Über viele Jahre hinweg war das Spielsystem das entscheidende Merkmal einer Fußball-Mannschaft, wenn es um die Taktik ging. Stundenlang wurden Laufwege, Abläufe und Passstafetten einstudiert, die das jeweilige System perfektionieren sollten.
Viele aktuelle Berichte in den Medien erwecken nach wie vor den Anschein, dass die Taktik auch heutzutage noch hauptsächlich durch das gewählte System bestimmt wird. Aber aufgepasst: Der Fußball, vor allem aber seine Strukturen haben sich sehr verändert!
Die Bedeutung des Systems könnte beispielsweise mit dem Bild eines Eisberges verglichen werden. In dieser Symbolik stellt das System lediglich die sichtbare Spitze dar. Die wesentlichen Elemente der Taktik verbergen sich jedoch unterhalb der Oberfläche. Aber warum genau ist das so?
Zunehmende Gegneranalysen
Blicken wir zunächst einmal darauf, was sich hinter dem Begriff System eigentlich verbirgt. Genau genommen müsste man in diesem Zusammenhang vom Begriff der Grundordnung sprechen. Diese beschreibt die ungefähre schematische Anordnung der Spieler auf dem Feld. Also beispielsweise ein Spieler im Tor, jeweils vier in der Abwehr und im Mittelfeld sowie zwei im Sturm – ein 4-4-2.
Wie sich die Spieler ausgehend von dieser Ordnung auf dem Rasen bewegen, beschreibt dann das Spielsystem. Einfach gesagt: setzt man Magnete auf eine Taktiktafel, spricht man von der Grundordnung, malt man Pass- und Laufwege hinzu, beschreibt man das Spielsystem.
Flexibilität ist gefragt
Nun ist es so, dass sich in den vergangenen Jahren alle Clubs aus dem Profi- und zunehmend auch aus dem Amateurfußball im Bereich der Spielanalyse weitgehend professionalisiert haben. Mehrere Trainer und Staffmitglieder sind normalerweise dafür verantwortlich, wichtige Erkenntnisse über den kommenden Gegner herauszufinden. Das bedeutet: Jede Fußballmannschaft bereitet sich inzwischen mit Hilfe von Video- und Datenanalyse individuell auf das gegnerische Team vor.
Diese beidseitig individuelle Vorbereitung bedeutet aber auch, dass es für Fußballtrainer immer schwerer wird, vorherzusehen, wie die andere Mannschaft agieren könnte. Dies erfordert also von den Beteiligten ein äußerst hohes Maß an Flexibilität. Würde man im Systemgedanken bleiben, müsste ein Trainer mit seinen Spielern also unzählige Systeme einstudieren, um auch adäquat auf den Gegner reagieren zu können.
Kreativität darf nicht leiden
Dies ist aber nur schwer umsetzbar. Zudem besteht die Gefahr, dass Spieler mehr zu Robotern als zu kreativen Fußballern werden. Daher braucht es übergeordnete taktische Verhaltensweisen, sodass die Spieler auch in der Lage sind, flexibel auf das gegnerische Agieren reagieren zu können. Und aus diesem Grund liegt der Fokus auch im taktischen Verhalten inzwischen auf sogenannten Spielprinzipien, die systemunabhängig gelten und den Spielern im Rahmen von Leitplanken Orientierung für eigene Entscheidungen geben. Sie beschreiben also den Teil des Eisbergs, der unterhalb der Wasseroberfläche liegt.
Fazit: Systeme haben an Bedeutung verloren. Dennoch sind sie natürlich weiterhin ein Tool im Werkzeugkoffer eines Trainers, um in Kombination mit Spielprinzipien die Stärken der eigenen Spieler gezielt einsetzen oder auf den Gegner reagieren zu können. Das System allein gewinnt oder verliert jedoch kein Spiel.