Mit Zeltlagern, ausgekipptem Mist auf Kreuzungen und besetzten Schienen, um Atommüll-Transporte ins Zwischenlager in ihrer Gemeinde zu verhindern: 40 Jahre lang wehrte sich die Bevölkerung der niedersächsischen Gemeinde Gorleben, darunter vor allem Bauern, lautstark gegen ein geplantes Atomendlager in einem stillgelegten Bergwerk. Der Widerstand trug schliesslich Früchte: 2020 wurde bekannt, dass der Standort für ein deutsches Endlager für hoch radioaktiven Atommüll nicht infrage kam.

Das Forschungsinstitut GFS Bern hat befragt

Ganz anders ist die Stimmung im Zurzibiet, wo in Stadel (Kanton Zürich) in nächster Nähe dereinst ein Atomendlager gebaut werden soll. Gemäß einer Umfrage des Forschungsinstituts GFS Bern scheint dies die Bevölkerung nicht großartig zu stören.

Die regionale und nationale Erhebung gab die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle, Nagra, in Auftrag. Für die nationale Studie wurden rund 1000 Personen ab 15 Jahren befragt, für die regionale Studie 800 Personen.

Das sind die Ergebnisse der Umfrage

Gemäß der Umfrage bereitet es mehr als zwei Dritteln der Einwohner der Region Nördlich Lägern keine Sorgen, dass in der Zürcher Gemeinde dereinst der Schweizer Atommüll gelagert werden soll. Oder sie akzeptieren diesen Entscheid zumindest. Nur 5 Prozent geben an, sich aktiv gegen das Projekt zur Wehr zu setzen. Weitere 22 Prozent haben ein ungutes Gefühl und sind grundsätzlich dagegen, dass in Stadel ein Endlager errichtet wird.

Zur Grenzregion gehören auch drei Zurzibieter Gemeinden:

Bild 1: Atommüllendlager im Haberstal: Aus den Gemeinden im angrenzenden Zurzibiet kommt kaum Gegenwind
Bild: Ute Schönlein

Entspannte Stimmung in Fisibach

In den 15 Gemeinden der Standortregion wurden auch Einwohner der drei Zurzibieter Gemeinden Schneisingen, Siglistorf und Fisibach befragt, die direkt an der Grenze zum Kanton Zürich liegen. Dass in der Bevölkerung die Akzeptanz des Tiefenlagers so groß ist, überrascht den Fisibacher Gemeindeammann Roger Berglas (parteilos) nicht. Die Stimmung gegenüber dem Projekt sei völlig entspannt, sagt er.

Ist das eine Eigenschaft des Bezirks, in dem die drei Atomkraftwerke Beznau 1 und 2 sowie Leibstadt seit Jahrzehnten zum täglichen Leben dazugehören? Berglas verneint. „Fisibach orientiert sich eher in Richtung Zürich, das sich den Umgang mit Atomkraftwerken weniger gewohnt ist.“ So besuchen die Kinder die Primarschule in Weiach und die Oberstufe in Stadel jenseits der Kantonsgrenze.

Fisibachs Ammann führt drei Gründe ins Feld

Der Ammann führt drei Gründe ins Feld, die den Zuspruch begünstigen. Zum einen die Betroffenheit, die aktuell zeitlich aber nicht gegeben sei. Denn bis die Nagra die ersten radioaktiven Abfälle ablagert, dauert es mindestens noch 25 Jahre. Ein Teil der Bevölkerung würde sich deshalb noch gar nicht groß für das Endlager interessieren, sagt Roger Berglas.

Die finanzielle Entschädigung spielt eine Rolle

Zum anderen spiele die finanzielle Entschädigung eine Rolle. „Fisibach ist gut in der Regionalkonferenz und bei den Entschädigungsverhandlungen vertreten.“ Es bestehe somit kein Grund, mit lauter Stimme mehr zu fordern. Insgesamt 800 Millionen Franken könnten dereinst an Gemeinden rund um das Endlager verteilt werden. So zumindest war in verschiedenen Medien zu lesen.

Die anfängliche Skepsis ist verflogen

Und zu guter Letzt die Ängste, etwa betreffend den Wertverlust der eigenen Liegenschaft, die Auswirkungen auf die Entwicklung der Region oder die Gesundheit. „Aufgrund des Wissensstands sind diese aber kaum mehr vorhanden und die anfängliche Skepsis ist verflogen“, sagt Roger Berglas. Dies, weil die Nagra und die Regionalkonferenz häufig und offen informieren, sämtliche Fragen aufnehmen und Gefahren abklären würden, die Angst auslösen könnten. Das deckt sich auch mit den Umfrageergebnissen: Nur eine kleine Minderheit der Bevölkerung vor Ort sieht im Tiefenlager eine Gefahr für Gesundheit und Umwelt.

Der Atommüll lagert 700 Meter tief in der Erde

Der Ammann nennt als weitere Beispiele die Möglichkeit eines Terroranschlags oder eines Flugzeugabsturzes. „Zum einen sind Kernkraftwerke, Spitäler oder gefüllte Fußballstadien viel exponierter“, sagt Berglas. Zum anderen soll der Atommüll in Stadel rund 700 Meter tief unter der Erdoberfläche gelagert werden. Und das in Opalinuston, einer tonhaltigen Gesteinsschicht, die gemäß Nagra radioaktive Stoffe zurückhalten kann, bis diese durch radioaktiven Zerfall unschädlich geworden sind.

Auch der Werteverlust ist kaum noch ein Thema

Auch die Angst vor einem Wertverlust sei seit einem Infoanlass im Fisibacher Ebianum, das nebst dem Baggermuseum auch einen Eventsaal beherbergt, kaum mehr Thema im Dorf, sagt Roger Berglas. Zur Erinnerung: Das Bundesamt für Energie schrieb 2022, dass sich ein Tiefenlager kaum auf die Immobilienpreise auswirken dürfte. Immobilienexperten rechnen hingegen mit einem Wertverlust von bis zu zehn Prozent für Liegenschaften in der Region.

Die damals am Anlass vorgestellte Studie habe aufgezeigt, dass mehrere Faktoren einen Einfluss auf den Liegenschaftswert hätten und sich dieser in der Nähe von AKW auch positiv entwickeln könne, sagt Berglas. Dies dank Entschädigungszahlungen, die wiederum einen Einfluss auf die Infrastruktur hätten, so der Ammann.

Mit den Entschädigungen Positives gestalten

Wie allfällige Entschädigungszahlungen verwendet werden könnten, werde aktuell in der Regionalkonferenz Nördlich Lägern diskutiert, sagt Roger Berglas. „Unsere Region ist als sicherster Standort für die Lagerung von radioaktiven Abfällen ausgewählt worden. Indem wir diese nationale Aufgabe wahrnehmen, übernehmen wir Verantwortung.“ Mithilfe der Entschädigungszahlungen wolle man nun daraus etwas Positives für die ganze Region gestalten.

Wie die Mehrheit in der Bevölkerungsumfrage stellt auch Roger Berglas der Nagra ein gutes Zeugnis aus. „Der einzigartige, partizipative Prozess gibt der Region eine Stimme. Das ist sensationell und muss so weitergeführt werden.“ Er hofft aber, dass in Zukunft auch die junge Generation der unter 35-Jährigen stärker für das Thema motiviert werden könne.

In Siglisdorf herrscht noch keine Diskussion zum Thema

Ähnlich tönt es in Siglistorf. Ammann Dieter Martin lobt die offene Kommunikation der Nagra zum geplanten Endlager in Stadel. „Bis jetzt herrscht aber noch keine Diskussion dazu im Dorf“, sagt er. Möglicherweise, da die Realisierung in weiter Zukunft liege und sich das Zurzibiet den Umgang mit Kernkraftwerken und der Atomthematik gewohnt sei. Er wünscht sich aber in den kommenden Jahren mehr Interesse seitens der Bevölkerung. „Wir werden in absehbarer Zeit im Dorf zum Thema Endlager informieren.“

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Auch in Schneisingen schlägt es keine hohen Wellen

Auch in Schneisingen wirft das Tiefenlager keine hohen Wellen. Gemeindeammann Adrian Baumgartner nennt dafür dieselben Gründe wie sein Siglistorfer Amtskollege. Und er ergänzt: „Ich bin sicher, dass die Menschen Vertrauen in die Betreiber haben, sie sehen auch den wirtschaftlichen Nutzen und die Schaffung von Arbeitsplätzen in dieser Branche.“

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Einige arbeiten konstruktiv im Verein LoTi mit

Einige Schneisinger würden beim Verein LoTi (Nördlich Lägern ohne Tiefenlager) mitmachen, sich des Themas aber konstruktiv annehmen. Baumgartner hofft, dass das auch in Zukunft so bleibt – ob Befürworter oder Gegner. Und dass die Verhandlungen betreffend Abgeltungen, die jetzt anlaufen, „fair und transparent sind und wir als Region diese Gelder sinnvoll einsetzen“.

Die Autorin ist Redakteurin der „Aargauer Zeitung“. Dort ist dieser Beitrag auch zuerst erschienen.