Wer den Chirurgen Steffen Baumeister aus Villingen fragt, was ihn zu seinen freiwilligen Einsätzen in Bolivien antreibt, bekommt ein Wort immer wieder zu hören: Vertrauen. Vertrauen, das ihm Eltern entgegenbringen, wenn sie ihre Kinder mit Hand-Fehlbildungen, Gaumenspalten, Tumoren oder schweren Verbrennungen zu ihm bringen, sie ihm anvertrauen. „Es ist diese Ausnahmesituation: Als Fremder in ein Land zu kommen und so intensiv mit den Menschen in Kontakt zu treten.“ Bei manchen Operationen weiß er auch, „dass wenn ich sie nicht mache, wahrscheinlich niemand sie macht.“

Bei seinen Einsätzen in der bolivianischen Stadt Riberalta bekommt Chirurg Steffen Baumeister aus Villingen viele fehlgebildete Hände ...
Bei seinen Einsätzen in der bolivianischen Stadt Riberalta bekommt Chirurg Steffen Baumeister aus Villingen viele fehlgebildete Hände bei Kindern zu sehen. | Bild: Steffen Baumeister

Vom 16. bis 31. März wird der 50-Jährige mit der Organisation Interplast e.V. nach Bolivien aufbrechen. Für den Villinger Arzt mit langjähriger Erfahrung in der Plastischen, Ästhetischen und Handchirurgie ist es nach 2014, 2016 und 2018 der vierte Einsatz in Riberalta. Die Stadt liegt im bolivianischen Teil des Amazonasbeckens nahe der Grenze zu Brasilien und hat nach offiziellen Angaben rund 100.000 Einwohnerinnen und Einwohner.

Was Handchirurg Steffen Baumeister zu seinen Auslandseinsätzen motiviert? Das ihm entgegengebrachte Vertrauen und der Teamgeist der ...
Was Handchirurg Steffen Baumeister zu seinen Auslandseinsätzen motiviert? Das ihm entgegengebrachte Vertrauen und der Teamgeist der Freiwilligen. Seine Praxis am Villinger Klosterring bleibt während seiner Abwesenheit geschlossen. | Bild: Ann-Kathrin Moritz

Eigentlich wollte das neunköpfige Team aus ganz Deutschland schon früher nach Bolivien zurückkehren. Doch erst machten ihnen 2019 die Unruhen im Land einen Strich durch die Rechnung, dann kam Corona. Nun, vier Jahre später, müssten sie sich auf einige Änderungen vorbereiten, so Baumeister: Die Behandlungen finden in einem anderen Krankenhaus statt, viele lokale Helferinnen und Helfer sind nicht mehr da. Auch das deutsche Freiwilligen-Team hat sich stark verändert: Neben Baumeister war nur eine Kollegin bereits vor Ort.

Ob er sich auch wegen der Pandemie Gedanken mache? „Ich bin mal gespannt, ob die Leute dort Corona überhaupt interessieren wird. Sie leben ja täglich mit diesen Virus-Gefahren.“ In dem Gebiet seien Malaria und das Dengue-Fieber weit verbreitet. „Für mich war die größte Gefahr dort eigentlich immer Malaria“, erklärt der Chirurg. Wegen Corona müsse vorab geklärt werden, dass das Team am Zoll keine Probleme bekomme. Ansonsten könne er momentan noch nicht sagen, ob die Pandemie Auswirkungen auf den Einsatz habe.

Blick aus dem Flugzeug über Riberalta im bolivianischen Teil des Amazonasbecken
Blick aus dem Flugzeug über Riberalta im bolivianischen Teil des Amazonasbecken | Bild: Steffen Baumeister

In jedem Fall rechnet Baumeister mit einer deutlich höheren Zahl an Patientinnen und Patienten, „weil es bekannter ist, dass wir kommen.“ Sie sei schon bei den vergangenen Einsätzen stetig gestiegen. Nun rechnet der Villinger mit „bestimmt mehr als 200 Patienten“. Es ist über die Jahre üblich geworden, dass der Einsatz der Deutschen vor Ort überall verkündet wird. „Manche nehmen Zwei-Tages-Reisen auf sich.“

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An den zehn bis zwölf Operationstagen können aber nicht alle behandelt werden – die Ärztinnen und Ärzte müssen auswählen. Das geschieht gleich am ersten Tag, so Baumeister. Eine emotionale Belastung sei die Entscheidung, wen er behandelt, allerdings nicht. „Ich glaube, es stört mich am meisten, wenn man etwas sieht, was man nicht leisten kann, weil uns die Ausstattung fehlt.“

Wohnhäuser in der bolivianischen Stadt Riberalta
Wohnhäuser in der bolivianischen Stadt Riberalta | Bild: Steffen Baumeister

Um für möglichst viele Fälle vorzusorgen, hat sich Baumeister einen „Bettel-Zettel“ zusammengestellt, wie er ihn selbst nennt. Darauf stehen verschiedene Medikamente und Hilfsmittel, die ihm bei vergangenen Einsätzen geholfen oder gefehlt haben. „Da werde ich jetzt noch medizinische Firmen abtelefonieren. Die sollen mir etwas spenden.“ Mit dabei ist ein Blutgerinnungsmittel, das einer seiner jungen Patientinnen in Bolivien das Leben gerettet hat – auch, weil alle Operationen ohne Bluttransfusionen durchgeführt werden müssen.

An zwei Operationstischen werden während des Freiwilligendienstes in Bolivien so viele Eingriffe wie möglich durchgeführt.
An zwei Operationstischen werden während des Freiwilligendienstes in Bolivien so viele Eingriffe wie möglich durchgeführt. | Bild: Steffen Baumeister

Rund 22.000 Euro habe der erste Einsatz im Jahr 2014 insgesamt gekostet. 120 Patientinnen und Patienten konnte das Team laut Baumeister damals helfen. „Dafür können Sie in Deutschland vielleicht fünf Operationen durchführen.“ Das Team arbeitet kostenlos, lediglich die Flüge werden von Interplast übernommen. Daneben stellt der Verein vor allem Material und den notwendigen Versicherungsschutz zur Verfügung, so Baumeister.

Villinger Praxis bleibt zu

Die Praxis am Villinger Klosterring bleibt während des Einsatzes geschlossen, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben Urlaub. „Die freuen sich, dass sie mal eine Pause haben“, sagt der Chirurg lachend. Für Baumeister ist es der erste Einsatz als niedergelassener Arzt – 2018 war er noch am Klinikum Donaueschingen tätig. Um seine Abwesenheit auszugleichen, operiert er momentan auch an Samstagen. Diese Strategie sei bei den vergangenen Einsätzen immer gut aufgegangen. Dieses Mal habe sich durch die Corona-Einschränkungen jedoch zu viel angestaut, um vorab alle Operationen abarbeiten zu können.

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Umso mehr freut sich der Chirurg nach zwei Jahren Pandemie darauf, in Bolivien seiner Arbeit wieder ein Stück weit normaler nachgehen zu können, das betont er immer wieder: „Ich freue mich jetzt mehr darauf – vor allem wegen Corona.“ Die Wochen in Riberalta seien zwar viel anstrengender als sein Alltag in Deutschland. „Aber wer Interplast einmal gemacht hat, möchte das immer wieder.“