Mythen und Geschichten aufspüren, das kann man bei den Stadtführungen in Villingen-Schwenningen. Nachdem im März coronabedingt alle Stadtführungen abgesagt werden mussten, finden diese nach den Lockerungen großen Anklang. „Wieder rausgehen, etwas anderes sehen und hören“, sagt eine Teilnehmerin am Mittwochabend bei der Führung „Lepra, Pest und Cholera“ über Gesundheit und Krankheit im alten Villingen.
„Es heißt Lepra, Pest und Cholera und heute auch Corona“, spannt Stadtführerin Barbara Bouyer, als Hebamme Babett, den Bogen zur heutigen Pandemie und bat: „Haltet Abstand, wie in alten Zeiten.“
Leprosenschau im Franziskaner
Im Franziskaner, dem Ausgangspunkt der Stadtführung, gab es regelmäßig Leprosenschauen. Die angeblich an Lepra Erkrankten mussten sich auf einen Leprosenstuhl setzten und wurden von Aussatzkranken (Leprakranken) begutachtet. „Die kannten sich am besten mit ihrer Krankheit aus. Und wurde einer für erkrankt befunden, geleitete man ihn ins Münster“, berichtet Bouyer.
Mit einem Mantel, einer Schale zum Betteln und einem Zeigestock seien die Erkrankten nach einem Gottesdienst in einer Prozession ins Gutleuthaus in der heutigen Gerwigstraße gebracht worden. Per Klapper wurden die Passanten aufgefordert, Abstand von den Kranken zu halten. „Sie wurden nicht verbannt, sondern vor die Stadt gebracht, um die anderen Leute zu schützen“, erklärt Bouyer.
In den Badehäusern im Rietviertel wurde nicht nur gebadet
Im Rietviertel gab es laut Aufzeichnungen von 1215 drei Badehäuser, die von einer schwefelhaltigen Quelle beim Hubenloch über Deuchelleitungen (ausgehölte Baumstämme) versorgt wurden. Bader betrieben die Häuser, versorgten die Menschen bei Knochenbrüchen, zogen Zähne und schröpften.

In der heutigen Turmgasse, dem früheren Freudenstädtle, lebten einst die Hübschlerinnen, die Prostituierten. „Die Frauen, die von außerhalb kamen, wurden vom Henker oder Abdecker betreut“, so Bouyer, und es durften sich nur ledige Männer dort verweilen, was auch kontrolliert wurde.
Pest grassierte ab dem 14. Jahrhundert in Villingen
Die Pest grassierte ab dem 14. Jahrhundert immer wieder in Villingen. Sie wurde von Rattenflöhen übertragen, was zur Folge hatte, dass 1349 ein Drittel der Villinger an der Pest starb. Die Behandlung der Kranken beschränkte sich auf Isolation in ihren Häusern, und die meisten verstarben innerhalb von Stunden und Tagen.
Am Ende der Pest-Epidemie wurde von der Stadt die Elendsjahrzeitpflege gegründet und die Besitztümer der Verstorbenen ging in eine Stiftung über. „Ein Überbleibsel der Elendsjahrzeitpflege ist der heutige Spitalfond“, erklärte Bouyer.

Die Cholera trat vermehrt ab dem 19. Jahrhundert auf. Sie wurde verursacht durch Verunreinigung – ausgelaufene Misthäufen und undichte Plumpsklos – der Deuchelleitungen, die das Trinkwasser in die Stadt geführt haben.
Mensch und Tier lebten dicht an dicht
Zahlreiche weitere Erkrankungen wie Syphilis, Typhus, Hautkrankheiten, Wurmkrankheiten und Pocken gab es im alten Villingen. Nicht nur eingeschleppt von Karawanen, durchziehenden Soldaten oder Kreuzfahrern aus dem Heiligen Land, sondern auch dadurch bedingt, dass Mensch und Tier dicht an dicht in Villingen lebten.