Vögel zwitschern im dichten Schilf, immer wieder quakt ein Frosch dazwischen. Weiter draußen rennt ein Schwan über den See und schlägt gleichzeitig mit seinen Flügeln kräftig auf das Wasser, um schließlich in die Luft zu steigen.

Auf dem Beobachtungsturm über dem See

Wir befinden uns auf dem Beobachtungsturm in zehn Metern Höhe. Thomas Amsler zeigt auf den Klingnauer Stausee hinunter. Seit einem Jahr ist er Reservatsaufseher. „Im letzten Frühling hatte es dort unten so viele Karpfen, das Wasser brodelte regelrecht.“ Von einem Tag auf den anderen hätten sich die Fische zum Laichen eingefunden, schwarmweise seien sie einander nachgeschwommen. „Das war ein fantastisches Schauspiel, so etwas habe ich noch nie erlebt.“

Der Eisvogel ist einer von über 200 Vogelarten, die im Naturschutzgebiet zu beobachten sind.
Der Eisvogel ist einer von über 200 Vogelarten, die im Naturschutzgebiet zu beobachten sind. | Bild: Kurt Bühlmann

Bekannt ist das rund 518 Fußballfelder, respektive 370 Hektar große Schutzgebiet im Unteren Aaretal aber insbesondere wegen der Vögel: Jedes Jahr können am Klingnauer Stausee rund 220 verschiedene Vogelarten beobachtet werden. Vogelkundler, respektive Ornithologen haben am Stausee mittlerweile 346 Arten identifiziert, davon 93, die auf der roten Liste stehen und somit gefährdet oder vom Aussterben bedroht sind.

Ein Schweizer Wasser- und Zugvogelreservat

Die einen leben das ganze Jahr, brüten oder überwintern hier. Andere machen Rast auf dem Weg nach Süden oder bei ihrer Rückkehr. Deshalb zählt das Gebiet seit 1991 zu den zehn Schweizer Wasser- und Zugvogelreservaten von internationaler Bedeutung.

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Auch gehört der Stausee zu den Ramsar-Gebieten wie etwa die Everglades in Florida (USA): Der Bundesrat unterschrieb die in der iranischen Stadt Ramsar geschlossene internationale Konvention zum Schutz der Lebensräume für Wasser- und Watvögel im Jahr 1974.

Tausende Besucher stören das Idyll

Doch der 1935 entstandene Stausee bietet nicht nur zahlreiche wichtige Lebensräume für Vögel, Säugetiere, Reptilien, Amphibien und Pflanzen, sondern lockt jährlich auch mehrere tausend Besucher an: Vogelbeobachter, Fischer, Spaziergänger, Inlineskater, Velofahrer und Hundebesitzer.

Das erfordert mitunter eine dicke Haut, wenn Besucher bei Regelverstößen uneinsichtig sind. Zwar seien diese in der Minderheit, so Thomas Amsler. „Ich erlebte aber auch Situationen, in denen Personen ausfällig wurden. Dabei wären die Spielregeln eigentlich klar“, sagt der 53-Jährige und zeigt auf die Informationstafel unterhalb des Beobachtungsturmes.

Was erlaubt ist und was nicht, ist eigentlich klar, dennoch kommt es immer wieder zu Verstößen.
Was erlaubt ist und was nicht, ist eigentlich klar, dennoch kommt es immer wieder zu Verstößen. | Bild: Stefanie Garcia Lainez

Für Hunde gilt überall eine Leinenpflicht

Dazu zählt die Leinenpflicht für Hunde, die das ganze Jahr hindurch im gesamten Schutzgebiet von der Aarebrücke in Kleindöttingen bis zur Rheinmündung gilt. Zum Gebiet zählen auch die beiden Auengebiete, das Gippinger Grien, das Giriz in Koblenz sowie große Landwirtschaftsflächen beidseits des Stausees. Halten sich Hundebesitzer nicht daran, weist Thomas Amsler sie darauf hin, erst im Wiederholungsfall komme es zu einer Ordnungsbuße.

Diese darf der Reservatsaufseher im Gegensatz zu Rangern verteilen, wenn sie wie Thomas Amsler eine entsprechende Ausbildung bei der Kantonspolizei absolviert haben. Unbelehrbare gebe es glücklicherweise nur wenige, ergänzt er.

In seltenen Fällen kommt es zu Gerichtsfällen, wie vor einem Jahr. Ein Hundehalter soll die Leinenpflicht mehrmals missachtet haben, wurde aber schließlich vom Bezirksgericht freigesprochen. Es sei zweifelhaft, argumentierte der Richter, ob es sich beim Beschuldigten um den fehlbaren Hundehalter handle. Ein Urteil, das Reservatsaufsehern wie Thomas Amsler keine Freude bereitet.

Der Ruf nach einer Wald- oder Naturpolizei

Angesichts der Missachtung von Verboten und des zunehmenden Drucks auf den Naturraum forderten der kantonale Jägerpräsident Rainer Klöti und verschiedene Großräte vor kurzem eine Wald- respektive Naturpolizei mit polizeilichen Kompetenzen.

In anderen Kantonen gibt es so etwas schon

Braucht es das? „Unbedingt“, sagt Thomas Amsler, als er durch das Naturschutzgebiet führt. Auch wenn ihm der Ausdruck Wildhut besser gefällt, wie es in anderen Kantonen schon praktiziert werde. Die dafür nötige eidgenössische Wildhüterausbildung wird er mit dem nächsten Lehrgang beginnen.

Auch die Fischereiaufsicht zählt zu den Aufgaben

Eine Buße habe er noch keine ausgesprochen, sagt der Aufseher, während es nebenan im Schilf raschelt und plätschert. Ob es ein Fisch war? Diese dürfen an ausgewählten Stellen gefischt werden. Deshalb gehört auch die Fischereiaufsicht im Schutzgebiet zu den Aufgaben von Thomas Amsler, der selbst als Elfjähriger mit dem Fischen begann.

Wenn nötig, verteilt er auch Bußen

So kann er den nötigen Personalausweis sowie eine Fischerkarte einfordern. Wenn nötig, verteilt er auch Bußen. Etwa bei definierten Fischereivergehen, wenn die Fischer im Schutzgebiet unerlaubterweise Feuer entfachen oder auf einem Einweggrill Würste bräteln.

Thomas Amsler hält inne und zeigt beim renaturierten Sickerkanal links des Sees in der Nähe von Gippingen auf eine Ausbuchtung. Von weitem sieht die Stelle wie ein kleiner Teich aus. „Einer Familie habe ich im vergangenen Sommer sagen müssen, dass man dort nicht baden darf.“ Denn der Tümpel bietet wichtige Lebensräume für Amphibien und Reptilien. „Im vergangenen Jahr hatten wir auch drei Böschungsbrände.“ Die Brandursache? „Vermutlich weggeworfene Zigarettenstummel“, so Thomas Amsler.

Ein krankes Tier muss er erlösen

Ein paar Meter weiter. „Entschuldigen Sie“, spricht ein Ornithologe den Reservatsaufseher an. „Ich glaube, ich habe einen kranken Fuchs entdeckt“, ergänzt er und streckt Kamera samt Foto hin, das er kurz zuvor geschossen hat. Thomas Amsler schaut sich das Bild genau an und antwortet: „Ja, das ist klar ein Fuchs. Und es sieht so aus, als ob er Räude hat.“

Diese Hautkrankheit wird von Milben verursacht und kann beim Fuchs zum Tod führen. Dieses Schicksal droht auch dem entdeckten Fuchs: „Das Tier hat kaum mehr Haare und ist abgemagert, das muss ich erlegen, wenn sich die Gelegenheit bietet.“

Auch das gehört zu den Aufgaben des Reservataufsehers: kranke und verletzte Tiere von ihrem Leiden zu erlösen. Deshalb ist der Besitz eines anerkannten Jagdfähigkeitsausweises für seinen Job genauso Pflicht wie das Führen eines Diensthundes oder Weiterbildungen wie der Fischereiaufseher- oder ein ornithologischer Grundkurs.

Und was ist, wenn ein Tier hier nicht hingehört?

Gebietsfremde Tiere, sogenannte Neozoa, muss Thomas Amsler ebenfalls „entnehmen“, wie er sagt. Dazu gehörten etwa die Nil- oder die Rostgans, welche die Vogelwelt beeinträchtigen. „Das sind wunderbare Vögel, die einst als Ziervögel in Gehegen gehalten wurden. Sie haben hier in freier Wildbahn aber nichts verloren.“ Deshalb können seine Arbeitstage auch schon im Morgengrauen beginnen.

Thomas Amsler Inspektionsrunde mit seiner Hündin Dyra.
Thomas Amsler Inspektionsrunde mit seiner Hündin Dyra. | Bild: Stefanie Garcia Lainez

Eine kleiner Marsch durch das Gippinger Grien

Unterdessen führt Thomas Amsler durch das Naturwaldreservat Gippinger Grien. Hier darf eine seiner Hündinnen, die sechs Monate alte, deutsche Drahthaar-Hündin Dyra, dabei sein – an der Leine versteht sich.

„Der Wald hier gehört zu meinen Lieblingsstellen“, sagt er. „Auch wenn es zurzeit viele Mücken hat.“ Nach ein paar Metern zeigt er auf einen stark ausgetrampelten Pfad, der vom offiziellen Kiesweg durch die Büsche zum Altlauf führt, also einem Teil eines Flusses, der vom Hauptstrom abgeschnitten ist.

Fußgänger verlassen unerlaubt den Weg

Dass Fußgänger unerlaubterweise den Weg verlassen, komme immer wieder vor, sagt der Reservatsaufseher. Die vielen Spuren im hohen Gras entlang des Stausees und im Gippinger Grien stammen denn auch weniger von Bibern, sondern meist von Ornithologen und Vogelbeobachtern.

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Schwarzkelchen bloß nicht beim Brüten stören

Er erzählt das Beispiel eines Schwarzkehlchens, das als potenziell gefährdete Art gilt und gerne in Fläche mit einheimischen Wildkräutern nistet, sogenannten Buntbrachen. „Brütet ein Schwarzkehlchen, ist das immer ein Ereignis.“ Stören darf man sie dabei unter keinen Umständen. „Dennoch hat ein Ornithologe für das ultimative Foto den Weg verlassen und sogar ein Zelt aufgestellt.“

Situationen wie diese seien frustrierend, sagt Thomas Amsler, aber glücklicherweise nicht häufig. Öfters erlebe er Begegnungen wie jene mit dem 93-jährigen Herrn, der jeden Tag die rund sieben Kilometer um den Stausee läuft und gerne etwas plaudert.

Ein Job wie ein Sechser im Lotto

„Das ist ein gutes Beispiel, weshalb mir die Arbeit hier am Stausee so viel Spaß macht“, sagt der ausgebildete Technische Kaufmann, der nebst seinem 60-Prozent-Pensum als Aufseher im Imkereifachhandel tätig ist. „Überhaupt ist dieser Job wie ein Sechser im Lotto. Wo sonst kann man so viel Zeit im Freien an solch einem schönen Ort verbringen und mit seinen Diensthunden arbeiten?“

Die Autorin ist Redakteurin der „Aargauer Zeitung“. Dort ist dieser Beitrag auch zuerst erschienen.