Fußball-Bezirksliga: – Nico Reichardt lag minutenlang am Boden, nachdem Schiedsrichter Gaspare Lombardo dem persönlichen Leid des Torjägers mit dem erlösenden Schlusspfiff ein Ende gesetzt hatte: „So etwas habe ich noch nie erlebt“, schüttelte der 25-Jährige immer wieder den Kopf und atmete angesichts des 3:2-Sieges beim FC Erzingen tief durch: „Nur gut, dass das heute gut gegangen ist.“
Es hätte in der Tat ins Auge gehen können. Was die Offensive des FC Schlüchttal spätestens nach dem reichlich überflüssigen Frustfoul (65.) von Burhan Bublica, das ihm Gelb-Rot einbrachte, vor dem Kasten von Mirco Nannavecchia veranstaltete, spottete phasenweise jeder Beschreibung.
Auf unserem Video ist nur eine kleine Auswahl der besten Chancen von Nico Reichardt, Timon Baumgärtner, Michael Selb und Marvin Kalt zu sehen. „Wir hatten Glück, dass es nicht zweistellig wurde“, waren die Gastgeber fassungslos nach diesem Feuerwerk der Fehlschüsse, dessen Krönung Reichardts Schuss aus 40 Metern auf die Latte des leeren Tores war.
Über die Trainingsgestaltung der kommenden Woche vor dem Spiel gegen den SV Herten muss sich Trainer Michael Gallmann derweil keine großen Gedanken machen – Torschuss-Training dürfte angesagt sein.
„Was wir da abgeliefert haben, hat mich Jahre meines Lebens gekostet“, nahm es der 40-Jährige am Ende mit Humor – es war ja nochmal gut gegangen: „Wir sind überglücklich mit zehn Punkten nach vier Spielen“, so Gallmann, der von einem Traumstart sprach: „Auch wenn wir in der letzten halben Stunde fast wahnsinnig geworden sind.“

Fußball-Bezirksliga in Zahlen
Dass es gut gegangenen war, daran hatte aber auch Nico Reichardt einen erheblichen Anteil. Schon nach zwei Minuten brachte er den FC Schlüchttal in Führung. Einen langen Ball von Pedro Albicker nahm er unbedrängt mit, ließ die Abwehr ins Leere laufen und vollendete lässig aus 18 Metern.
Nahezu eine Kopie war Reichardts Treffer zum 0:2. Wieder flog ein langer Ball über die entblößte Erzinger Abwehr in den Lauf des Torjägers. Der sorgte mit seinem zweiten Treffer an diesem Abend für blankes Entsetzen auf Erzinger Seite: „Wir haben ein großes Problem in der Defensive“, konstatierte Torjäger Davide Di Lionardo und Trainer Sandro Marchi betont, dass er im zur Verfügung stehenden Kader keine schnelle Lösung findet: „Zu wenig Leute, zu viele Ausfälle und einige Spieler sind in dieser Liga leider auch überfordert – da fehlt die Qualität.“
Spätestens nach dem zweiten Treffer schien sich für den Gastgeber ein Desaster anzubahnen, denn zuvor hatte Torwart Mirco Nannavecchia in höchster Not außerhalb des Strafraums per Kopf gegen Reichardt klären müssen und Felix Uhl einen Kopfball von Marvin Kalt.
Zudem hatte Berkay Ünal großes Glück, dass Gaspare Lombardo sein Foul (16.) an der Mittellinie gegen Marvin Kalt nicht als „Notbremse“ wertete und nur Gelb zog.

Weitere Gegentreffer lagen einfach in der Luft, denn zweimal übersah Reichardt seine besser postierten Mitspieler, schoss lieber selbst: „Einmal habe ich zu spät gesehen, dass Timon frei stand. Aber wenn du zwei gemacht hast, denkst du, dass es das dritte Mal auch klappt“, klopfte sich der Stürmer selbst an die Brust: „Da muss ich besser werden.“

Weshalb so viel Eigensinn gefährlich sein kann, zeigte sich nur wenige Sekunden später. Warum auch immer, zog plötzlich ein Schlendrian beim FC Schlüchttal ein.
Prompt nahm Sandro D‘Accurso einen langen Ball clever mit und während Yannik Kalt noch verzweifelt und vergeblich ein „Handspiel“ reklamierte und Nico Ködel einen Schritt zu spät kam, traf der Erzinger Stürmer zum Anschlusstreffer.
Und als wäre das nicht genug gewesen, legte Davide Di Lionardo fünf Minuten später sein sechstes Saisontor nach. Er zog trocken aus 22 Metern ab, erwischte den schlecht postierten Simon Hepp nicht nur auf dem falschen Fuß, denn er platzierte den Schuss frech und flach ins lange Eck. Plötzlich stand es 2:2 und der FC Erzingen schien wieder zurück in der Verlosung.
Das Aufbäumen gegen die Niederlage entpuppte sich allerdings als Strohfeuer. Der FC Schlüchttal schüttelte sich kurz, übernahm wieder Initiative. Zunächst reklamierten sie vergeblich ein schwer zu erkennendes Handspiel von Felix Uhl nach einem Freistoß.

Nico Ködel „tunnelt“ sich selbst
Danach aber zeigten sie den Gastgebern, wie man mit einfachen Mitteln zum Erfolg kommt. Nico Reichardt ließ sich Zeit für einen Eckball, wartete bis Nico Ködel sich im Torraum vor Alfredo Di Feo postiert hatte. Und dann wurde es fast dreist: Reichardts Ecke sprang direkt vor dem Ex-Erzinger Ködel auf.

Doch statt zu versuchen, die Kugel mit dem Fuß ins Netz zu lenken, machte er einfach die Beine breit, ließ sich quasi „tunneln“. So schnippte der Aufsetzer am überraschten Di Feo vorbei, direkt auf die Brust von Marvin Kalt. Der konnte sich so dem Tor zum 3:2 fast nicht entziehen.
Ein Tor, das Nico Reichardt nicht überraschte: „Wir sind reifer geworden. Natürlich haben wir Respekt vor dem FC Erzingen und allen anderen Gegnern. Aber dass wir hier so auftreten, haben wir uns alle erarbeitet“, deutete er an, dass der FC Schlüchttal 2023 nicht mehr mit dem FC Schlüchttal von vor zwei Jahren vergleichbar sei – auch wenn nahezu die gleiche Elf beim FC Erzingen aufgelaufen ist.

Extrem schludrig im Abschluss
Jetzt agierte der FC Schlüchttal fast wie im Training, zelebrierte Doppelpässe vor dem gegnerischen Strafraum, schluderte aber im Abschluss. Eine Unterlassungssünde, die dem Trainer an die Nerven ging und den FC Erzingen zumindest im Glauben ließ, dass doch noch etwas drin sein könnte. Die alte Fußball-Weisheit, dass „der eins kassiert, der sie vorn nicht versenkt“, schwebte bis zum Schlusspfiff über dem Kunstrasenplatz.
Und tatsächlich fiel der dritte Treffer für die Hausherren. Sandro D‘Accurso zog am Strafraum ab, von Nico Ködels Hacke prallte der Ball zum frei stehenden Abdul Ehad Demirdal. Der überwand Simon Hepp zum vermeintlichen Ausgleich (61.), wurde aber im Jubel von Gaspare Lombardo gestoppt. Der Unparteiische hatte den Torschützen im Abseits gesehen. Angesichts seines suboptimalen Standorts, eine zwar nachvollziehbare aber wohl eher falsche Entscheidung, was auch Simon Hepp so sah: „Da haben wir jetzt richtig Glück gehabt.“
Gelb-Rot für Bublica zieht den Stecker
Kurz danach stieß Burhan Bublica seinen Gegenspieler um, kassierte Gelb-Rot und dezimierte seine Elf auch noch: „Das ist ein Unding. Wir bekommen den Freistoß und kassieren den Platzverweis“, haderte Sandro Marchi mit seinem Spieler: „Wir machen keine Fortschritte, den Jungs fehlt der Glaube an die eigenen Stärken. Es ist wichtig, dass wir jetzt so langsam den Kampfgeist entfachen können.“
Ins selbe Horn blies Davide Di Lionardo: „Da triffst du sechs Mal ins Tor, hast aber erst drei Punkte auf dem Konto“, bat der Stürmer weiter um Geduld, mahnte aber: „Die Zeit läuft uns zwar noch nicht davon – aber sie läuft.“
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