Herr Hinterseh, gleiche Mengen Impfstoff für unterschiedlich große Landkreise, wieso ist das so und wer legt das fest?

Das legt das Land Baden-Württemberg fest. Wir bekommen derzeit pro Woche 1170 Dosen Biontech-Impfstoff und diese Woche 2600 Dosen AstraZeneca. Alle Kreisimpfzentren im Land bekommen nach meinem Kenntnisstand gleich viel. Ich habe mir sagen lassen, es sei zu kompliziert, das proportional nach Einwohnerzahl umzurechnen, genau das hätte ich mir aber gewünscht. Übrigens: Der Bund beliefert meines Wissens die Länder im Proporz und damit nach Einwohnerzahlen.

Wo beschweren Sie sich im Namen der Bürger angesichts der Unterversorgung mit Impfstoff, Herr Landrat?

Also: Ich habe zusammen mit den Rathauschefs schon im Januar einen Brief an den Herrn Ministerpräsidenten und die Landesminister Strobl und Lucha geschrieben und gebeten, die Kreisimpfzentren wie bei uns in Schwenningen stärker mit Impfstoff zu beliefern und die größeren Zentralen Impfzentren wie in Offenburg und Freiburg stillzulegen. Wir hätten damit überall eine wohnortnähere Versorgung und wären auch schneller.

Wann wurde der Brief wie beantwortet und von wem?

Wir haben jetzt, am 10. März, die Antwort erhalten. Unser Vorschlag ist abgelehnt, das Schreiben kam von Sozialminister Lucha.

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Ist das für Sie befriedigend?

Nein, natürlich nicht. Das ist unbefriedigend – mit allen Folgen, die wir täglich erleben. Es beschweren sich täglich viele Bürger.

Hat der Landkreis eigentlich überregional politische Durchschlagskraft?

Ich lasse mich jetzt nicht mit so einer Frage provozieren. Sie sehen ja am Beispiel unseres großen Breitbandprojekts im Landkreis, dass wir Durchschlagskraft haben. Wir haben für unseren Glasfaserausbau an jedes Haus viele Millionen in den Landkreis geholt. Für die Digitalisierung hier bei uns. Also ja, wir haben politische Durchschlagskraft.

Wie viel Impfstoff liegt denn aktuell bei uns auf Halde und wird nicht verimpft?

Wir sind bei Biontech gehalten, 20 bis 25 Prozent als Reserve für die Zweitimpfung zurückzuhalten. So verfahren wir auch. Bei AstraZeneca verimpfen wir alles sofort.

Würden Sie gern grundsätzlich alles verimpfen, keine Reserve, nach dem Motto sofort so viel Schutz für Bürger wie möglich?

Wir tun alles für die Bürger, gerade jetzt. Mein Gefühl sagt mir aber, wir müssen Vakzin für die zweite Impfung zurückhalten. Ich bin mir offen gestanden unsicher, wie zuverlässig die Lieferwege sind. Aktuell werden Erstgeimpfte mit Biontech nach 21 Tagen bei uns mit der zweiten Dosis geimpft.

Würden Sie eigentlich gerne die Impfreihenfolge aufbrechen?

Nein, es ist für mich sehr plausibel, dass wir jetzt mit den Hochbetagten angefangen haben. Das ist schon richtig so! Schutz zuerst für die, die besonders gefährdet sind. Glauben Sie mir: Ich persönlich hätte gerne die Bürger angeschrieben und einen konkreten Impftermin angeboten. Dass Senioren hier an digitale Systeme verwiesen werden, das ist schon schwierig.

Weshalb ist es für Bürger so kompliziert organisiert, überhaupt einen Impftermin zu ergattern?

Das Land und die Kassenärztliche Vereinigung stehen hinter dieser Vorgehensweise mit der Rufnummer 116117. Es ist auch aus meiner Sicht unglücklich, dass man bis zu dreißigmal anrufen muss, so berichten mir viele Bürger.

Klappt es denn jetzt aus Ihrer Sicht endlich besser mit der Impfterminvergabe?

Also wir haben jetzt eine Liste vom Land bekommen, auf der stehen 3000 Bürger unseres Landkreises, die unter der 116117 telefonisch angenommen wurden, aber dort nicht weiterbearbeitet werden können. Kapazitätsprobleme, erklärt man uns dazu. Wir helfen nun gerne sehr kurzfristig. Viele Bürger haben nun den erwarteten Anruf aus dem Landratsamt statt von der 116117 bekommen, wann ihr Termin ist. Wir bekommen auch eine Sonderlieferung Impfstoff dafür. Wir arbeiten das ab, wenn es andere nicht hinbekommen.

Es bleibt ja abends in Schwenningen öfters mal etwas an aufgetautem Impfstoff übrig, wie gehen Sie aktuell mit diesen Resten um?

Das ist meist nicht viel. Das fällt überhaupt nur an, wenn ein Termin wegen Krankheit des Bürgers verschoben werden muss. Der Leiter unseres Kreisimpfzentrums entscheidet dann kurzfristig, wer sofort verfügbar ist. Das sind Mitarbeiter von Kliniken, Rettungskräfte. Und ganz aktuell haben wir nun gesagt, wenn wir abends etwas übrig haben, versuchen wir diese uns zugefallene oben genannte Liste auf diese Weise etwas abzuarbeiten.

Hat Sie abends noch kein Anruf aus Schwenningen ereilt: Hallo Chef, wir haben da was übrig?

Nein, das machen wir so nicht. Ich warte bis ich an der Reihe bin.

Wann ist unser Landkreis mit den 212.000 Bürgern denn durchgeimpft?

Die Bundeskanzlerin hat gesagt, dass das Ende September der Fall sein wird. Derzeit werden aber ganz unterschiedliche Zahlen kommuniziert. Der Vizekanzler, Olaf Scholz, sprach zuletzt von 10 Millionen Impfungen pro Woche. Dann wären wir früher durch. Hätten wir ausreichend Impfstoff zur Verfügung, könnten wir alle mit einer Erstimpfung in die Sommerferien fahren.

Ehrlich? Wie soll das gehen?

Also wir haben jetzt über 11.000 Impfungen durchgeführt. Unser Kreisimpfzentrum kann 1000 Menschen am Tag impfen, eventuell sogar mehr. Bei 30 Tagen schaffen wir im Monat also 30.000 Personen. Wir brauchen hierfür aber genügend Impfstoff.

Kann das bis Sommer wirklich funktionieren – alle Bürger geimpft?

Mit ausreichend Impfstoff könnte das ab April zusammen mit den niedergelassenen Ärzten klappen. Aber wie gesagt, nur wenn genügend Impfstoff zur Verfügung steht.

Also haben Sie schon Sommerurlaub für Ihre Familie gebucht, wenn Sie das so sehen?

Wir haben ein Wohnmobil reserviert. Wir hoffen, nach Korsika fahren zu können. Ob das klappt, ist natürlich offen. Sonst fahren wir hier irgendwo hin, wo es die Lage zulässt.

Ihr Optimismus in Ehren, aber sind denn aktuell alle Bewohner der Pflegeheime im Landkreis erstgeimpft?

Die Pflegeheime ja. Die Zweitimpfungen sind durchgeführt bzw. terminiert. Nächste Woche wollen wir mit den Wohngemeinschaften und Tagespflegetreffpunkten größtenteils mit den Erstimpfungen durch sein. Dann kommen die Behinderteneinrichtungen. Vor Ostern wollen wir das erledigt haben.

Es gibt Gerüchte, wonach das Gesundheitsamt des Landkreises noch nicht mit der digitalen Software des Bundes arbeitet, mit der sich diese Behörden schneller und besser miteinander vernetzen können?

Das ist falsch. Sie meinen die Software Sormas. Wir arbeiten damit seit Juni 2020.

Es wird aktuell viel über die Luca-App des Rappers Smudo diskutiert. Gute Idee und wollen Sie das bei uns haben?

Gute Idee, ganz klar. Damit soll es ja vor allem möglich sein, dass eine schnelle und lückenlose Kontaktrückverfolgung im Austausch mit den Gesundheitsämtern möglich ist. Durch die App ist es möglich, dass eine Kontakthistorie automatisch erstellt wird, was natürlich für den Handel und die Gastronomie enorm hilfreich wäre. Also ja, her damit, wenn das funktioniert. Aktuell stimmen sich die Gesundheitsämter im Land mit der Regierung ab. Wir wollen das gemeinsam starten, zeitnah.

Noch ein grundsätzlicher Blick auf die Lage bitte: Wieso haben wir aktuell so niedrige Inzidenzzahlen?

Ich will die dritte Welle nicht herbeireden, aber die Fachleute warnen uns ja davor, dass die Lockerungen jetzt einen Anstieg der Zahlen bewirken können. Mit entscheidend wird aus meiner Sicht sein, ob wir die Kontrolle mit Hilfe der Schnelltests behalten können. Wenn wir es schaffen würden, bis Ostern die Zahlen auf einem gewissen Niveau (unter 100) halten zu können, wäre das ein großer Schritt, die Pandemie eindämmen zu können.

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