Peter Müller würde es gar nicht treffen. Weil er mit seiner Frau in Waldshut ist. Für knapp 300 Euro hat das Ehepaar aus dem aargauischen Wettingen gerade bei Kaufland Lebensmittel eingekauft. Wenn sie damit über die Grenze nach Hause in die Schweiz fahren, müssen sie die Einkäufe nicht verzollen. Sie bekommen die deutsche Mehrwertsteuer zurück und zahlen in der Schweiz auch keine.
Für umgerechnet 300 Franken pro Person und Tag dürfen Schweizerinnen und Schweizer bisher Waren steuerfrei in ihr Land einführen. Ab 1. Januar ändert sich das. Dann sind es nur noch 150 Franken pro Person und Tag. Wird der Betrag überschritten, muss die Schweizer Mehrwertsteuer auf die eingeführten Waren entrichtet werden, müssen diese angemeldet und verzollt werden.
Die Schweiz macht damit ernst, was schon länger im Raum gestanden hat. Das Land will dem Einkaufstourismus den Riegel vorschieben und das beliebte Shoppen „ennet“ der Grenze unattraktiver machen. Einkaufstourismus-Hotspots am Hochrhein dürfte das nicht freuen. Aber noch geben sie sich gelassen: Mal abwarten, wie sich das konkret auswirkt, ist vorab die Devise.
Der Tenor: Ob sich der erhoffte Effekt wirklich einstellen wird, dass Schweizerinnen und Schweizer ab 2025 weniger Euro im deutschen Einzelhandel entlang der Grenze ausgeben und wieder mehr im eigenen Land shoppen, ist ja auch tatsächlich unklar. Vielleicht wäre das bei 50 Franken eher noch der Fall. Die Freigrenze auf diesen Betrag abzusenken, war im Vorfeld teils auch gefordert worden. Damit hätte sie in etwa der deutschen Bagatellgrenze entsprochen. Diese liegt bei 50 Euro. Wer für weniger einkauft, bekommt die deutsche Mehrwertsteuer seit 2020 nicht mehr rückerstattet.

„Ob die Absenkung auf 150 Franken den Schweizern allzu viel bringt, bleibt abzuwarten“, ist denn auch Thomas Wartner überzeugt. Er ist Vorsitzender des Werbe- und Förderungskreises Waldshut, Sprachrohr des Einzelhandels der Stadt.
Öfters einkaufen um Absenkung zu umgehen
Aber auch klar: Für den grenznahen deutschen Einzelhandel wie der in Waldshut-Tiengen sei es keine gute Nachricht. „Das wird es uns treffen, das steht fest“, sagt er – je nach Branche und Preissegment unterschiedlich. Mögliche Szenarien könnten sein: Schweizerinnen und Schweizer kommen künftig öfters und kaufen dann nur jeweils für umgerechnet bis zu 150 Franken ein. Sie kommen zu mehreren Personen, um den Freibetrag auf mehrere Schultern zu verteilen. Oder sie kaufen unbeeindruckt davon weiter wie bisher ein. Denn vom generell tieferen deutschen Preisniveau und dem schwachen Euro profitieren sie ja ohnehin. Und auch wenn sie drüben verzollen, zahlen sie doch zuhause mit 2,6 ermäßigt und 8,1 Prozent regulär Mehrwertsteuer nach wie vor deutlich weniger als die sieben und 19 Prozent, die sie in Deutschland rückerstattet bekommen. Das heißt, selbst wenn die Wertfreigrenze auf null fiele, profitierte die Schweizer Kundschaft immer noch. Für Wartner kommt die diese auch wegen des Geldes nach Waldshut-Tiengen, aber eben nicht nur. Für ihn treibt ein ganzes Bündel Schweizerinnen und Schweizer zum Shoppen über den Rhein — „besseres Sortiment, mehr Service, mehr Freundlichkeit“.
„Wir kaufen meistens sowieso für umgerechnet weniger als 150 Franken ein“, sagt Andreas Birchmeier aus dem aargauischen Würenlingen, der Kunde der Osiander-Buchhandlung in Waldshut ist. Die Rückerstattung der deutschen Mehrwertsteuer sei für ihn aber nur ein Aspekt, zum Shoppen rüberzukommen. Hinzu kommt, sagt er, dass er für Bücher in einer Schweizer Buchhandlung bis zu 40 Prozent und mehr berappen muss. „Die Augentropfen sind bei uns 50 Prozent teurer, dabei ist es das gleiche Produkt“, empört er sich.
Buchhandlung mit bis zu 70 Prozent Schweizer Kunden
Die Osiander-Filiale hat nach Angaben einer örtlichen Mitarbeiterin zwischen 60 und 70 Prozent Schweizer Kundschaft. Und nicht nur aus dem Aargau kämen sie, sondern sogar aus der Innerschweiz mit teils mehrstündigen Anfahrten. „Und manche kaufen schon Bücher zwischen 300 und 600 Euro auf einmal“, sagt sie. Unklar sei, ob diese jetzt öfters so weite Strecken auf sich nehmen, nur um die Zahlung der Mehrwertsteuer zu umgehen. Wenn sie es tun, würden sie mehr fahren und die ohnehin schon verstopften Straßen noch mehr belasten. Wenn sie es nicht tun, macht die Filiale weniger Umsatz.
Nikola Kögel ist auch Buchhändlerin und Geschäftsführerin der Aktionsgemeinschaft Tiengen. Sie sagt: „Natürlich ist es nicht erfreulich, dass unsere Schweizer Kundschaft so ein Stück weit ausgebremst wird.“ Aber diese schätze auch den Service auf deutscher Seite und bleibe so hoffentlich erhalten.