Die Straßenkreuzung in der Stadtmitte von Villingen hat schon seit vielen Jahren zwei Namen: Die einen sagen Marktkplatz, das sind die Traditionsbewussten, die anderen sagen Latschariplatz, das sind die Fahrlässigen, denen wahrscheinlich nur das Wort so gut gefällt.

In dieser Frage schwelt schon seit Jahrzehnten ein latenter Kulturkampf im Städtle. Offiziell heißt die Kreuzung allerdings Marktplatz. Denn hier, im Zentrum, befand sich in vergangenen Jahrhunderten der Marktplatz der Stadt.

Umso größer die Erschütterung, als einige Bürger in den vergangenen Tagen dort zwei neue Straßenschilder entdeckten: Am Sparkassen-Service-Zentrum und und am Haux-Gebäude steht auf zwei Straßenschildern der Name „Laschariplatz“.

Wie kommt dieses Straßenschild an das Sparkassen-Service-Zentrum in der Stadtmitte? Hat die Stadtverwaltung den Marktplatz in ...
Wie kommt dieses Straßenschild an das Sparkassen-Service-Zentrum in der Stadtmitte? Hat die Stadtverwaltung den Marktplatz in Latschariplatz umgetauft? | Bild: Stadler, Eberhard

Sofort keimte ein schlimmer Verdacht auf. Haben die geschichtsvergessenen Bürokraten im Rathaus, ohnehin ja meist Zugezogene, den Villinger Marktplatz umgetauft? Konrad Flöß, traditionsbewusster Villinger, eilte nach dieser alarmierenden Entdeckung in die SÜDKURIER-Redaktion und brachte einen Stadtplan von 1930 mit. Dort steht eindeutig, wenn auch sehr klein, die Bezeichnung: Marktplatz.

Auch am Haux-Gebäude prangt ein Straßenschild mit dem Aufschrift „Laschariplatz“.
Auch am Haux-Gebäude prangt ein Straßenschild mit dem Aufschrift „Laschariplatz“. | Bild: Stadler, Eberhard

Nachforschungen unserer Redaktion ergaben indes, dass die geschichtsvergessenen Bürokraten im Rathaus in diesem Falle nichts dafür können. Nimmt man die beiden Straßenschilder näher in Augenschein, fällt nämlich auf, dass hier ein amtliches Straßenschild mit Folien überklebt wurde. Ein Fake!

Illegaler Akt der Narretei

Weitere Recherchen ergaben, dass es sich bei dieser Namensänderung um einen illegalen Akt der Narretei handelt. Die überklebten Straßenschilder (darunter der Hinweis auf die Tourist-Information) hängen nun schon bereits seit Januar in der Stadtmitte. Nur haben es viele Bürger offenbar noch nicht bemerkt. Oder aber mit sträflicher Gleichgültigkeit beziehungsweise subversiver Genugtuung zur Kenntnis genommen.

Hier ist der Beweis: Auf diesem Villinger Stadtplan von 1930 steht eindeutig Markplatz. Das kann man dort nachlesen, sofern man gute ...
Hier ist der Beweis: Auf diesem Villinger Stadtplan von 1930 steht eindeutig Markplatz. Das kann man dort nachlesen, sofern man gute Augen oder eine Lupe hat... | Bild: Stadler, Eberhard

Doch was war der Anlass der Aktion? Im Januar war bekanntlich das große Narrentreffen aus Anlass des 150-jährigen Bestehens der Villinger Katzenmusik. Und dafür hat der gastgebende Vereine auch diverse Hinweisschilder für die Gastzünfte im Städte installiert. In diesem Zusammenhang könnte auch der Marktplatz klammheimlich umgetauft worden sein.

Schelmenstreich beim Narrentreffen

Über den Schelmenstreich wollten sich die Verantwortlichen nicht näher auslassen. Es könnte auch durchaus sein, dass die Entfernung der Folien nach dem Narrentreffen schlicht und bedauerlicherweise „vergessen“ wurde, vermutet ein Insider – und grinst auf den Stockzähnen.

Fasnet-Montag auf dem „Latschariplatz“in Villingen: Schon seit über 100 Jahren findet hier der Schlussappell der Katzenmusik ...
Fasnet-Montag auf dem „Latschariplatz“in Villingen: Schon seit über 100 Jahren findet hier der Schlussappell der Katzenmusik statt. Hier ein Bild von der Fasnet 2023. | Bild: Roland Sigwart

In den sozialen Netzwerken ist die Umfrisierung der Straßenschilder schon vor geraumer Zeit Thema gewesen und in mancherlei Kommentaren mit Freude begrüßt worden.

In der Tat gibt es im Villinger Städtle, das eigentlich seine Traditionen hoch hält, erstaunlich viele Freunde des „Latschariplatzes“. Einer davon ist Thomas Moser, Erz-Villinger, Erz-Katzenmusiker und Erz-VS-Kabarettist. „Die beiden Schilder sind mir noch nicht aufgefallen“, gibt er zu. Aber: „Ich finde das gut“, nickt er vor Ort mit dem Kopf. „Für mich heißt das hier Latschariplatz, solange ich denken kann“, sagt Moser. „In Villingen trifft man sich am Latschariplatz. Und jeder weiß, wo das ist“, argumentiert er. „Marktplatz habe ich noch nie gesagt.“

Thomas Moser findet die Bezeichnung „Laschariplatz“ gut.
Thomas Moser findet die Bezeichnung „Laschariplatz“ gut. | Bild: Stadler, Eberhard

Das bleibt nicht unwidersprochen. „Wenn das Schild vom Narrentreffen stammt, muss es wieder weg“, findet Konrad Flöß. Gegen eine dauerhafte Benennung als Latschariplatz „muss man sich wehren“, bekundet Architekt im Ruhestand, ebenfalls Erz-Villinger.

Konrad Flöß, traditionsbewusster Villinger, sagt: An Fastnacht ist es der Latschariplatz, sonst der Villinger Marktkplatz.
Konrad Flöß, traditionsbewusster Villinger, sagt: An Fastnacht ist es der Latschariplatz, sonst der Villinger Marktkplatz. | Bild: Stadler, Eberhard

Flöß verweist auf den historischen Kontext. In der Stadtmitte fand über Jahrhunderte das Villinger Marktgeschehen statt. Ein Umstand, auf den der verstorbene Hobbyhistoriker Walter K.F. Haas schon vor vielen Jahren mit Verve hingewiesen hat. Der UrUr-Villinger Haas, wie er sich selbst bezeichnete, hatte diesem Thema eigens eine „lokalhistorischen Studie“ gewidmet, die er im Dezember 1994 vorstellte.

Ein richtiger Villinger sagt nicht Latschariplatz

Darin kam der streitbare Lokalhistoriker zum Ergebnis, dass der Marktplatz bereits vor rund 260 Jahren in Villingen die „amtliche Benennung“ des Straßenkreuzes war. Es sei dies ein „uralter historischer Begriff“. Haas folgerte daraus: Das Wort Laschariplatz nimmt ein richtiger Villinger nicht in den Mund.

Haas warf der Stadtverwaltung damals vor, der falschen Namensgebung sogar noch Vorschub geleistet zu haben. In einem amtlichen Einwohnerbuch von 1993/94 sei der Villinger Marktplatz durch die „anrüchige Bezeichnung Latschariplatz“ ersetzt worden. Diesen Fauxpas hat Haas den Verantwortlichen damals schnell ausgetrieben.

Was ist eigentlich ein Latschari?

Doch anrüchig? Warum? Für Haas und andere Traditionalisten war und ist der Begriff Latschariplatz eine diffamierende Bezeichnung, ein herabwürdigender Spottname.

Haas verwies seinerzeit auf den langjährigen Leiter des Städtischen Vermessungsamtes, Obervermessungsrat Hans Maier. Dieser hatte den Begriff Latschariplatz in seinem Flurnamenbuch wie folgt definiert: „Spottname für den einstigen Markplatz an der Kreuzung der vier Hauptstraßen der Innenstadt. Diese Bezeichnung ist da und dort für Plätze in Städten anzutreffen, wo tölpische, einfältige Menschen, im Volksmund Latschari benannt, herumlungern.“

Die Kreuzung in der Villinger Stadtmitte wird auch als Zähringer-Kreuz bezeichnet, in Anlehnung auf das Adelsgeschlecht der Zähringer. ...
Die Kreuzung in der Villinger Stadtmitte wird auch als Zähringer-Kreuz bezeichnet, in Anlehnung auf das Adelsgeschlecht der Zähringer. Mehrere Städtegründungen der Zähringer im Mittelalter in Deutschland und der Schweiz weisen, wie auch in Villingen, eine Kreuzung von vier Straßen in der Stadtmitte auf. Sie sind sozusagen ein Markenzeichen der „Zähringer Städte“.

Leserbriefe und Belehrungen

Auch für die ironische und spöttische Verwendung hatte Haas keinerlei Verständnis. Und wehe, einer der zahlreichen Zeitungsredakteure und -mitarbeiter in Villingen-Schwenningen, wo es damals noch vier Tagszeitungen mit vielen Schreibern gab, verwendete in einem Artikel den Begriff „Latschariplatz“. Ein geharnischer Anruf samt Belehrung oder ein Leserbrief war dem Unglückseligen gewiss.

Von dieser herrlichen Auseinandersetzung, so steht zu vermuten, werden auch noch die nächsten Generationen zehren dürfen. Obgleich es solche streitbaren Charakterköpfe wie Walter K.F. Haas inzwischen kaum noch gibt.

Eine Frage der Jahreszeit?

Mit der Weisheit des Narren hat übrigens einmal Konrad Flöß diese Streitfrage geklärt, als ihn ein Narro am Fasnetsmontag beim Strählen in der Stadtmitte mit der Frage aufs Glatteis führen wollte: „Kannst Du mir mal den Unterschied zwischen dem Marktplatz und Latschariplatz erklären?“ Flöß erwiderte: „An der Fasnet stehen wir auf dem Latschariplatz! Danach sind wir wieder auf dem Marktplatz.“

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