Fußball-Bezirksliga: – Kurz vor Spielende soll Sportchef Daniel Ramirez überlegt haben, ob er zum Handy greifen und bei seiner Firma in Lottstetten einen Dreiachser zum Seestadion bestellen soll. Es war nämlich nicht nur ein Stein, der ihm und dem zur neuen Saison verpflichteten Trainer Jasmin Muric vom Herzen gefallen war: „Das waren schon einige Tonnen“, atmete der Coach des SV Jestetten nach dem ersehnten ersten Saisonsieg tief durch.
Dabei war es nichts für schwache Nerven, was der SV Jestetten beim so kuriosen wie furiosen 7:5-Sieg gegen den SV Herten seinen Fans und den Offiziellen geboten hat: „Wenn man sieht, welche Gegentore wir kassieren und wie schwer wir uns tun, ist das schon sehr nervenaufreibend.“
Fußball-Bezirksliga in Zahlen
Zwölf Mal musste Schiedsrichter Leonardo Vallone seine Notizkarte zücken, um einen Torerfolg festzuhalten. Je sechs Treffer pro Halbzeit erforderten viel Tinte und viel Aufmerksamkeit. Und dass der Sieg in trockenen Tüchern sein würde, wollten die Jestetter, deren letzter Sieg vom 27. April mit 3:2 gegen den FC Wittlingen datierte, selbst in der Nachspielzeit noch nicht glauben.
Und das hatte Gründe: Zu fragil agierte die Abwehr über die gesamte Spielzeit. Jasmin Muric monierte die Unaufmerksamkeiten bei den Gegentreffern nicht ohne Grund.

Schon nach sechs Minuten lag die Kugel zum ersten Mal im Netz, als Marc Russ beim Rettungsversuch ins eigene Tor getroffen hatte: „Ich bin sowas von froh, dass die Sache heute ein glückliches Ende genommen hat“, freute sich das Abwehrspieler, der allerdings im Verlauf des Spiels seinen Patzer mehrfach gutmachte.
Mit einem frechen Lupfer – nach blitzsauberem Diagonalpass von Ciro Di Feo – ins lange Eck hatte Julian Jäger dann zügig den zweiten Treffer des SV Herten nachgelegt. Es schien das Signal zum Kantersieg zu sein, denn bis dahin hatte der SV Jestetten in der Offensive so gut wie keine Akzente setzen können. Es bahnte sich deutlich die sechste Pleite im sechsten Spiel an.
Jäger verwandelt Ecke direkt
Und das änderte sich auch nicht mit dem Anschlusstreffer von Marco Lohr, der nach sauberer Vorarbeit von Pawel Schuhawzow auf 1:2 verkürzte.

Denn nur wenige Minuten danach zeigte Jäger zum wiederholten Mal, dass man ihn idealerweise auch beim Eckball „decken“ sollte. Mit feinem Effet schlenzte er den Ball ins lange Eck, Robin Merkt streckte sich vergeblich.
Dann aber passierte etwas, was Bülent Güzel, der ohnehin nicht mit viel Personal angereist war, fast zur Weißglut brachte: „Ich weiß nicht, weshalb – aber plötzlich haben wir aufgehört Fußball zu spielen.“ Der Trainer des SV Herten musste machtlos mit ansehen, wie seine Elf mehr und mehr den Faden verlor: „Wir brauchen nicht lang diskutieren. Der SV Jestetten hat die Punkte nicht gestohlen, sondern verdient gewonnen“, gratulierte Güzel zerknirscht.
Bestraft wurde diese Spielweise zügig. Den Distanzschuss von Marco Lohr lenkte Julian Häusel gerade noch über den Balken. Gegen den Jestetter Doppelschlag war er aber machtlos.
Zunächst verkürzte Luca Azzato nach Lohr-Zuspiel aus gut 22 Metern mit einem fiesen Aufsetzer auf 2:3. Zwei Minuten später fasste sich Kapitän Martin Rangnau aus über 30 Metern ein Herz und versenkte den Ball zum 3:3 im Hertener Kasten.
Die Aufholjagd sollte eigentlich nach dem Seitenwechsel weiter gehen, aber nicht mit dem SV Herten, der sich in der Pause einiges anhören musste: „Wir wurden immer unruhiger. Das galt es abzustellen“, so Julian Jäger. Er selbst leitete die erneute Führung ein, als er einen Freistoß aus 25 Metern an die Latte platzierte. Beim Abpraller nutzte Arianit Tasholli das Durcheinander zum Abstauber.
Die Freude währte nur drei Minuten, denn auf der Gegenseite bekamen auch die Jestetter eine Freistoßchance. Marco Lohr sah Pascale Moog, seinen Fahrensmann aus vielen Fußballjahren, hinter die Hertener Abwehr laufen und servierte ihm einen Ball, den der 38-jährige Routinier zu einem traumhaften Treffer verarbeitete.
Nun stand es 4:4 und es sollte gerade so weiter gehen. Marco Lohr schüttelte Yannik Böhler im Strafraum ab, scheiterte an Julian Häusel, doch den Abpraller schob Ivica Simonovski zum 5:4 ins Tor.
Strafstoß nach Foul an Moog
Nun führten die Jestetter erstmals, bekamen Oberwasser. Wieder schlich sich Pascale Moog bei einem Freistoß in den Strafraum. An den Ball kam er nicht, weil ihn Alex Contorno mit einem Griff an die Brust zu Fall brachte. Für Leonardo Vallone eine klare Sache. Den Elfmeter verwandelte Luca Azzato sicher zum 6:4.
Ruhe kehrte danach auf beiden Seiten nicht ein. Immer wieder gab es Chancen hüben wie drüben. Eine gute Möglichkeit zum vielleicht entscheidenden Tor vergab Julien Meister in der 67. Minute. Eine Zeigerumdrehung später wurde Marco Lohr von Luca Azzato freigespielt. Angenommen mit links, kurz gedreht und mit rechts verwandelt. 7:4 – und der Deckel schien drauf.
Weit gefehlt, denn auch drei Tore Vorsprung verliehen der Jestetter Defensive noch keine Sicherheit. Der Lattenkracher von Sascha Strazzeri holte die Gastgeber auf den Boden der Tatsachen zurück. 20 Minuten waren jetzt noch zu spielen und von Souveränität konnte keine Rede sein.
Martin Rangnau wollte ein Zuspiel von Julien Meister sicherheitshalber zu Schlussmann Robin Merkt verlängern. Dabei hatte er jedoch Sascha Strazzeri aus den Augen verloren. Der Hertener Stürmer erlief sich den Ball, bediente Julian Jäger, der mit seinem dritten Treffer an diesem Nachmittag auf 5:7 verkürzte.

Di Feo mit drittem Lattentreffer
Und noch immer war eine Viertelstunde auf der Uhr. Die wollte und wollte nicht schneller laufen. Vor allem nach der nächsten Schrecksekunde, als der Jestetter Querbalken ein drittes Mal schepperte. Dieses Mal hatte Massimiliano Di Feo abgezogen und für ernsthafte Sorgenfalten beim Jestetter Anhang gesorgt.
Der wurde von der Mannschaft – schließlich flog Ivica Simonovski völlig frei vor dem Kasten an einer Flanke (84.) von Luca Azzato am Ball vorbei – und auch von Leonardo Vallone auf die Folter gespannt. Denn satte acht Nachspielminuten gewährte der Unparteiische dieser verrückten Partie, die dann für die Hausherren ein glückliches und umjubeltes Ende fand.
Ein Ende dürfte auch das Intermezzo von Pascale Moog gefunden haben. Der 38-Jährige betonte im Gespräch mit dem SÜDKURIER, dass nach drei Einsätzen jetzt erstmal Schluss sei: „Ich hatte versprochen, zu helfen, wenn sie mich brauchen. Dass es so schnell geht, hätte ich nicht gedacht. Aber jetzt schalte ich erstmal das Handy aus“, lachte er nach dem ersten Saisonsieg, an dem er großen Anteil hatte.
Beim SV Herten deutete Bülent Güzel indessen Gesprächsbedarf an: „So kann man nicht auftreten. Mir fehlen die Worte. Dass uns in Jens Murawski, Marco Romano, Ivan Atlija, Massimo De Franco und Giuseppe Imbrogiano fünf Stützen fehlen , ist keine Erklärung.“ Fassungslos war auch Julian Jäger: „Drei Tore, drei Assists und doch verloren“, schüttelte der 33-Jährige den Kopf: „Ich fürchte, dass wir uns diese Woche einiges anhören müssen.“
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