Wenn bei einem das Leben bisher in geordneten Bahnen verlaufen ist und er dann plötzlich auf der Straße landet, ist es meist nicht gut um ihn bestellt. Anders bei Richard Ringer. Beim Ausdauerläufer vom Bodensee läuft es gerade bestens. Den Wechsel von der Tartanbahn auf Asphalt hat der Langstreckenspezialist nicht bereut.
Im Gegenteil: Seine starke Leistung beim Marathon in Italien am Wochenende hat Ringer bundesweite Aufmerksamkeit, eine Rekordmarke und die Teilnahme an den Olympischen Spielen in Japan beschert. Nicht schlecht für einen, der zwar auf der 5000- und 10 000-Meter-Bahn internationale Meriten aufweisen kann, als Marathonläufer im Asphalt-Dschungel aber erst zum zweiten Mal auf die Jagd nach Bestleistungen gegangen ist.
Auf der 42,195-Kilometer-Strecke, ein Kurs auf einem stillgelegten Flughafen, schienen dem 32-Jährigen buchstäblich Flügel gewachsen zu sein. Mit der Zeit von 2:08:49 Stunden, über zwei Minuten unter seiner bisherigen Bestzeit, landete der Unteruhldinger in der nationalen Bestenliste als viertbester deutscher Marathonläufer der Geschichte und darf sich nun auf weitere Langstrecken freuen – erst im Flugzeug nach Japan und dann auf dem olympischen Marathonkurs.
Der EM-Dritte über 5000 Meter von 2016 schaffte es im Weltklassefeld in Italien als einziger Nicht-Afrikaner mit Platz 17 unter die Top 20. Damit schob er sich in der Rangfolge des Deutschen Leichtathletik-Verbandes für die begehrten drei Olympia-Startplätze hinter Amanal Petros (2:07:18) auf den zweiten Platz.
Er bleibt auf dem Boden
„Es war von mir ein echt ein besonders guter Wettkampf“, freut sich Ringer über seinen Höhenflug. Nüchtern und sachlich. Luftsprünge vor Glück sind nicht sein Ding – auch nicht wegen des bevorstehenden Starts bei den Sommerspielen.
Er bleibt lieber auf dem Boden: „Olympia 2021 wird anders. Das Flair, die Atmosphäre, die Gemeinschaft – all das wird in Japan fehlen. Zumal der Marathonlauf 1000 Kilometer entfernt von Tokio in Sapporo stattfindet“, sagt Ringer.
2016 in Rio durfte er das erleben, was für wohl jeden ambitionierten Leistungssportler den Karriere-Höhepunkt darstellt – trotz seines Ausscheidens im 5000-Meter-Vorlauf. Und jetzt? „Das Kribbeln, die Aufregung und Anspannung wie in Brasilien werde ich sicherlich vermissen“, glaubt Ringer.
Wie schon in Siena werden zudem auch in Japan die Zuschauer an der Strecke fehlen, die gerade bei Marathonläufen oftmals das Letzte aus den Sportlern herauskitzeln.
Stolz auf das Nationaltrikot
So stuft der Dauerläufer vom Bodensee seinen bevorstehenden Marathonlauf bei den Weltspielen als „hochklassigen Wettbewerb“ ein. Nicht mehr, nicht weniger. Allerdings – um bei aller gedämpften Euphorie den positiven Aspekten gerecht zu werden – wird auch der Druck fehlen, der auf vielen Olympia-Debütanten lastet.
„Das ist das Schöne: Ich kann ganz entspannt auf die Strecke gehen und voller Stolz das Nationaltrikot tragen“, blitzt bei dem gelernten Betriebswirt doch so etwas wie Vorfreude auf Olympia auf.
Vorfreude auf quälend lange 42 Kilometer? „Für mich ist das keine Strapaze“, versichert Ringer glaubhaft. „Marathon ist eine tolle Abwechslung für mich nach all den Jahren auf der Bahn“, sagt er, der sich auch für die ultralangen Strecken nicht quälen muss, den „inneren Schweinehund noch nie bellen gehört“ hat. „Das ist das, was ich liebe. Dafür muss ich mich nicht überwinden, sondern genieße jeden Kilometer.“
So wird für Richard Ringer auch im japanischen Sapporo das gleiche Motto wie schon auf dem Flughafenkurs in Siena gelten: Autopilot an und abheben zum nächsten Höhenflug.