Mit etwa zwei Büchern pro Jahr gehört Silvia Götschi zu den erfolgreichsten Autorinnen der Schweiz. Sie publiziert seit 1998, prägte früh den Trend zu Regionalkrimis mit und hat dabei eine Leserschaft aufgebaut, die ihre Werke regelmäßig an die Spitze der Schweizer Bestsellerlisten bringt. Nun hat sie einen neuen Handlungsort nahe des Hegaus gefunden: die Burg Hohenklingen bei Stein am Rhein.
Vor einem Jahr, am 7. Juni 2024, war Silvia Götschi für eine szenische Lesung auf der Burg Hohenklingen eingeladen. Anlässlich eines Unternehmensjubiläums entdeckte die Krimiautorin die Burganlage und war von ihrer Ausstrahlung sogleich eingenommen. „Schon seit langer Zeit wollte ich die Handlung eines meiner Krimis in eine Burg verlegen und hatte schon einige in Aussicht. Ich wusste aber genau, als ich sie erblickte: Das ist es, Hohenklingen ist die richtige“, sagt die Autorin und machte sich an die Recherche über die Burg und Stein am Rhein.
Warum Regionalkrimis erfolgreich sind
„Die Leserinnen und Leser schätzen die vertraute Atmosphäre, die entsteht, wenn die Handlung an einem Ort spielt, den sie bereits kennen – oder den sie durch meine Bücher entdecken möchten“, erklärt sie das Erfolgsrezept ihrer Regionalkrimis.
Einige ihrer Leserinnen und Leser hätten ihr bereits erzählt, dass sie wegen eines ihrer Krimis bestimmte Ortschaften aufgesucht hätten. Götschi versteht diesen Wunsch nach Geborgenheit und Vertrautheit: „Meine Leser wollen nicht knallharte Krimis mit brutalen Beschreibungen lesen. Wir leben in der Schweiz, glücklicherweise in einem Land, wo Mord und Totschlag nicht alltäglich sind.“
„Auch Mörder sind Menschen“
Dies spiegelt sich deutlich in Götschis Schreibstil wider. Ihr Interesse gilt weniger der Darstellung von Gewalt als vielmehr den psychologischen Aspekten eines Verbrechens. „Auch Mörder sind Menschen. Ich will ihre Motive ergründen und den Hintergrund einer Tat ausleuchten“, beschreibt sie ihren Ansatz.
Abgesehen von der Reihe um ihre Polizeibeamtin Valérie Lehmann, in der die professionelle Aufklärung einer Tat im Vordergrund steht, sind die Ermittlerin Allegra Cadisch und das ungewöhnliche Trio Federica, Milagros und Max von Wirth Amateur-Detektive. Letzteres löst auch den Todesfall auf der Burg Hohenklingen.
Eine Vernissage mit fatalen Folgen
In „Hohenklingen“ reisen die Privatdetektive nach Stein am Rhein zur Vernissage von Federicas Mutter, der exzentrischen Künstlerin Priska Hardegger. Ihre Bilder werden in den historischen Räumen der Burg Hohenklingen ausgestellt. Während der feierlichen Eröffnung kommt es zum Eklat: Ein junger Mann stürmt vor und wirft einen Eimer voller Farbe auf eines der ausgestellten Bilder. Er wirft der Künstlerin Gotteslästerung vor, bevor er von der Stadtpräsidentin Annemarie Schäffler vom Platz geleitet wird.
Der dramatische Zwischenfall sorgt in der Lokalzeitung „Steiner Anzeiger“ für eine Schlagzeile, da auch Redaktor Rüdisüli anwesend war. Ein komischer Kauz, der sich dem reichhaltigen Buffet gewidmet hatte, aber es noch rechtzeitig schaffte, seine Kamera zur Hand zu nehmen und den Skandal festzuhalten.
Es kommt schlimmer: Donovan Mac Dowell, Priska Hardeggers Partner, stürzt über das Geländer eines Balkons auf der Burganlage in die Tiefe und stirbt. Was zunächst wie ein tragischer Unfall aussieht, weckt schnell die Aufmerksamkeit des Detektiv-Trios. Federica, Max und dessen Mutter Milagros glauben nicht an einen simplen Unfall und nehmen ihre eigenen Ermittlungen auf.
Geschichte als Mahnung
Trotz aller sommerlichen Leichtigkeit, dem charmanten Lokalkolorit und einer sich anbahnenden Affäre bezeichnet Silvia Götschi „Hohenklingen“ als ein im Kern trauriges Buch. Während ihrer intensiven Recherchen zu Stein am Rhein stieß sie unweigerlich auf die tragische Bombardierung vom 22. Februar 1945 und die tiefen Spuren, die dieses Ereignis in der Stadt und bei ihren Bewohnern hinterlassen hat.
Geschickt verwebt die Autorin Szenen aus dem Jahr 1945 in ihre gegenwärtige Handlung. Sie wollte bewusst ein Buch für das Erinnern schreiben: „Gerade heute, wenn in aller Selbstverständlichkeit wieder eine Kriegsrhetorik aufgebaut wird, dürfen wir nicht vergessen, welche Opfer ein Krieg fordert.“
„Das, was 1945 in Stein am Rhein passiert ist, hat sich tief in die Seelen der hiesigen Bevölkerung eingemeißelt“, lässt Sivlia Götschi den Protagonisten Max von Wirth in „Hohenklingen“ sagen. Er wirft der Stadtpräsidentin vor, „eine ganze Generation zu verleugnen“. Wie sich herausstellt, auch ein Teil ihrer eigenen Familiengeschichte.
Jean-Marc Rossi ist Reporter unserer Partnerzeitung, den ‚‚Schaffhauser Nachrichten‘.