Fast ein Menschenalter lang lebte die Familie der 2012 gestorbenen ehemaligen Schweizer Opernsängerin Lisa della Casa mit Ehemann Dragan Debeljevic und Tochter Vesna im 770 Jahre alten Schloss Gottlieben am Seerhein. Jetzt will sich die 71 Jahre alte Tochter von dem stark sanierungsbedürftigen Gemäuer mit 32 Zimmern und 16.000 Quadratmetern Park trennen.
Schloss und Park stehen zum Verkauf, der Berner Notar Philipp Lüdy führt als Verwaltungsratspräsident der Schloss Gottlieben AG die Verhandlungen, die Immobilien-Maklerin Ginesta ist mit der Vermarktung beauftragt. Die Preisvorstellungen liegen bei 15 und 20 Millionen Schweizer Franken.
Die Nachricht vom beabsichtigten Verkauf der bedeutenden historischen Anlage hat die Kantonsregierung, Denkmalbehörden und Museumsleute aus dem Thurgau und aus Konstanz, die Hus-Gesellschaft in Prag und sogar das tschechische Kulturministerium aufhorchen lassen.
Denn die um 1250 vom damaligen Konstanzer Bischof Eberhard II. von Waldburg errichtete Fluchtburg ist eine Zeitkapsel voller bedeutender historischer Gegenstände. Politiker und Fachleute sorgen sich nun um den Erhalt historischer Zeugnisse, sollte ein neuer Eigentümer mit der Geschichte wenig am Hut haben.

Johannes Hus war dort eingekerkert
Vor allem in Tschechien genießt das Schloss den Rang einer mystischen Weihestätte: Denn hier war der böhmische Reformator Johannes Hus seit dem Frühjahr 1415 eingekerkert. Hus, der die Autorität der Kirchenhierarchie anzweifelte und dem einfachen Volk auf Tschechisch predigte, war 1414 nach Konstanz gereist, um sich vor den Konzilsvätern zu verteidigen.
Das Konzil hatte jedoch die Wiedervereinigung der gespaltenen Kirche im Blick, mit dem Häretiker (Abweichler von den Glaubenslehren) wollte man kurzen Prozess machen. Anfangs im feuchten Türmchen des Dominikanerklosters und heutigen Inselhotels eingekerkert, wurde Johannes Hus auf Veranlassung des Konzils Anfang 1415 nach Gottlieben geschafft.
In der Turmstube des Westturms erhielt er einen Aufenthaltsraum. Hier wurde er verhört, hier wollten ihn berühmte Kirchenfürsten zum Widerruf seiner Lehren drängen, damit die Tschechen keinen Märtyrer bekämen. Doch Hus blieb standhaft. Um ihn zu brechen, wurde er nachts wie ein Tier in einen aus Eichenholz gezimmerten engen Kasten im eiskalten Dachgeschoss des Westturms gesperrt.
Im Juli 1415 wurde der unbeugsame Reformator in Konstanz als Ketzer verbrannt. Sein einstiges „Kastengefängnis“ steht seither unberührt und bestens erhalten im Dachgeschoss des Schlosses, ein historisches Denkmal von höchstem internationalem Wert.

Historische Kranzschleifen erhalten
Ende des 19. Jahrhunderts, als Hus zur Leitfigur der national-tschechischen Einigungsbewegung wurde, pilgerten Hunderte teils bedeutende Persönlichkeiten nach Konstanz und nach Gottlieben, um die Stätten seines Leidens zu besuchen. Noch heute hängen in einem hohen Vitrinenschrank in der Turmstube die Kranzschleifen und Blechkränze, die böhmische Patrioten dort niedergelegt haben.

Während des Konzilsjubiläums 2014 boten Abgesandte der Karls-Universität Prag und der Stadt Konstanz der Eigentümerin des Schlosses an, diese Erinnerungsstücke restaurieren zu lassen, um sie anschließend in einem Thurgauer oder Konstanzer Museum als Depositum sicher aufzubewahren. Das Vorhaben kam bedauerlicherweise nicht zustande, die Eigentümerin zog ihre anfängliche Bereitschaft zurück.
Im Schloss selbst erinnert vieles an frühere Eigentümer: 1837 hatte Hortense de Beauharnais das Gemäuer gekauft, um es als Wohnsitz für ihren Sohn Louis Napoleon Bonaparte, den späteren französischen Kaiser Napoleon III., herrichten zu lassen. Bedeutende Teile der Innenausstattung stammen aus dieser Zeit. Auch die Grafen Beroldingen und die Familie von Fabrice haben Spuren hinterlassen.
Was mit diesen Zeugnissen geschieht, wenn das Schloss verkauft wird, ist offen. Der Kanton Thurgau, die Stadt Konstanz und die tschechische Seite nehmen gerade den Dialog darüber auf, wie diese international bedeutsamen Objekte gemeinsam mit einem künftigen Käufer erhalten werden können.