Herr Ringer, Sie waren früher Bahnläufer und haben nun in München bei ihrem erst vierten Marathon-Wettbewerb den Europameister-Titel geholt. Der Umstieg von Tartan auf Asphalt scheint sich gelohnt zu haben für Sie.
Auf jeden Fall. Auf der Bahn hätte ich mich zwar vielleicht noch etwas verbessern können. Aber eigentlich war das, was ich da erreicht habe, schon am Limit für mich. Im Marathon kann ich mich noch viel weiter entwickeln. Für diese Disziplin bin ich ja mit 33 noch relativ jung. Und ja, bei Olympia in Tokio dabei zu sein und der Erfolg in München jetzt, vor dieser traumhaften Kulisse, das war schon ein Bilderbuchstart für mich.
In München sind Sie mit Eis unter der Kappe gelaufen. Ein kühler Kopf – sicher nicht das einzige Geheimnis Ihres Erfolgs, oder?
Nein, nein, das ist nur ein kleiner Baustein. Mit dem Eis fühlt man sich gut am Start, auch wenn es heiß ist. Aber ein viel wichtigerer Faktor aus meiner Sicht war eine Ernährungsumstellung. Kurz vor Ende der Vorbereitung habe ich vier Tage lang auf Kohlenhydrate verzichtet und mich dann drei Tage nur davon ernährt, um die Speicher wieder zu füllen, die sich durch diese Saltin-Diät vergrößert haben. Ich weiß nicht sicher, ob das wirklich den Ausschlag gegeben hat. Aber ich habe mich in München immer wohlgefühlt, am Start und auch während des Laufs.
Wie haben Sie sich sportlich auf die Herausforderung Marathon-EM vorbereitet?
Das Entscheidende war nicht unbedingt wie, sondern auch wo. Früher war ich in der Vorbereitung immer in St. Moritz und hatte das Gefühl, dass mir das bei hohen Temperaturen beim Wettkampf nichts bringt. Mit der Hitze hatte ich immer Probleme und musste was ändern. Ein Trainingslager im letzten Winter habe ich in Dubai, wo meine Schwester lebt, absolviert. Im Juni und Juli war ich in den USA in Flagstaff, wo es zwischen 26 und 32 Grad hatte. Wieder daheim am Bodensee war dann die Hitzewelle – perfekt für mich. In München habe ich mich total fit gefühlt, auch wenn die Temperaturen nicht ohne waren.
München ist ja nicht weit weg vom Bodensee – ein Heimspiel für Sie?
Das war es. Schon im Vorfeld haben sich alte Freunde von mir gemeldet, dass sie vorbeischauen würden, was mich riesig gefreut hat. Und dann waren tatsächlich an den Streckenpunkten, wo es eigentlich eher ruhiger zugeht, meine Freunde und die Familie und haben mich angefeuert. So etwas gibt einem ein wohliges Gefühl – und die Kraft, über den Schmerz hinaus zu gehen, immer weiterzumachen. Den Heimvorteil gibt es nicht nur im Fußball, auch im Laufsport kann das eine entscheidende Rolle spielen.
Was ist Ihr nächstes großes Ziel?
Eine Platzierung unter den Top Acht bei Olympia 2024. Für den Start in Paris würde ich sogar auf die Weltmeisterschaft im nächsten Jahr verzichten. Für mich ist es das Größte, für Deutschland das Beste herauszuholen. Platz 26 von 107 Startern in Tokio 2021, das war schon ganz okay. Aber da geht noch was, davon bin ich überzeugt. Und dafür werde ich alles geben.
Vom Asphalt an den Schreibtisch: Ab Montag sind Sie wieder in Ihrem Job als Controller in Friedrichshafen tätig. Ist das nicht ein krasser Gegensatz – vom körperbetonten Leistungssportler zum Kopfmenschen?
Auf der einen Seite ja. Aber dieser Job gibt mir die Sicherheit, dass ich neben dem Sport, sobald ich meine Karriere beende oder beispielsweise durch eine Verletzung kürzer treten muss, sofort ins Berufsleben einsteigen kann. Und es ist einfach erfrischend, mit Menschen über andere Dinge als Laufen zu reden. Ich bin in der tollen Situation, zwei Dinge zu haben, die mich ausfüllen. Dafür bin ich dankbar.