Wilfried Borho, seit Juni 2015 Leiter des Kommunal- und Rechnungsprüfungsamtes im Landratsamt, hat so etwas in seiner nun zehnjährigen Amtszeit noch nicht erlebt:

Dass er eine Stadt oder Gemeinde des Landkreises unter Kommunalaufsicht stellt, bedeutet für ihn laut eigenem Bekunden eine Premiere.

Seit März 2025 ticken die Uhren in Bad Dürrheim nun anders: Die in Bürgermeister- und Kämmererkreisen gefürchtete Intervention der Aufsichtsbehörde wird in den nächsten Jahren immer wieder mit der finanziellen Situation der Kurstadt verknüpft werden.

Respektvoll im Ton

Borho und der Bad Dürrheimer Bürgermeister Jonathan Berggötz haben sich bereit erklärt, gemeinsam mit einem Vertreter dieser Zeitung über die aktuelle finanzielle Situation in der Kurstadt zu sprechen.

Beide reden offen. Es wird deutlich, dass der Bürgermeister und der Finanzfachmann aus dem Landratsamt sowie deren Fachleute fürs Geld derzeit häufiger miteinander zu tun haben. Der Ton ist respektvoll, und doch könnten beide auf diesen regelmäßigen Austausch über die städtischen Finanzen wohl gerne verzichten.

Eines der letzten Mittel

Berggötz, weil er ein Stück Souveränität aufgeben muss, Borho, weil er diesen Zugriff mit der Formulierung von Hinweisen eigentlich verhindern wollte, wie er sagt. Er macht klar, dass die Haushaltsverfügung eines der letzten Mittel ist, um Städte und Gemeinden auf eine finanzielle Schieflage hinzuweisen.

In einer Gemeinderatssitzung in der Aula in Oberbaldingen befasste sich der Gemeinderat Anfang April mit der Tatsache, dass die Stadt ...
In einer Gemeinderatssitzung in der Aula in Oberbaldingen befasste sich der Gemeinderat Anfang April mit der Tatsache, dass die Stadt nun unter Kommunalaufsicht steht. | Bild: Markus Schmitz

Eine klare Diagnose

Die Diagnose war für den Finanzexperten aus dem Landratsamt klar: „Ihr übernehmt euch jetzt“, wie Borho mit Blick auf den Etatentwurf für das Jahr 2025 feststellte. Woran er diese Einschätzung festmacht, kann der Amtsleiter benennen.

Doppik löst Kameralistik ab

Zunächst fehlte ihm zum Zeitpunkt seines Einschreitens die Eröffnungsbilanz, also die Aufstellung über die Vermögenswerte und Schulden der Kommune, die als Grundlage für die spätere Buchführung dient. Sie ist eine Notwendigkeit der Doppik, eine Buchführung, mit der die Städte und Gemeinden nach Aufgabe der Kameralistik rechnen müssen.

„Viele Kommunen sind hier in eine Falle gelaufen“, sagt Borho – nicht nur Bad Dürrheim – fehlten doch die personellen Kapazitäten, um neben der täglichen Arbeit diese Sonderleistungen zu erbringen. Mittlerweile hat die Stadt diese Bilanz nachgereicht.

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Probleme schon in der Vergangenheit

Doch die fehlende Transparenz ist nicht alles. Als Kriterium für sein Einschreiten nennt Borho auch Probleme mit der Liquidität der Stadt und ein Zahlungsmitteldefizit, das überwunden werden müsse.

Er verspricht Augenmaß, denn auf die Schnelle seien diese Probleme nicht lösbar. „Wir können nicht mit dem großen Prügel kommen“, sagt der Amtsleiter. Bei der Entscheidung einzugreifen habe auch die Betrachtung vergangener Haushalte eine Rolle gespielt. Die Entwicklung, so die Einschätzung im Landratsamt, sei eben nicht so gewesen, um es bei Ratschlägen und Hinweisen zu belassen.

Die Gesamtschau ist das, was zählt

Wann die Kommunalaufsicht einschreitet und wann nicht, vermag Borho nicht an exakten Zahlen festzumachen. So spiele die Pro-Kopf-Verschuldung einer Kommune – wenn überhaupt – nur eine untergeordnete Rolle. Es gehe vielmehr um eine Gesamtschau, die für das Eingreifen oder Nichteingreifen der Aufsichtsbehörde entscheidend sei.

Die aktuelle Situation

Erste Maßnahmen

Bei allen Problemen ist Bad Dürrheim in einer besseren Situation als etwa die Stadt Aulendorf bei Ravensburg, die Anfang des vergangenen Jahrtausends so sehr von Geldsorgen geplagt war, dass die Aufsichtsbehörde komplett übernehmen musste.

„Bad Dürrheim hat die kommunale Selbstverwaltung“, stellt Berggötz klar. Die geforderte Haushaltsbegleitkommission sei gebildet worden, Einsparoptionen lägen auf dem Tisch. Rasch verabschiedete sich die Stadt von dem Vorhaben, das Haus des Gastes zu sanieren. Die konkreten Einsparungen sind ein erster Schritt, doch bei weitem nicht der letzte.

Das Haus des Gastes wird vorläufig nicht saniert, um die finanzielle Situation der Stadt Bad Dürrheim zu verbessern.
Das Haus des Gastes wird vorläufig nicht saniert, um die finanzielle Situation der Stadt Bad Dürrheim zu verbessern. | Bild: Stadtverwaltung Bad Dürrheim

Das große Zukunftsthema

Als eine der großen Zukunftsfragen gilt die Sanierung des Solemar, das der ehemalige CDU-Fraktionsvorsitzende und heutige Ehrenbürger Heinrich Glunz einmal als die „Lebensversicherung der Stadt Bad Dürrheim“ bezeichnet hat, wie Berggötz berichtet.

Diese Lebensversicherung kommt der Kur- und Bäder GmbH, eine 100-prozentige Tochter der Stadt, nun freilich teuer zu stehen: Sanierungskosten in mittlerer zweistelliger Millionenhöhe sind bisher genannt, ohne dass schon eine Instandsetzungsvariante feststeht.

Auf der Suche nach Fördermöglichkeiten

Sehe man von den Investitionskosten ab, so schreibe das Bad eine schwarze Null, sagt Berggötz. Sorgen bereitet die Zuschusssituation: Nach gegenwärtigem Stand fließen aus einem Fördertopf des Landes gerade einmal 2,5 Millionen Euro – bei den genannten Investitionskosten von 50 Millionen Euro plus, minus X gerade mal ein Anteil von fünf Prozent. Die Stadt sei derzeit dabei, weitere Fördermöglichkeiten abzuklopfen, sagt Berggötz.

Bei den Unterhaltskosten weit entfernt von einer schwarzen Null ist das Minara, das der Stadt ungefähr eine Million Euro pro Jahr an Unterhaltskosten wert ist. War dessen Erhalt ein Fehler? Berggötz überlegt lange und sagt dann, dass er nicht zurückschauen will, wenn es um die aktuellen Finanzen der Stadt geht.

Das Solemar spielt in den Planungen über die finanzielle Zukunft der Kurstadt eine entscheidende Rolle.
Das Solemar spielt in den Planungen über die finanzielle Zukunft der Kurstadt eine entscheidende Rolle. | Bild: Hans-Jürgen Götz

Steigen die Gebühren an?

Der Blick nach vorne zeigt ihm aber, dass die Stadt ihren Haushalt auf links drehen muss. Alles sei einer Prüfung zu unterziehen, auch die Einnahmen.

Nun langt Bad Dürrheim bei den Hebesätzen für Grundsteuer schon kräftig zu, um nur ein Beispiel zu nennen. Gibt es hier überhaupt noch Spielräume? Berggötz fürchtet, an dieser Schraube drehen zu müssen.

Auch die Kindergartengebühren mit einem Kostendeckungsgrad von gerade einmal zehn Prozent seien nicht in Stein gemeißelt, ebenso die Friedhofsgebühren. Im Gespräch kommt Berggötz rasch vom Speziellen auf das Allgemeine: Bad Dürrheim, so versichert er, habe eine sehr hohe Lebensqualität mit guter Infrastruktur.

Betroffene dürften wenig erfreut sein

Statt der Klagen über hohe Belastungen wünscht er sich mehr Bewusstsein dafür, an einer gemeinsamen Sache zu arbeiten. Wie eine Familie. Doch auch ihm dürfte bewusst sein, dass bei einer möglichen Erhöhung der Kindergartenbeiträge das Bewusstsein fürs große Ganze sehr schnell einem Furor aus den Reihen der Betroffenen weichen dürfte.

Um die gegenwärtigen Geldsorgen abzumildern, schließt Bürgermeister Jonathan Berggötz eine Erhöhung der Kindergartenbeiträge nicht aus.
Um die gegenwärtigen Geldsorgen abzumildern, schließt Bürgermeister Jonathan Berggötz eine Erhöhung der Kindergartenbeiträge nicht aus. | Bild: Sandra Häusler

Einsparungen und Erwartungen

Alleine mit einer Erhöhung der Einnahmen wird Bad Dürrheim nicht sorgenfrei. Klar ist, dass weitere Einsparungen folgen müssen. Die Haushaltsbegleitkommission arbeite auf vollen Touren, sagt Berggötz.

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Dem Gemeinderat sei der Ernst der Lage bewusst. „Wir müssen an die Strukturen gehen“, sagt der Bad Dürrheimer Bürgermeister. Mit punktuellen Einsparungen sei es nicht getan. Borho nickt. Er betont, dass man Bad Dürrheim nicht ständig Vorschriften machen wolle. Es gehe vielmehr darum, dass die Stadt selbst Mittel und Wege finde, ihre finanzielle Schieflage zu überwinden.

Sie wollen beraten und helfen

Er sieht sich und seine Kollegen als Berater und stets ansprechbare Experten, die weiterhelfen wollten. Aber natürlich gibt es auch eine gewisse Erwartungserhaltung: Wenn sich Bad Dürrheim ab Oktober 2025 um seinen neuen Haushalt kümmert, baut er auf regelmäßige Informationen aus der Kurstadt, um rechtzeitig eingreifen zu können, wenn die Dinge aus seiner Sicht falsch laufen.

Raus aus der Negativspirale

Die Zeit unter gezielter Beobachtung wird derweil noch länger andauern. Der Experte aus dem Landratsamt spricht davon, dass es schwierig sei, einen Endpunkt festzulegen, doch nennt er das Jahr 2032 als Zieldatum, um Bad Dürrheim wieder in die vollkommene Unabhängigkeit entlassen zu können. „Raus aus der Negativspirale“, laute das Motto der Stunde.

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Hat sich für Berggötz etwas geändert seit der Hiobsbotschaft vom März? „Ich gehe weiter morgens gerne ins Rathaus“, sagt der Bürgermeister und lächelt. Gut möglich, dass er mit seinen Problemen schon bald nicht mehr alleine dasteht. Wie Borho sagt, seien die aktuellen Entwicklungen in einigen Kommunen des Landkreises durchaus besorgniserregend.