Koste sie aus, haben sie sagt. Die Zeit nach der Schule. Da darfst du reisen, dich ausprobieren, die Freiheit genießen. Über ihre gesamte Schulzeit hinweg hat Anja Simone von ihrem Umfeld, den älteren Freunden und Lehrern, gespiegelt bekommen, dass die Welt nach dem Abitur nur darauf warte, entdeckt zu werden. Sie hat gesehen, wie ihre Freunde ein letztes Mal auf Studienfahrt gingen, wie sie ihren Abiball feierten – und sich längst ein Abiball-Kleid gekauft.

„Ein dunkelblaues mit viel Tüll und Glitzer“, sagt die 19-jährige Schülerin vom Gymnasium am Hoptbühl. Ein echtes Prinzessinnenkleid. Nur ob sie es jemals tragen und ob es ihren Abiball unter Corona-Bedingungen geben wird, steht noch in den Sternen.

Aus der Zeit des ersten Lockdowns ist nichts hängengeblieben

Wie ist das, wenn das Leben gerade so richtig Fahrt aufnimmt. Und plötzlich drückt eine ganze Gesellschaft auf den Pausenknopf? Und wie bereitet man sich unter diesen Umständen auf das Abitur vor? Anja Simone überlegt einen Moment und sagt dann Sätze wie: „Im ersten Lockdown hatte ich total die Struktur verloren.“ Oder: „Auch jetzt ist es manchmal schwierig, mich zum Lernen zu motivieren.“

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Hört man sich dieser Tage unter den Abiturienten um, merkt man schnell, wie sehr die Kontaktbeschränkungen und der lange Lockdown an ihnen zerren. Und wie optimistisch sie trotz allem sind. Sarah Sieber von den St. Ursula Schulen beschreibt die Zeit so: „In der Schule hat man einen anderen Raum, in dem man sich konzentrieren muss. Zuhause bin ich oft abgelenkt. Und von den Sachen, die wir während des ersten Lockdowns gemacht haben, ist nichts hängengeblieben.“ Das müsse sie vor dem Abitur noch einmal komplett wiederholen. Die 17-Jährige sagt aber auch: „Das Abitur schaffe ich schon. Ich mache mir da keine Sorgen.“ Mit dem Lernen will sie ohnehin erst im März anfangen.

Study-Livestreams, die motivieren

Auch Lenny Münzer vom Gymnasium am Romäusring kennt die Unsicherheiten und sieht dem Abitur doch gelassen entgegen. „Eine gewisse Unsicherheit hat jeder Abiturient“, ob Corona oder nicht, sagt der 16-Jährige. Er hat – wie Sarah Sieber auch – eine Mischung aus Präsenzunterricht und Homeschooling. Leistungskurse sowie Deutsch und Mathe würden vor Ort, der Rest Online unterrichtet.

Um bei all den Aufgaben, Video-Konferenzen und vor Ort-Terminen nicht den Überblick zu verlieren, müssen sich die Abiturienten gut organisieren. Anja Simone schreibt sich zum Beispiel Tage- und Wochenpläne. „Mein Plan geht von Montag bis Sonntag und ich komme mit meinem Pensum gut durch, aber nur, weil ich auch das Wochenende nutze, um die Aufgaben zu machen“, sagt die 19-Jährige.

Für Anja Simone ist es manchmal gar nicht so einfach, sich zum Lernen zu motivieren. „Schon im ersten Lockdown hatte ich total die ...
Für Anja Simone ist es manchmal gar nicht so einfach, sich zum Lernen zu motivieren. „Schon im ersten Lockdown hatte ich total die Struktur verloren“, sagt sie. | Bild: Anja Simone

Ob sie sich da nicht wie eine Maschine fühle? „Die Entspannung fehlt schon“, sagt sie. „Man hat keinen Ausgleich mehr, man geht ja nicht mehr mit Freunden weg und kann seine Hobbys kaum noch ausleben.“ Ihr helfe es bei der Vorbereitung auf das Abitur, sich im Internet in Study-Livestreams einzuwählen – „das klingt seltsam, ich weiß. Das sind Livestreams, bei denen man anderen beim Lernen zusieht. Aber das motiviert total.“ Fremde Menschen so fokussiert zu sehen. Zu spüren, wie sie für ein Thema brennen und dass sie sich nicht ablenken lassen, das sporne sie an.

Dass es den Abiturjahrgang 2021 stark erwischt habe, sagt auch Christoph Käfer, Physiklehrer an den St. Ursula Schulen. „Unsere Abiturienten haben es schwer. Der ständige Wechsel zwischen Präsenz- und Onlineunterricht bringt Unruhe rein. Und ist für viele sehr anstrengend“, sagt er.

Auch für die Lehrer eine Herausforderung

Käfer unterrichtet Physik als Leistungs- und Kooperationskurs mit dem Gymnasium am Romäusring und das zu zwei Dritteln in Präsenz und zu einem Drittel Online. Und er merkt: Online-Unterricht ist nicht mit Präsenzunterricht zu vergleichen. Im Digitalen animiere er seine Schüler, oft Frage zu stellen, spüre aber eine große Hemmschwelle. „Ich habe das Gefühl, dass sich manche nicht trauen, in einer Videokonferenz etwas zu sagen.“

Bei 28 Schülern habe er auch nicht immer alle im Blick. Nicht so wie im Klassensaal, wo er sehe, wenn jemand nicht mitkomme. Wenn jemand eigentlich eine Frage hätte. „Das ist für uns Lehrer eine Herausforderung.“

„Wir müssen nur schauen, dass das Zwischenmenschliche nicht zu kurz kommt“, sagt Christoph Käfer.
„Wir müssen nur schauen, dass das Zwischenmenschliche nicht zu kurz kommt“, sagt Christoph Käfer. | Bild: Daniela Biehl

Doch sind die Abiturienten so gut auf die Prüfungen vorbereitet? Christoph Käfer muss nicht lange überlegen, zwischen Frage und Antwort passt kaum ein Moment. „Fachlich sind sie für das Abitur gewappnet“, sagt er. „Wir müssen nur schauen, dass das Zwischenmenschliche nicht zu kurz kommt.“

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So sieht es auch Yvonne Erny, die am Gymnasium am Hoptbühl einen Deutsch-Leistungskurs auf das Abitur vorbereitet. „An manchen Tagen ist Unterrichten ein Kraftakt“, sagt sie, besonders wenn das Kultusministerium die Corona-Beschlüsse verändere und Erny ihren Unterricht komplett umplanen müsse. „Inzwischen sind wir Profis darin geworden.“ Im Umplanen wie im Gestalten digitaler Formate.

„Man merkt, wie unsicher die Schüler sind, dass die Situation sie belastet“, sagt Yvonne Erny.
„Man merkt, wie unsicher die Schüler sind, dass die Situation sie belastet“, sagt Yvonne Erny. | Bild: Yvonne Erny

Mit ihrem Deutsch-Leistungskurs sitzt Erny nach Stundenplan in Video-Konferenzen und schickt sie dort in sogenannte „Breakout Rooms“, wo sie sich in Kleingruppen in literarische Figuren hineinversetzen oder analysiert mit ihnen gemeinsam eine Szene in einem Roman. Ab nächster Woche soll es wieder Präsenzunterricht geben, sagt sie.

Damit das Kleid nicht im Schrank verstaubt

In ihrer Stimme liegt etwas Ruhiges, Besonnenes. Vermutlich ist es dieselbe Tonlage, in der mit ihren Schülern spricht. Ihnen Halt und Orientierung bietet. Denn: Yvonne Erny sagt auch: „Man merkt, wie unsicher die Schüler sind, dass die Situation sie belastet.“ Sie sei deshalb auch über den Unterricht hinaus für ihre Schützlinge ansprechbar. Besonders schön findet Erny, dass die Schüler untereinander gut vernetzt seien und sich gegenseitig Unterrichtsstoff weiterleiten. Trotzdem komme das „Wir-Gefühl“ eines Abiturjahrgangs kaum auf, sagen Anja, Lenny und Sarah.

„Die Studienfahrt, die Mottowoche und vielleicht auch der Abiball, das fehlt. Man weiß ja nicht, mit wem nach der Schule noch Kontakt haben wird“, sagt Sarah Sieber. Nach dem Abitur wird sie – wie Lenny Münzer – ein FSJ an einer Schule machen. Anja Simone will reisen. Trotz Corona. Damit nicht alle Träume zerplatzen. Doch eins wollen alle drei: Ein rauschendes Fest zum Abschluss. Anja Simone denkt an ihr dunkelblaues Kleid, mit dem Tüll und dem Glitzer. Und hat nur noch einen Gedanken: „Es nicht im Schrank verstauben zu lassen.“