten Jubel-Termine bereits weggepustet. Man könnte ulken: Mit Belagerungen kennt man sich hier seit den Schweden aus. Einen Angreifer wie jetzt gab es aber noch nie. Es wird sich herausstellen: Passen alle gut aufeinander auf, hat das Virus keine Chance. Dann funktioniert diese Stadtgesellschaft tatsächlich.