Fußball: Heiner Gleisberg ist das komplette Gegenteil einer grauen Maus. Heiner Gleisberg fällt auf. Wenn der Senior mit der langen Mähne und dem Bart in seinem roten Sportwagen mit offenem Verdeck auf den Fußballplätzen am nördlichen Bodensee vorfährt und aus dem Auto laute Musik dröhnt, wissen die meisten, wer da kommt.

Ein Rentner im Unruhestand

Heiner Gleisberg. Der Schiedsrichter. Der Rockbassist. Der Kunstglaser. Die Legende, wie manch ein Spieler sagt. Ein Rentner im Unruhestand, der am Samstag den 80. Geburtstag feiert. Ein bunter Hund, der gar nicht so gerne im Mittelpunkt steht, wie er selbst sagt. Nur, was soll er machen? Für vieles, was er gerne tut, braucht es eben eine Bühne.

Heiner Gleisbergs Zuhause in Heiligenberg ist eine Mischung aus Alpenhütte, Werkstatt und Musikbühne. Viel Holz und buntes Glas. Ein Tonstudio im Keller, etwa 1300 CDs und Schallplatten stehen in den Regalen – und an den Wänden hängen jede Menge Instrumente. Genauer: drei E-Bässe, 13 Gitarren und ein Banjo, wie er erklärt.

Kann nicht nur mit der Pfeife umgehen – Schiedsrichter Gleisberg widmet sich auch der Musik und spielt Bass.
Kann nicht nur mit der Pfeife umgehen – Schiedsrichter Gleisberg widmet sich auch der Musik und spielt Bass. | Bild: BSA

Schon als Jugendlicher spielt er in seiner Heimat im Rheinland Bass. In der Bluesrockband „Free Group“ oder beim Kölner Treff mit Alfred Biolek mit den „Schampus All Stars“. Gleisberg erzählt lachend: „Einmal waren wir die Vorgruppe von The Who, ein anderes Mal hat der junge und noch unbekannte Marius Müller-Westernhagen als Vorband bei uns gespielt.“

Bill Wyman der lokalen Fußballszene

Gleisberg selbst hört fast alle Genres gerne – Ausnahme: Deutscher Schlager. „Von Reinhard Mey bis Eric Clapton, von Hard Rock über Jazz bis Dixieland, und natürlich die Rolling Stones“, sagt der Hobby-Schiedsrichter.

Als Mick Jagger der lokalen Fußballszene will Gleisberg sich aber nicht bezeichnen lassen. „Wenn, dann wäre ich Bill Wyman, der Bassist der Stones“, korrigiert er den Musikbanausen. Aber Rock ohne Rampenlicht. Geht das überhaupt? „Ach, wir Bassisten sind eher im Hintergrund, ohne uns geht es aber auch nicht. Ohne Bass hört sich die Musik nicht mehr so doll an“, sagt Gleisberg.

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Ganz ähnlich verhält es sich auch mit seiner zweiten großen Leidenschaft: dem Ehrenamt als Fußball-Schiedsrichter. „Lampenfieber habe ich auf der Bühne nur, bis ich den ersten Ton spiele, dann ist es weg“, sagt Heiner Gleisberg. „Auf dem Sportplatz ist es beim ersten Pfiff genauso. Danach mache ich einfach meinen Job. Ein guter Schiedsrichter fällt nicht auf“, fügt er hinzu – zumindest nicht auf dem Platz.

Erkennungsmerkmal Sportwagen

Mit der Anreise verhält es sich freilich anders. „Ich fahre halt gerne Sportwagen, mein aktueller hat 184 PS“, sagt Gleisberg über sein Alleinstellungsmerkmal: den roten Flitzer, mit dem er fast immer oben ohne seine Runden dreht. „Ich bin schon bei minus 16 Grad im T-Shirt gefahren, Kälte macht mir nix aus. Das Verdeck ist immer offen, auch bei Nieselregen oder wenn es schneit“, sagt er.

„Nur, wenn es richtig schüttet, bei Gewitter oder Hagel mache ich es schweren Herzens zu – oder wie vor kurzem nach meiner Grauen-Star-OP“, ergänzt Gleisberg und lacht wieder. Überhaupt scheint der Seit-heute-80-Jährige sich selbst nicht zu ernst zu nehmen. Erst recht nicht, wenn er von seinen zahlreichen Episoden auf den Fußballplätzen erzählt, zu denen er erst über Umwege gekommen ist.

Liebe für den Bodensee

Als der Kunstglaser mit seiner Frau Inge 1977 nach Heiligenberg zieht, verliebt Gleisberg sich sofort in die Bodenseeregion. „Hier ist eine der schönsten Gegenden in Deutschland“, sagt er, „in Westfalen war alles so flach. Da sagt man, dass man schon am Freitag sehen kann, wer am Sonntag zum Kaffee kommt.“ In Südbaden findet Gleisberg im Fußball ein neues Hobby.

„In Heiligenberg habe ich bei den alten Herren und in der zweiten Mannschaft gespielt, als sie einen Schiedsrichter suchten. Nachdem ich 1981 mein erstes Spiel gepfiffen hatte, dachte ich: Hättest du das bloß nicht gemacht! Damals habe ich deutlich weniger Beifall als bei der Musik bekommen.“

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Und doch bleibt der frühere Leichtathlet am Ball und leitet – inzwischen ist er für den SV Deggenhausertal aktiv – Spiele bis zur Bezirksliga. „Den Sport mit jüngeren Leuten auszuüben, macht Spaß und hält mich selbst auch jung“, sagt Heiner Gleisberg, „auch wenn ich ab und zu Sprüche zu hören bekomme. Einer hat mal gesagt: Irgendwann pfeifst du mit dem Rollator.“ Auch das nimmt er mit Humor.

Altersbedingt leitet Gleisberg inzwischen bei den Männern noch Partien bis zur Kreisliga C sowie Spiele bei den Frauen und der Jugend. Probleme mit den Eltern der Nachwuchsspieler kennt Gleisberg übrigens nicht. „Die meisten Väter und Mütter habe ich ja schon gepfiffen, als sie selbst in der Jugend gespielt haben.“

Mehr als 2000 Spiele gepfiffen

Zwei von mehr als 2000 Spielen musste er in 44 Schiedsrichter-Jahren abbrechen. „Das ist nicht viel“, sagt Gleisberg. „Einmal ging mir ein Spieler an die Gurgel. Die Verantwortlichen des Vereins haben mich danach bis ans Auto begleitet und ich habe mich dann dafür eingesetzt, dass es die geringstmögliche Strafe gab“, sagt er.

Ein anderes Mal habe ein Spieler ihm den Ball in den Unterleib geworfen. Angst habe er aber nie gehabt auf den Sportplätzen. „Wenn du Angst hast, darfst du nicht pfeifen“, weiß der Heiligenberger, der im Februar vor einem Jahr sein bisher letztes Spiel geleitet hat. Danach begann Gleisbergs „schrecklichstes Jahr“, wie er 2024 im Rückblick bezeichnet – nicht nur, weil seine Frau nach 56 Jahren Ehe und langer Krankheit im Juli stirbt.

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Fünf Monate zuvor kommt Heiner Gleisberg ins Überlinger Heliosspital, nachdem er stürzt und danach sein Bein immer dicker wird. „Es war wohl eine Ader geplatzt, Blut lief ins Bein und ich hatte ein Aneurysma“, erzählt Gleisberg, der im Krankenhaus ins Koma fällt und später im Jahr erneut operiert werden muss. „Dass Sie Sport machen, hat Ihnen wahrscheinlich das Leben gerettet, sagte der Arzt. Ich war topfit“, erinnert der rüstige Rentner sich.

Überhaupt sei Gleisberg bereits öfter „dem Tod von der Schippe gesprungen. Als Säugling haben sie mich meiner Mutter mitgegeben mit den Worten: Nehmen Sie ihn mit, der stirbt eh bald. Der Arzt ist längst tot, ich lebe immer noch“, erzählt er. „Dann lag ich bei einem Autounfall unter einem Lkw, als dessen Reifen knapp an meinem Kopf vorbeizischten. Ich bin nur mit Prellungen davongekommen. Ich habe dreimal überlebt, hatte viel Glück und im Großen und Ganzen ein schönes Leben.“

Training für das Fußball-Leben

Ein Leben, das ohne den Fußball unvorstellbar ist. „Früher war ich ein schüchterner Mensch, durch die Musik und die Schiedsrichterei bin ich aber locker geworden“, sagt Heiner Gleisberg, der im Alltag einen Sprachfehler hat. „Auf dem Sportplatz merkt man das aber gar nicht. Da bin ich entspannt.“ Erleichtert ist er auch, dass ein mögliches Comeback an der Pfeife winkt. Kürzlich hat er bei einer Nachuntersuchung Grünes Licht bekommen für die Rückkehr in den Fußball. „Ich möchte so schnell wie möglich fit werden, gehe zweimal in der Woche zum Physiotherapeuten, trainiere auf dem Fahrrad-Ergometer und will bald wieder joggen“, sagt der bunte Hund der lokalen Fußballszene, der weiterpfeifen will, solange die Gesundheit es noch zulässt.

Seinen runden Geburtstag feiert Heiner Gleisberg bei seiner Tochter in Rheine in Westfalen. Dabei wird es auch ein Wiedersehen mit den Musikern von früher geben. Groß anmelden musste er sich auch dort nicht. Familie und Freunde auf dem flachen Land wussten eh schon zwei Tage zuvor, dass er kommen würde.