Mit 73 Jahren bricht der Arzt Norbert Noltemeyer zu seinem zweiten ehrenamtlichen Auslandseinsatz auf. Vier Wochen lang will er gemeinsam mit heimischen Ärzten die Ärmsten der Armen im Grenzgebiet von Indien und Bangladesch medizinisch betreuen. Ein Hilfseinsatz, bei dem ihn viel Schönes – und weniger Schönes erwartet.

Ein Wiederholungstäter

Noltemeyer ist, wie sehr viele Ärzte, die sich im Ausland engagieren, ein Wiederholungstäter. 2019 ist er über die medizinische Hilfsorganisation „German Doctors“ (Deutsche Doktoren) zu seinem ersten Hilfseinsatz aufgebrochen. In die ostindische Metropole Kalkutta, wo er sechs Wochen lang in den Slums, aber auch in ländlichen Bereichen, medizinische Hilfe für die Armen leistete.

Flüsse, Mangroven und Tiger

Sein zweiter Hilfseinsatz führt in nun nicht weit von Kalkutta in der Provinz Bengalen in ein ganz besonderes Gebiet: in die Sundarbans, ein Naturschutzgebiet in der Grenzregion von Indien und Bangladesch.

Die Landschaft ist geprägt durch das Ganges-Delta, das größte Flussdelta der Welt mit zahllosen Wasserstraßen, regelmäßigen Überschwemmungskatastrophen und endlosen Mangrovenwäldern, zugleich eines der letzten Refugien der indischen Königstiger.

Fünf Ambulanzstationen stehen auf dem Plan

Gemeinsam mit ein, zwei indischen Ärzten sowie einem weiteren deutschen Arzt wird Noltemeyer mithelfen, die Landbevölkerung in dieser Region medizinisch zu versorgen. Täglich rückt er mit einem Team von Ärzten, Pflegern, Hilfspersonal und Dolmetschern aus, um einen von fünf Ambulanzstationen in den Siedlungen der Sundarbans anzufahren. Betrieben wird dieser medizinische Dienst von der indischen Hilfsorganisation „Asha“, mit dem die „German Doctors“ kooperieren.

In den entlegenen Gebieten treffen sie auf Menschen, von denen viele wohl nie einen Arzt zu sehen bekämen, wenn die Hilfsorganisation nicht wäre. „Es geht hier um Basismedizin“, verdeutlicht Noltemeyer. Untersuchungen und Diagnose ohne aufwändige Apparatetechnik. Den ganzen Tag sind die Teams vor Ort, untersuchen, behandeln. Am nächsten Tag geht es zur nächsten Ambulanz an einem anderen Ort.

Diese Aufnahme zeigt Noltemeyer bei seinem ersten Einsatz für die „German Doctors“ im Jahr 2019 in Kalkutta und Umland. Hier ...
Diese Aufnahme zeigt Noltemeyer bei seinem ersten Einsatz für die „German Doctors“ im Jahr 2019 in Kalkutta und Umland. Hier findet die Triage der Patienten statt. Patienten, die das Glück haben, an diesem Tage untersucht zu werden, bekommen einen Stempel auf den Handrücken. Die anderen müssen warten, bis die Ärzte nächste Woche wiederkommen. | Bild: Norbert Noltemeyer

Indien, so erläutert Noltemeyer den Hintergrund seines ehrenamtlichen Helfens, hat viele Ärzte und Praxen. Allerdings, und hier liegt das Problem, können sich viele Menschen diese Ärzte nicht leisten.

„Der extreme Gegensatz von Arm und Reich ist schwer auszuhalten“, gesteht Noltemeyer. Es werden daher Hilfsorganisationen benötigt, die auch die Armen und Ärmsten unentgeltlich versorgen. „Wenn wir nicht wären, hätten viele Menschen keine Behandlung“, sagt er.

Tuberkulose als Hauptkrankheit

Den Arzt aus Villingen-Schwenningen erwarten viele Patienten, die an Tuberkulose erkrankt sind, eine der Hauptkrankheiten. Dazu kommen Haut- und Pilzkrankheiten, Lungenentzündungen und verschiedene Durchfallerkrankungen. Letztere verursachten eine hohe Kindersterblichkeit. Ein weiteres Problem sind die vielen von unsauberem Trinkwasser übertragenen Krankheiten wie Cholera, Hepatitis A, Typhus, Wurmerkrankungen.

„Es gibt hier furchtbar viel Armut.“
Norbert Noltemeyer

Aus einem Aufenthalt von 2019 weiß der Mediziner auch: „Es gibt hier furchtbar viel Armut.“ Indien habe zwar bei der Hungerbekämpfung große Fortschritte gemacht. Doch dann kam Corona. Die Pandemie hat in Indien schlimm gewütet, große wirtschaftliche Not hervorgerufen „und das Land zehn bis 20 Jahre zurückgeworfen.“ Er vermutet daher, dass er dieses Mal Hunger und Unterernährung begegnen wird.

Wie hält er diese Bilder von Armut, Elend und Krankheit aus? Noltemeyer muss bei dieser Frage nicht überlegen. Er hält sie aus, weil er helfen kann. Er verweist auf die Grundprinzipien der Palliativmedizin: Ein Arzt kann Menschen, auch wenn sie im Elend leben oder unheilbar krank sind, immer noch helfen, ihr Leid zu lindern.

Die Furcht hat sich vor Ort relativiert

Vor seinem ersten Einsatz in Indien 2019, so erinnert er sich, „da hatte ich ungeheuren Respekt“ vor diesem mystischen fernen Land. „Da wollte ich eigentlich nie hin“, gesteht er. Doch vor Ort, bei seiner Arbeit in den Slums von Kalkutta, wo er sehr viel Leid und Armut gesehen hat, da habe sich die Furcht „ungeheuer relativiert, wenn man sieht, wie sich diese Menschen in der Not einander zuwenden.“

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„Die Menschen sind etwas Besonderes“

Deshalb hat er sich ein zweites Mal um eine Stelle in der Region Bengalen beworben. „Die Menschen sind dort etwas ganz Besonderes“, sagt er. „Es geht einem das Herz auf, wie herzlich sie sind.“ Und darauf, betont er, freue er sich vor allem. Am Sonntag, 13. November, startet sein Flieger.

Diese Aufnahme zeigt Norbert Noltemeyer (Mitte) 2019 am Ende seines ärztlichen Auslandseinsatzes in Kalkutta, wie er von seinem Team in ...
Diese Aufnahme zeigt Norbert Noltemeyer (Mitte) 2019 am Ende seines ärztlichen Auslandseinsatzes in Kalkutta, wie er von seinem Team in einer kleinen Zeremonie verabschiedet wird. | Bild: Norbert Noltemeyer

Dessen nicht genug, hat sich Noltemeyer bereits für den Herbst 2023 um einen dritten Einsatz bei den „German Doctors“ in Indien beworben. Den Herausforderungen fühlt er sich nach wie vor gewachsen. Das Rentenalter sei eine gute Zeit, solche Aufgaben zu übernehmen, findet er. „Ich habe die berufliche Erfahrung. Und körperlich bin auch auch noch fit“, sagt Noltemeyer, ein leidenschaftlicher Wanderer und Tourenführer beim Schwäbischen Albverein.